Wenn man eine objektive, realistische Moraltheorie
verteidigen will, dann geht dies nur auf der Grundlage einer Metaphysik. Die
Metaphysik ist die Wissenschaft vom Seienden als Seienden (Aristoteles). Sie
untersucht alles, was gibt, ausschließlich in Hinsicht darauf, dass es
existiert. Wenn man nach einer objektiven Moral fragt, dann muss man zunächst
die Frage klären, ob es so etwas wie objektive, von uns unabhängige moralische
Tatsachen gibt, bzw. falls es solche moralischen Tatsachen geben sollte, worin
diese bestehen. Die natürliche Ethik hat vor allem zwei metaphysische
Voraussetzungen: sie ist essentialistisch und teleologisch. Hierin
unterscheidet sie sich von fast allen anderen Moraltheorien.
Letztlich beruht die natürliche, aristotelisch-thomistische
Ethik auf der Natur des Menschen. Sie geht davon aus, dass der Mensch ein Wesen
hat, eine unveränderliche, beständige Natur, aus der sich die Maximen seiner
Handlung ergeben. Dies beruht auf dem alten scholastischen Prinzip agere sequitur esse, dass Handeln folgt
aus dem Sein. Der Mensch handelt wie ein Mensch und nicht wie ein Huhn oder
eine Eiche. Die Tätigkeiten des Menschen sind menschliche Tätigkeiten, d.h.,
sie folgen aus der Natur des Menschen. Daher ist der Essentialismus, die
Auffassung, dass alle Dinge ein Wesen bzw. eine Natur haben, die erste und
wichtigste Voraussetzung einer natürlichen, objektiven Ethik. Diese Ethik ist
objektiv, weil sich die moralischen Urteile aus dieser Natur des Menschen
ergeben, die selbst objektiv ist, die nicht von uns geschaffen oder konstruiert
wurde.
Diese Natur des Menschen wurde bereits von Aristoteles
definiert als rationales Sinneswesen. Als Sinneswesen gehört der Mensch in den
Bereich der materiellen Dinge, er hat einen belebten Körper wie die Tiere. Aber
er ist kein Tier. Alle Bestimmungen des Menschen werden überformt durch seine
Rationalität. Der Mensch hat zumindest das Vermögen zur Rationalität, wenn
dieses Vermögen auch nicht immer aktualisiert wird. Ein Embryo oder ein
Säugling ist ebenso ein vernunftbegabtes Sinneswesen, wie eine ihren
Mittagsschlag haltende 35-jährige Mutter, obwohl keine dieser Person ihre
rationalen Vermögen aktualisiert hat. Aber alle Menschen, insofern sie Menschen
sind, haben das Vermögen zur Rationalität, dass sie unter bestimmten
Bedingungen aktualisieren. Die Antwort auf die Frage, was denn Rationalität
ist, ist sehr umfangreich. Aber kurz und allgemein gesagt besteht Rationalität
vor allem im Vermögen zur Abstraktion. Wir Menschen sind grundsätzlich in der
Lage, allgemeine Entitäten, z.B. Wesenheiten, aber auch Begriffe wie „Gerechtigkeit“,
„Freiheit“ oder „Glück“ zu erfassen. Wir können dann solche Begriffe
miteinander kombinieren und Sätze bilden, wie den Satz „Der Mensch ist ein
vernunftbegabtes Sinneswesen“ und wir können durch die Verbindung solcher Sätze
Schlüsse ziehen, wie z.B.: Alle Menschen sind vernunftbegabt. Sokrates ist ein
Mensch. Also ist Sokrates vernunftbegabt. Alle menschlichen Tätigkeiten und
Vollzüge sind letztlich durch dieses Vermögen zur Rationalität bestimmt und
deshalb isst der Mensch anders als Tiere, deshalb wohnt er anders als Tiere und
deshalb hat der Mensch Sprache. Sprache ist etwas wesentlich anderes als die Kommunikation bei Tieren, weil sie
Abstraktion zur Voraussetzung hat, die sich bei Tieren nicht findet.
