Die
Unmoralität eine Fähigkeit zu pervertieren, ist weit entfernt von der
moralischen Argumentation des Naturrechts, aber es ist ein wichtiger und
vernachlässigter Teil davon. Die bekannteste Anwendung der Idee liegt im
Kontext der Sexualmoral und sie wird auch in der Analyse der Moral des Lügens
verwendet. Eine weitere wichtige und vielleicht weniger
bekannte Anwendung ist die Analyse der Moral des Alkohol- und Drogenmissbrauchs. Das Thema ist besonders aktuell angesichts des aktuellen Trends
in den USA [und Europa] zur
Legalisierung von Marihuana.
Bevor
wir fortfahren, wird der Leser gebeten zu bedenken, dass das „Argument des
Missbrauchs einer Fähigkeit“ in der traditionellen Naturrechtstheorie den
Begriff der Perversion oder des Missbrauchs in einem spezifischen, technischen
Sinn verwendet. Die Perversion einer menschlichen Fähigkeit beinhaltet im Wesentlichen
beides, den Gebrauch dieser und dass dies auf eine Weise geschieht, die dem
natürlichen Ziel dieser Fähigkeit positiv entgegengesetzt ist. Wie ich schon oft erklärt
habe, ist es nicht pervers, eine Fähigkeit überhaupt nicht zu benutzen. Eine Fähigkeit zu
etwas zu gebrauchen, das lediglich anders ist als sein natürliches Ziel, bedeutet
keinen Missbrauch der Fähigkeit. Nehmen wir an, Fähigkeit F existiert um des
Zieles E willen. Es gibt nichts Missbräuchliches, wenn man F überhaupt nicht
verwendet, und es gibt nichts Missbräuchliches bei der Verwendung von F, für
ein anderes Ziel G. Was pervers ist, ist aber die Verwendung von F in einer Weise, die
aktiv verhindert, dass E realisiert wird. Es ist gerade diese Gegensätzlichkeit zur Fähigkeit,
diese völlige Frustration ihrer Funktion, die das Herz des Missbrauchs ausmacht.
Es
ist auch nicht unbedingt pervers, etwas anderes als die eigenen natürlichen
Fähigkeiten auf eine Weise zu benutzen, die seinem Ziel entgegensteht (z. B.
mit einer Zahnbürste das Waschbecken zu reinigen, statt die Zähne, oder eine
Pflanze oder ein Tier als Nahrung zu verwenden). Beim moralischen Denken geht es darum, was
ich, der moralisch Handelnde, tun sollte. Weil bestimmte Handlungen meine eigenen
natürlichen Ziele, die für das, was gut für mich ist, konstitutiv sind, aktiv
vereiteln, stellen sie eine missbräuchliche Ausübung der praktischen Vernunft
dar. Das
zu tun, was eine andere Sache frustriert, vereitelt nicht per se meine eigenen natürlichen Ziele und ist daher im relevanten
Sinn nicht per se pervers. (Es kann oder kann
auch nicht aus einem anderen Grund falsch sein, aber das ist eine andere Frage).
Wie ich an anderer Stelle gesagt habe, ist die Pervertierung einer Fähigkeit auf
diese Weise vergleichbar mit ihrer Irrationalität mit einem performativen
Selbstwiderspruch.
Ich
habe in meinem Artikel "In Defense
of the Perverted Faculty Argument" aus meinem Sammelband "Neo-Scholastic Essays" ausführlich die Natur dieses Arguments dargelegt. Ich antworte dort auf alle
üblichen Einwände, von denen die meisten auf Missverständnissen beruhen. Der uneingeweihte Leser, der dem „Argument des Missbrauchs einer
Fähigkeit“ widerspricht, wird dringend gebeten, diesen Aufsatz zu lesen, bevor
er diesen Beitrag kommentiert […].
Weiter
zu unserem Thema: Die Standardposition des Naturrechts ist, dass der Konsum von
Alkohol oder Drogen immer und intrinsisch unmoralisch ist, wenn er (a) die
Vernunft untergräbt, und (b) um eines Zielen willen geschieht, das nicht der
Vernunft entspricht. Wenn die Bedingungen (a) und (b) nicht beide
erfüllt sind, ist der Gebrauch von Alkohol oder Drogen nicht immer und an sich
falsch (auch wenn bestimmte Umstände es falsch machen könnten). Lassen Sie uns auf diese beiden Bedingungen näher eingehen.
Zunächst:
Was zählt als die Vernunft versetzend? Es ist nicht problematisch, die eigene
Stimmung zu verändern. Wie der thomistische Naturrechtstheoretiker John C. Ford in
seinem Buch Man takes a Drink: Facts and
Principles about Alcohol feststellt, betrachtet die naturrechtliche
Position den Konsum von Alkohol als legitim, wenn er lediglich zu einer „milden
Hebung“ oder zu einer angenehmen Entspannung führt – einer milde Euphorie“ (S.
52), „oder einer milden Entspannung oder leichten Erheiterung oder Fröhlichkeit“.
