Der zweite Gottesbeweis von Thomas von Aquin geht von der
Voraussetzung aus, dass in allen Entitäten die Wesenheit oder das Sosein, also
das, was etwas ist, und die Existenz
verschieden sind. Diese Voraussetzung ist nicht besonders schwer zu akzeptieren.
Deshalb hat Gaven Kerr in seinem jüngsten Buch
auch diesen Gottesbeweis wegen seiner geringen ontologischen Voraussetzungen,
als den am meisten überzeugenden der „fünf Wege“ bezeichnet. Dieser
Gottesbeweis aus der Summa theologiae ist
zudem der einzige, den Thomas in seinem Frühwerk De Ente et Essentia bereits vorgestellt hat.
Der zweite Gottesbeweis versucht zu zeigen, dass keine
Entität, bei der Wesenheit und Existenz real verschieden sind, auch nur für einen
kurzen Augenblick existieren könnte, wenn es nicht ein Wesen gibt, bei dem
Wesenheit und Existenz identisch sind, d.h. dessen Wesenheit seine Existenz
ist. Ein solches Seiendes bezeichnet Thomas als ipsum esse subsistens, d.h. als subsistierendes Sein selbst. Das
Argument lässt sich im Einzelnen nun folgendermaßen rekonstruieren (Edward
Feser: Neo-Scholastic Essays, S. 92f.)
Wirkursachen sind ein reales Merkmal unserer Welt. Wir
kennen aus verschiedenen Erfahrungen solche Zusammenhänge zwischen Ursache und
Wirkung, so, wenn wir auf die Taste der Computertastatur drücken und auf dem
Monitor ein Zeichen erscheint. Natürlich gibt es solche Beziehungen zwischen
Ursache und Wirkung auch in der Natur. Die Naturwissenschaften untersuchen
solche Zusammenhänge.
Nun kann aber keine Entität die Ursache ihrer selbst sein.
Dies ist schon logisch unmöglich, denn dann müsste diese Entität existieren,
bevor sie existiert, sie müsste sich selbst in die Existenz hervorbringen, was
noch unmöglicher ist, als sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.
Die Existenz einer natürlichen Substanz zu jedem beliebigen
Zeitpunkt seiner Existenz – sei es ein Lebewesen oder ein Atom – setzt voraus,
dass dessen Wesenheit gleichzeitig mit einem Existenzakt verbunden ist. Dies
besagt, dass keine Wesenheit für sich existieren kann, eine bloße Wesenheit
gibt es nicht, sie muss stets mit der Existenz verbunden sein. Sosein und
Dasein, Existenz und Wesenheit sind in der realen Welt immer miteinander
verbunden.
Wenn nun die Substanz selbst sich irgendwie ihre Wesenheit
mit einem Existenzakt verbinden würde, dann müsste sie die Ursache ihrer
selbst sein, was, wie gesagt, unmöglich ist.
Deshalb muss es eine gleichzeitige Wirkursache geben, die
von der Substanz verschieden ist und die die Wesenheit der Substanz mit der
Existenz verbindet. Die Existenz diese Wirkursache setzt in dem Moment, in dem
sie die Wesenheit der Substanz mit der Existenz verbindet, voraus, dass deren
eigene Wesenheit entweder mit einem anderen Existenzakt verbunden ist, oder dass
die Wesenheit dieser Ursache ihre Existenz ist. Anders ausgedrückt: Wenn eine
Entität A die Ursache dafür ist, dass die Wesenheit von B mit der Existenz
verbunden ist, dann stellt sich die Frage, wie sich dies bei A selbst verhält.
Entweder hat A eine Ursache, die die Wesenheit von A mit der Existenz von A
verbindet, oder A ist diejenige Entität, bei der Wesenheit und Existenz
identisch sind.
Wenn nun A, also die Ursache für die Verbindung von
Wesenheit und Existenz in B, selbst eine Ursache hat, durch die A’s Wesenheit
mit der Existenz verbunden wird, dann gibt es einen Regress von gleichzeitigen
Verbindern von Wesenheit und Existenz. Dieser Regress ist entweder unendlich –
die Ursache für die Ursache A ist z.B. A1, deren Ursache A2 ist und so weiter ad infinitum – oder der Regress endet in
etwas, dessen Wesenheit die Existenz ist.
Ein solcher Regress von gleichzeitigen Verbindern (die
Wesenheit und Existenz verbinden) bildet eine per
se geordnete Kausalreihe und eine solche Kausalreihe kann nicht unendlich
sein, im Unterschied zu einer Kausalreihe per
accidens. Bei einer Kausalreihe per
accidens – z.B. A verursacht B, B verursacht C, C verursacht D usw. – kann B
C verursachen, ohne dass A überhaupt noch existiert. Dies ist deshalb der Fall,
weil A, B, C, usw. nicht gleichzeitig sind. Bei einer per se geordneten
Kausalreihe ist aber genau dies der Fall. Die Wirkung D besteht nur, wenn
gleichzeitig A, B und C wirksam sind. Und dies ist der Fall bei einer Ursache
für die Verbindung von Wesenheit und Existenz in einer Substanz. Wenn hier verschiedene
Ursachen in Frage kommen, die ihrerseits wieder aus Wesenheit und Existenz
zusammengesetzt sind, dann müssen diese Ursachen gleichzeitig bestehen. Und
dies ist dann eine Kausalreihe per se
mit einer letzten Ursache, die nicht selbst aus Wesenheit und Existenz
zusammengesetzt ist, sondern deren Wesenheit die Existenz ist.
Dies bedeutet aber, dass die Existenz jeder beliebigen
Substanz zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Existenz von etwas voraussetzt,
dessen Wesenheit die Existenz ist. Eine solches „Etwas“ nennen alle Gott, wie
Thomas sagt. Dass es sich dabei tatsächlich um Gott handelt und nicht vielmehr
um ein Wesen, von dem man eben nichts Anderes sagen kann, als dass dessen Wesen
die Existenz ist, wird von Kritikern der Gottesbeweise oft eingewandt. Allerdings
ist dieser Einwand eher schwach. Denn allein aus dem Begriff eines Wesens,
dessen Wesenheit mit seiner Existenz identisch ist, folgt, dass ein solches
Wesen z.B. nicht entstanden sein kann, dass es keinen Anfang und kein Ende hat
und somit ewig sein muss. Es folgen noch einige weitere Bestimmungen, die ich
aber später in einem eigenen Beitrag noch erklären werde und zwar im
Zusammenhang mit einer Diskussion verschiedener Einwände gegen diese
Gottesbeweise.
Selbstverständlich ist der Gott der Gottesbeweise kein
Beweis für den christlichen dreifaltigen Gott. Dieser beruht auf einer
Offenbarung und kann nicht philosophisch bewiesen werden. Allerdings kann man
durchaus sagen, dass ein Gottesbegriff der dem philosophischen Begriff Gottes
widerspricht, falsch sein muss. Die Gottesbegriffe der drei
Offenbarungsreligionen – Christentum, Islam und Judentum – so verschieden sie
auch sind, widersprechen allerdings im großen und ganzen nicht dem philosophischen Gottesbegriff.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen