Sonntag, 15. Januar 2017

Wahrheitskriterium

Wenn wir eine Aussage machen, dann beanspruchen wir im Allgemeinen damit eine Wahrheitsbehauptung. Wenn wir FakeNews betrachten, die bewusst eine falsche Behauptung aufstellen, von denen der Leser allerdings nicht weiß, dass sie falsch ist, so wird auch eine solche Behauptung für wahr gehalten oder sie soll für wahr gehalten werden. Darauf beruht ihre ganze Wirkung. Wenn wir eine Aussage treffen, ganz gleich ob diese wahr ist oder falsch, wenn ich z.B. behaupte, dass Donald Trump der nächste Präsident der USA wird, dann verbinden wir mit dieser Aussage den Anspruch, dass sie wahr ist. Doch was konstituiert Wahrheit oder Irrtum? Wie können wir zwischen wahren und falschen Aussagen unterscheiden? Gibt es ein Kriterium der Wahrheit? Oder brauchen wir ein „Wahrheitsministerium“, wie es die Bundesregierung jetzt bei Kampf gegen FakeNews vorzubereiten scheint?



Sinnliche Wahrnehmung – Ideen und Begriffe
Durch unsere Sinne wird uns die Wirklichkeit präsentiert. Diese sinnlichen Wahrnehmungen werden durch den Intellekt zu Begriffen und Ideen gebildet, wobei die Abstraktion eine wichtige Rolle spielt. Mit dem Begriff „Idee“ ist hier nicht das gemeint, wenn jemand sagt, er habe eine gute Idee. Idee im philosophischen Sprachgebrauch hat die Bedeutung, dass es sich um eine intellektuelle Repräsentation eines Dinges handelt. Wir haben z.B. die Idee eines Tisches oder einer Katze. Mit diesen Ideen erfassen wir das, was ein Tisch oder eine Katze ist. Durch die Begrenzung unseres Verstandes sind wir nicht in der Lage die volle Wirklichkeit der Katze oder des Tisches innerhalb einer Idee zu erfassen. Der Verstand wendet sich deshalb den verschiedenen Aspekten eines Gegenstandes nach und nach zu: zuerst dieser Eigenschaft, dann einer weiteren Eigenschaft oder einem Attribut, und bildet dann verschiedene Begriffe von jeder einzelnen Eigenschaft. Das Ding selbst ist natürlich nicht getrennt. Jede dieser Eigenschaften die der Verstand erfasst , ist die Eigenschaft ein und desselben Dinges. Dieses Ding ist potenziell teilbar, aktuell aber ungeteilt.

Durch diese mentale Unterscheidung erfasst der Verstand mehr oder weniger vollständig das vollständige Ding – den Tisch oder die Katze zum Beispiel. In der Aussage oder im Urteil (so der klassische Begriff für eine Aussage), werden diese verschiedenen Begriffe mental zusammengefasst, z.B. dadurch, dass ich sage: „Die Katze liegt auf dem Tisch“. Ein jedes solches Urteil drückt implizit eine Korrespondenz aus, eine Entsprechung zwischen dem Ding bzw. dem Sachverhalt wie es bzw. er in sich selbst ist und wie er im Verstand auf „ideale“ Weise existiert. In jedem Urteil, in jeder Aussage wird eine Übereinstimmung zwischen einen Gedanken und einem Ding, einem Sachverhalt behauptet.

Und genau hierin liegt die Wahrheit bzw. der Irrtum. Wenn ich urteile, dass ein Attribut zu einem Ding gehört und wenn dies tatsächlich zutrifft, dann habe ich die Wahrheit. Wenn ich urteile, dass ein Attribut nicht zu dem Ding gehört und es gehört tatsächlich nicht zu dem Ding, dann urteile ich ebenfalls wahr. Wahrheit und Irrtum sind formal im Urteil und nicht in den Ideen als solchen. Deshalb wird Wahrheit definiert als Übereinstimmung des Urteils mit der Wirklichkeit und Irrtum als Nichtübereinstimmung des Urteils mit der Wirklichkeit.