Die zweite Voraussetzung einer objektiven Ethik ist die
Teleologie. Die Teleologie geht davon aus, dass zumindest alle Lebewesen bei
ihren Tätigkeiten objektive Ziele und Zwecke verfolgen. Dazu habe ich im Blog
schon eine Reihe von Beiträgen veröffentlicht (z.B. hier und hier). Jede Tätigkeit geschieht um eines
Zieles oder Zweckes willen, ist ein scholastisches Prinzip. Einerseits gibt
es die Ziele und Zwecke, die wir uns selbst setzen können. Dies sind mehr oder
weniger subjektive Zwecke. Es gibt aber auch Ziele und Zwecke, die wir uns
nicht selbst gesetzt haben, sondern die sich aus unserer Natur, aus unserer
Wesenheit ergeben und die deshalb objektiv vorgegeben sind. Bei allen Lebewesen
sind die Selbst- und Arterhaltung solche grundlegenden objektiven Ziele, die
sich z.B. bei Tieren im Fluchtinstinkt oder im Nestbau äußern. Auch beim
Menschen gehören die Selbst- und Arterhaltung zu den objektiven Zwecken, die
allerdings auch hier sich deutlich von denen der Tiere unterscheiden, weil sie
rational bestimmt sind. Der Mensch treibt Gesundheitsfürsorge und entwickelt
dazu z.B. die pharmazeutische Industrie und ein Netz von Apotheken und vieles
andere mehr. Ab einem bestimmten Alter interessiert sich der Mensch für das
jeweils andere Geschlecht, letztlich mit dem Ziel, eine Familie zu gründen.
Diese Ziele und Zwecke sind uns innerlich; wir haben sie uns nicht selbst
gesetzt, sondern sie gehören zum Bestand unserer Ausstattung als Menschen. Sie
machen und geneigt, dieses oder jenes
zu tun.
Die natürliche Ethik behauptet nun, dass diese fundamentalen
Ziele und Zwecke, die sich aus der Natur des Menschen ergeben, immer ein Gut
darstellen und dass sie sogar das im eigentlichen Sinne Gute für den Menschen
sind. Sie sind deshalb ein Gut, weil sie einen entscheidenden Beitrag zur
Vervollkommnung unserer Natur leisten. Jede Tätigkeit oder Handlung die auf die
Vervollkommnung der menschlichen Natur als eines rationalen Sinneswesens
gerichtet ist, ist gut. Eine Handlung bei der dies nicht der Fall ist, ist
nicht gut, sondern böse. Darin gründet der objektive Begriff des Guten, den ich
in einem früheren Blogbeitrag vorgestellt habe.
Was für uns wirklich gut ist, liegt nicht in unserem persönlichen Belieben und
ist bloße Geschmackssache. Was wirklich gut ist, lässt sich objektiv bestimmen.
Meist ist es so, dass wir selbst geneigt sind, dieses objektiv Gute zu
erstreben. Doch dies gilt nicht immer und überall, im Unterschied zu den
Tieren, die zumindest im Prinzip immer das Richtige tun, um ihre Wesenheit zu
vervollkommnen. So ist es für den Menschen gut, zu essen, denn dies dient der
Erhaltung seiner Gesundheit und letztlich der Erhaltung seines Lebens. Doch
diese Neigung zu essen kann über ein gesundes Maß hinaus gehen und dann werden
wir krank, zumindest dann, wenn wir dauerhaft zu viel essen und uns von den
Genüssen beherrschen lassen, anstatt rational zu essen. Dauerhaft zu viel zu
essen, ist noch nicht unbedingt moralisch schlecht, es ist aber gleichwohl
etwas für uns Schlechtes, weil es uns krankmacht und das Gegenteil zur
Vervollkommnung der menschlichen Natur darstellt.
Von hier aus können wir nun etwas zur Natur des Guten sagen.
Es gibt das Gute, dass wir mit allen anderen Lebewesen teilen, wie die schon
erwähnte Selbst- und Arterhaltung. Darüber hinaus gibt es Güter, die wir mit
allen Tieren gemeinsam haben, z.B. die Fortpflanzung und Erziehung des Nachwuchses
und schließlich gibt es spezielle Güter, die nur uns als Menschen eigen sind,
wozu z.B. Thomas von Aquin und auch Aristoteles das Leben in Gemeinschaft
zählt, weiterhin die Freundschaft, die Beseitigung der Unwissenheit und das
Streben nach Erkenntnis usw. Dazu werde ich später etwas mehr schreiben.
Eines muß man festhalten : die hier geäußerten Folgerungen scheinen konsequent.
AntwortenLöschenVielleicht aber auch Ironie oder eben doch auch konsequent, welchem Gedankengut dieser Blog folgt - das finde ich intereßant und in der heutigen Beliebigkeit geradezu erfrischend. Nun aber :
Tatsächlich fand genau während der Scholastik diese Trennung aus dem "ontologischem Realismus" statt. Allmählich.
Einem gewißen Abelaard haben wir's zu danken, daß solche Trennung erst mal nur ideell war.
Wäre es denn nämlich so, daß Essentialismus Gültigkeit hätte, wär's zu erklären, weshalb moralische Werte in unabläßigen Wandel begriffen sind.
Wie kommt es also, daß man aus selbigen Moral-stiftenden Quellen immerzu ethisch neu definiert?
Aber wie erklärt es sich ebenso, dass moralische Werte nie absolut sind, sie immer in Relation angewandt werden?
Aufmerksam betrachtet, könnte dies daher rühren, dass auch in der Natur Dinge selten "absolut" sind. Mit Ausnahme einiger grundlegender Gesetzmäßgkeiten.
Da fragt sich natürlich schnell, welches denn "grundlegende, naturbedingte Moralische Werte" seien.
Und schon stehen wie vor vorhin beschriebener Schwierigkeit moralische Werte vor Relation zu bewahren.
Auch mit der Telelogie wird etwas verfolgt, was den Realismus bereits vorwegnimmt. Auf der einen Seite besteht somit Kompatiblität, andererseit aber auch argumentative Befangenheit.
Denn hätten die Dinge in der Natur ein "Ziel" so entspringen diese Ziele wiederum lediglich unseren menschlichen (Werte-)Vorstellung.
Eine solche Sichtweise geht davon aus, daß das Ergebnis dem Ziel entspräche.
Damit verschließt der Scholastiker nicht nur die Augen vor möglichem übergeordnetem Ziel, (was ihm im Kern eigentlich widersprechen müßte), sondern mißachtet damit auch Vorgänge in der Natur, die auf Anhieb nicht zu erkennen sind.
In diesem Verständnis ist zB jene Auslegung der Evolution(-stheorie) eines Monsieur Lamarck vertrauter, als jene Darwin's. Oder man könnte vergleichbar ebenso auf "Spencer vs G.E.Moore" zurrückgreifen.
Denn die "naturalistische Ethik" G.E. Moore erkannte den "Reduktionismus" in den Abläufen der Natur (vereinfacht ausgedrückt & ohne daß Moore Reduktionismus postuliert hätte).
Aber die Dinge in der Natur entstehen "aus sich heraus". Die Umgebung das, was die Umstände schafft.
Das Verständnis, die Natur, die Dinge in der Natur würden ein Ziel verfolgen, ist bedauerlicherweise nicht nur "mittelalterlich", sondern zugleich sehr modern. Denn nach wie vor geistert das lamarck'sche Verständnis über evolutionsvorgänge in sehr vielen Köpfen. Weil"s einfacher zu erklären ist, weil wir Menschen uns darin auch "wiedersehen".
Wär's doch für uns nicht denkbar, oder zumindest nicht erstrebbar, ohne Ziel zu handeln.
Es ist darin also vielmehr eine Reflektion eigener Verinnerlichung zu erkennen. Der an sich kompatible Realismus wird hier auch nicht konsequent umgesetzt. Würde er das, müßte er die telelogistische Sichtweise hinterfragen, ob es dabei nicht eben doch nur um eine menschliche Reflektion handelt - also alles andere als eine "menschen-unabhängige" Sicht wie es der Realismus aber bedingen würde.
Die Kompatiblität wird also nur noch dadurch zusammengehalten, weil es in das selbige Weltverständnis paßt. Analytisch aber hält sie nicht stand.
Und eben solche Belange führten schon vor gut 1'000 Jahren zur Einsicht,daß Universalien das Eingeständnis einer Perspektive bedingen. . .
Durchaus - und da gehe ich einig - ließe sich Moral metaphysisch quasi "festmachen" bzw hat eine metaphysische Basis.
Aber eine solche Definition müßte auch Prüfungen standhalten wie etwa vor zentralen Fragen wie "kann eine Handlung sowohl moralisch als auch unmoralisch sein?".
GE Moore fand dazu den richtigen Ansatz. Denn Moral sollte quasi vom Menschen "entkoppelbar" sein. Was dem Realismus (in all seinen Spiearten ja auch nur entgegenkäme). ..
Mit philosophischen Grüßen