Was ist dafür verantwortlich, dass etwas Allgemeines wie
Gold oder eine bestimmte Farbschattierung oder auch das allgemeine Wesen des
Menschen individuiert wird? Nun, diese Frage habe ich schon einige Male in
diese Blog thematisiert. Die Antwort lautet, ganz allgemein: die Materie. Nach
scholastischer Auffassung ist die Materie das Prinzip der Individuation. Die
Form, also z.B. die Form oder das Wesen von Gold ist etwas Allgemeines, eine
Universalie. Ein bestimmtes Stück Gold, wie z.B. eine Unze (eine in diesen
unsicheren Zeiten sicher gute Geldanlage), ist individuiert. Und in der Welt in
der wir leben gibt es nur solche individuierten Dinge, keine abstrakten Dinge.
Abstraktes Gold, die Form Gold, ist sicher keine gute Geldanlage und wenn Ihnen
jemand so etwas zum Kauf anbietet, werden Sie sicher nichts dafür bezahlen. Nun
ist es zwar richtig, dass die Materie das Prinzip der Individuation ist, aber
nicht die Urmaterie, die materia prima, denn diese ist ja selbst völlig
unbestimmt und somit nicht individuiert.
Thomas von Aquin hat diese Materie, die für die
Individuation verantwortlich ist, als „materia signata“ bezeichnet, was man
etwa mit „vorbezeichnete Materie“ übersetzen könnte. Es handelt sich um eine
Materie, die noch frei von jeder Form ist, die aber hinsichtlich der Quantität
oder der Dimension vorbezeichnet ist. Diese Theorie gehört zu den besonders schwierigen
und auch umstrittensten Teilen der thomistischen Philosophie. Die materia
signata ist etwas mehr bestimmt als die materia prima, allerdings so wie diese
ohne jede Form.
Es gibt zwei zentrale Punkte zum Verständnis dieser Materie,
der materia signata: 1. Was auch immer ein materielles Ding sein mag, es hat
bestimmte Dimensionen, bestimmte Abmessungen, eine bestimmte Größe. Wenn die
Urmaterie die bestimmte Form einer Substanz, z.B. einer Unze Gold annimmt, dann
nimmt sie durch diese Tatsache selbst eine bestimmte Dimension an. 2. Dimension
ist durch ihre Natur individuierend. Diese Menge einer bestimmten räumlichen
Dimension ist wesentlich von jener räumlichen Dimension verschieden und wenn
man die Dimension der Zeit hinzunimmt, haben wir verschiedene individuelle
Mengen von Dimensionen, die den Unterschied zwischen individuellen materiellen
Substanzen begründen können. So kann man sagen, dass die materia signata, die
bezeichnete Materie, die Urmaterie ist, insofern sie bestimmt ist als etwas,
dass hier und nicht dort ist und so eine materielle Substanz von einer anderen
unterscheidet.
Gegen diese Theorie Thomas von Aquins gab es schon zu dessen
Lebzeiten Einwände, die bis heute nicht verstummt sind. Ein möglicher Einwand
lautet, dass die Materie, um eine Substanz zu individuieren, die Dimensionen
haben muss, d.h. dass sie bereits materia signata sein muss, bevor sie von
einer substanziellen Form informiert wird. Doch bevor die Materie von der Form
informiert wird, hat die Materie keinerlei Bestimmung, sondern sie ist reine
Potenzialität in Bezug auf eine Form.
Dieser Einwand beruht auf einem Missverständnis, bzw. auf
eine Verwechslung von formaler und effizienter Kausalität. Die rein potenzielle
Urmaterie und die substanzielle Form sind nicht in derselben Weise miteinander
verbunden, wie der Ton und die Form eines Gefäßes miteinander verbunden sind, wobei
der Ton bereits bestimmte Merkmale und Bestimmungen hat, bevor der Töpfer sie
in die Form eines Gefäßes bringt. Die Material- und die Formalursache einer
materiellen Substanz, wie die prima materia und die substanzielle Form,
arbeiten immer nur zusammen; keine Materie ohne Form und keine Form ohne
Materie.
Demgegenüber existiert die prima materia, auch in ihrer
bezeichneten Form als materia signata, d.h. durch Quantität „markierte“
Materie, nicht für sich, unabhängig von einer Form, sondern nur als durch eine
substanzielle Form informiert.
Der vor fast genau einem Jahr verstorbene englische
Philosoph Jonathan Lowe hat einen anderen Einwand vorgebracht. Nach seiner Auffassung
genügt eine raumzeitliche Lokalisierung um eine materielle Substanz zu
individuieren und die Materie im Sinne von Thomas fügt dazu nichts hinzu. Doch
dies trifft nicht zu. Die Materie trägt etwas bei insofern es die Potenz ist,
eine Form aufzunehmen und die Materie muss eine Form aufnehmen, um eine
raumzeitliche Lokalisierung zu haben.
Bekanntlich haben andere Scholastiker, besonders Duns Scotus
und Franz Suárez eine andere Erklärung für das Phänomen der Individuation
gegeben und lehnen die thomistische Theorie ab. Während Suárez die
Individuation auf die Entität selbst gründet – eine Entität ist individuiert,
insofern sie eine Entität ist – hat Scotus eine zusätzliche Entität zur
Individuation eingeführt, die er haecceitas
nennt, also etwa „Diesheit“. Diese haecceitas verbindet sich gewissermaßen mit
einer Universalie und individuiert diese
dadurch. An einem Beispiel: Sokrates und Platon haben beide die gleiche
menschliche Natur. Doch durch die Verbindung dieser Natur mit der „Sokratesheit“
und der „Platonheit“ gibt es die individuierten Person Platon und Sokrates.
Beide Theorien werden bis heute auch in der analytischen Ontologie vertreten,
sind also insofern keineswegs nur von historischem Interesse.
Auf die Kritik dieser Theorien möchte ich hier nicht mehr
eingehen. Alles dies findet sich ausführlicher in Edward Feser: ScholasticMetaphysics.
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