Notwendigkeit eines Wahrheitskriteriums
Doch damit ist die Frage nach einem Kriterium der Wahrheit noch nicht beantwortet. Ein Wahrheitskriterium ist gewissermaßen ein Test, durch den wir wahre von falschen Aussagen unterscheiden können. Wenn es verschiedene Wahrheitskriterien geben sollte, so muss es ein letztes und fundamentales Kriterium geben, das nicht weiter hinterfragt werden kann, denn ansonsten hätten wir einen unendlichen Regress und nie eine definitive Antwort auf die Frage nach der Wahrheit. Es muss also ein notwendiges Wahrheitskriterium geben, denn sonst könnten wir nie einen Fehler entdecken und diesen von der Wahrheit unterscheiden. Und tatsächlich ist es ja auch so, dass wir Fehler erkennen und sie korrigieren, was nicht möglich wäre, wenn es kein letztes Wahrheitskriterium gäbe. Gerade dieser Prozess der Unterscheidung beweist, dass wir ein Kriterium der Wahrheit besitzen.

Gewissheit
Unter Gewissheit versteht man den Zustand des Verstandes, bei dem dieser eine festes Zustimmung zu einer Aussage macht, ohne zu fürchten, dass er sich irrt, auf Grund eines gültigen Grundes. Wenn ich behaupte, dass Donald Trump der nächste Präsident der USA ist, dann bin ich mir dieses Urteils gewiss, insofern ich mich in keiner Weise fürchte, falsch zu liegen, weil ich z.B. im Fernsehen die Wahlberichterstattung gesehen haben, weil ich gehört habe, wir Hillary Clinton ihre Niederlage eingestanden hat und weil alle Medien genau dies übereinstimmend berichtet haben. Nun unterscheidet die scholastische Philosophie drei Arten der Gewissheit, nämlich die moralische, die physische und die metaphysische, wobei Letztere den höchsten Grad der Gewissheit hat. Die moralische Gewissheit gründet in einem moralischen Gesetz, durch das die Handlungen von Menschen üblicherweise bestimmt werden. So sind wir uns z.B. im Allgemeinen gewiss, dass Eltern ihre Kinder lieben, obwohl wir wissen, dass dies für einige wenige Eltern nicht zutrifft und wir uns deshalb in bestimmten Fällen irren können, wenn wir behaupten, „p liebt sein Kind“. Physische Gewissheit gründet in den Naturgesetzen und deshalb sind wir uns gewiss, dann ein Stein nach unten fällt, wenn ich ihn hochhalte und fallen lasse. Diese Art der Gewissheit ist deutlich höher als die der moralischen Gewissheit. Die metaphysische Gewissheit hat den höchsten Grad, denn diese Art der Gewissheit gründet in den metaphysischen Gesetzen, so z.B. im obersten metaphysischen Gesetz, dass etwas nicht zugleich sein und nicht sein kann oder dass das Ganze größer ist als jeder Teil.

Motive der Gewissheit, subjektive und objektive Gewissheit
Gültige Gründe, wie solche Gesetze, sind die ‚Motive‘ der Gewissheit, das, wodurch wir motiviert werden, ein bestimmtes Urteil für wahr zu halten. Wir unterscheiden nun in der scholastischen Philosophie auch noch zwischen einer subjektiven und einer objektiven Gewissheit. Die erstere besteht in der bloßen Festigkeit unserer Zustimmung zu einem Urteil und schließt nicht einen Fehler in unserem Urteil aus. Oft haben wir schon erlebt, dass wir uns ganz sicher waren, dass p (wobei p für irgendein Urteil steht) und mussten uns später gleichwohl korrigieren. Die subjektive Gewissheit schließt nur aus, dass wir einen Irrtum fürchten, was nicht heißen muss, dass es keinen Irrtum in der Aussage gibt. Die objektive Gewissheit besteht demgegenüber in den Gründen, die in den Ausdrücken des Urteils enthalten sind und auf Grund dessen ein Urteil als wahre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit angenommen wird. Wir halten ein Urteil für wahr, d.h. wir kommen zu einer subjektiven Gewissheit gerade dadurch, dass ein Urteil objektiv mit der Realität übereinstimmt.

Wir sind noch immer bei der Frage, was denn nun das letzte Wahrheitskriterium ist. Wenn wir Antwort auf diese Frage finden, dann haben wir zugleich die Antwort auf die weitere Frage, was das letzte Motiv der Gewissheit konstituiert, weil nämlich die ‚Gründe‘ der Wahrheit des Urteils auch die ‚Motive‘ für unseren Verstand sind, warum er das Urteil für wahr hält. Wir werden jetzt gleich sehen, dass dieses Kriterium und Motiv der Wahrheit die objektive Gewissheit der Wirklichkeit ist.

Die Natur der objektiven Gewissheit
Unter objektiver Gewissheit versteht man das Charakteristikum der Wirklichkeit, durch die diese unserem Wahrnehmungsvermögen objektiv manifest wird. Was die Helligkeit eines leuchtenden Körpers für das Auge ist, das er dadurch nämlich klar sichtbar wird, dass ist die Gewissheit der Wirklichkeit für den Geist: Die Gewissheit macht die Wirklichkeit kognitiv klar und intelligibel für den Verstand. Auf Grund dieser objektiven Gewissheit oder Evidenz, die man auch als „Selbstoffenbarung“ der Realität in der Gegenwart des Intellekts bezeichnet hat, ist der Verstand in der Lage ein Urteil zu bilden, dass eine richtige Interpretation dieser Wirklichkeit ist, wie sie im objektiven Sein existiert. Der Verstand sieht den Grund für sein Urteil in der Wirklichkeit, wie sie sich selbst dem Geist gegenüber manifestiert. Der Grund für die Anerkennung dieses Urteils als wahr und das Motiv für die Zustimmung zum Urteil mit der Festigkeit der Gewissheit haben ihre Quelle in der Evidenz des Objekts. Es ist diese objektive Evidenz der Realität, die das urteilende Subjekt bestimmt, diese Realität in der Weise zu interpretieren, wie sie es tut und dadurch das Urteil wahr und gewiss macht. Die objektive Gewissheit in Beziehung zur Wahrheit und Gewissheit des Urteils ist das, was die Ursache in Beziehung zur Wirkung ist.


Diese objektive Evidenz ist das Kriterium der Wahrheit. Man müsste hier noch einiges zusätzliches sagen, wie die Unterscheidung zwischen interner und externer Evidenz. Erstere gründet in unserer unmittelbaren Erkenntnis, letztere hingegen beruht auf Autorität, d.h. wir haben auf Grund einer vertrauenswürdigen Person von dieser Wahrheit gehört, ohne diese aber selbst prüfen zu können. Mehr dazu finden Sie im Grundkurs Philosophie III.Erkenntnistheorie und in dem kürzlich im gleichen Verlag erschienen Buch Reality and the Mind. Epistemology, von Celestine Bittle. Ein "Wahrheitsministerium" ist jedenfalls nicht erforderlich, denn die Wahrheit wird nicht gemacht, wenn man auch angesichts der Politik nicht selten den Eindruck gewinnen kann, dies sei der Fall.

1 Kommentar:

  1. Ein letztbegründetes Wahrheitskriterium gibt es nicht und kann es auch aus logischen Gründen nicht geben. Auch angeblich untrügliche Evidenzen könnten sich als falsch herausstellen. Es genügen jedoch auch hypothetische Kriterien, wenn man nur sorgfältig darauf achtet, Wahrheit und Gewissheit streng voneinander zu unterscheiden. Der Mensch ist in allen seinen Versuchen, irgendwelche Probleme zu lösen, und damit auch in allen seinen Versuchen, Erkenntnisprobleme zu lösen, fehlbar. Dennoch ist die regulative Idee objektiver Wahrheit unverzichtbar.

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