(S. 56). Die eigene Vernunft kann in diesem Fall immer noch vollkommen für ihr
Verhalten verantwortlich sein. […]
Das
Problem beginnt, wenn der Verstand entweder nicht mehr zuständig ist oder seine
Kontrolle beeinträchtigt ist. Dies wäre zum Beispiel der Fall bei jemandem, der so viel
getrunken hat, dass er nicht klar denken oder wahrnehmen kann oder dessen
moralische Hemmungen sich gelockert haben, oder dessen andere Hemmungen soweit
abgesenkt sind, dass er Dinge tut, die er sonst zu peinlich fände zu tun, oder dessen
motorische Fähigkeiten beeinträchtigt wurden.
Was ist mit Zustand (b)? Etwas zu tun, von dem man weiß, dass es die
Vernunft außer Kraft setzt, ist nicht immer und an sich falsch. Zum Beispiel, wie Thomas schreibt:
Denn es steht nicht im Widerspruch zur Tugend, wenn der Akt der
Vernunft manchmal für etwas unterbrochen wird, das in Übereinstimmung mit der
Vernunft geschieht, andernfalls wäre es gegen die Tugend, wenn sich ein Mensch
in den Schlaf versetzen würde. (Summa Theologiae II-II.153.2).
Die Art von rationalem Ding, die der Mensch
ist, - ein rationales Sinneswesen -, und unsere Sinnlichkeit verlangt von uns,
dass wir schlafen, was die Vernunft vorübergehend unterbricht. Das steht nicht im Widerspruch zu unserer
Natur, denn der Sinn des Schlafes besteht ja gerade darin, die Gesundheit des
ganzen rationalen Sinneswesens zu erhalten.
Ebenso, wenn wir um einer Operation willen eine Betäubung vornehmen,
unterbrechen wir vorübergehend die Vernunft, handeln aber nicht gegen die
Vernunft, gerade weil es unser Ziel ist, den gesamten Organismus zu erhalten, von
dem die Vernunft eine Fähigkeit ist. Aus
dem gleichen Grund gilt, wenn Alkohol oder Drogen für medizinische Zwecke
verwendet werden, obwohl dies damit einhergeht, dass sie die Vernunft
untergraben, ist ein solcher Gebrauch nicht unbedingt falsch. Die Situation ist analog zur Amputation eines
erkrankten Körperteils, um den ganzen Körper zu erhalten. Die Vernunft setzt sich gerade um der
Erhaltung willen vorübergehend außer Kraft.
Was falsch ist, ist, wenn die Vernunft um willen
von etwas untergraben wird, das schlechter ist als die Vernunft, wie wenn
jemand absichtlich bis zur Suspendierung der Vernunft trinkt, nur um der
intensiveren Sinnesfreude willen, die dies mit sich bringen würde. Die Vernunft, die sich selbst untergräbt, um
Willen von etwas, das niedriger als die Vernunft ist, ist pervers, im wörtlichen
Sinne „Arguments des Missbrauchs einer Fähigkeit“. Es ist die Vernunft, die direkt im Widerspruch
zu ihrem eigenen natürlichen Ziel steht und nicht nur anders als ihr
natürliches Ziel. Es handelt sich im
Wesentlichen um ein rationales Sinneswesen, das bewusst versucht, aus sich
selbst, wenn auch nur teilweise und vorübergehend, ein nicht-rationales Sinneswesen
zu machen.
Natürlich gibt es auch andere Überlegungen,
die den Rausch moralisch problematisch machen, wie z.B. die Gefahren für
Gesundheit und Sicherheit, die er mit sich bringen kann. Aber es ist die Perversion der rationalen
Fähigkeit, die es immer und von Natur aus falsch macht, Alkohol oder Drogen so
weit zu benutzen, dass sie die Vernunft um der bloßen Sinnesfreude willen
untergraben. Es ist eine Art
Selbstverstümmelung der Rationalität, der höchsten und unverwechselbaren menschlichen
Fähigkeit. Ford schreibt:
Es ist interessant festzustellen, dass einige Theologen die
Trunkenheit, insbesondere die gewöhnliche Trunkenheit, unter dem Gebot "Du
sollst nicht töten" behandeln. Das
Fünfte Gebot, neben dem Verbot des Mordes und der Selbstzerstörung, dient dazu,
die Selbstverstümmelung zu verbieten und eine angemessene Sorge um das eigene
Leben und die eigene Gesundheit zu befehlen.
Es gibt auch eine psychologische Angemessenheit, wenn man Trunkenheit
als eine Art Selbstmord betrachtet.
Besonders für den Alkoholiker hat jeder Becher einen kleinen Tod in
sich, ein wenig von dem Vergessen, das er sucht, bewusst oder unbewusst. (p.
74)
Fords These, dass der Trinker oder Kiffer
eine Art vorübergehenden Selbstmord seiner Rationalität sucht, wird durch die
Art und Weise unterstützt, wie bestimmte Beschreibungen wie z.B. verloren,
zerschlagen, bombardiert, gehämmert, versteinert, tot getrunken usw.,
zustimmend verwendet werden.
Ein gängiger libertärer rhetorischer Trick
ist es, so zu sprechen, als ob es Heuchelei oder Inkonsistenz bei der Akzeptanz
von Alkohol gibt, während andere berauschende Substanzen abgelehnt werden. Das ist ziemlich albern und übersieht eine
offensichtliche Unterscheidung. Es ist
für die meisten Menschen einfach, Alkohol in der gemäßigten Art und Weise zu
konsumieren, die lediglich zu der „milden Heiterkeit" oder „Fröhlichkeit“
führt, die die Vernunft nicht untergräbt, und sehr viele Menschen benutzen ihn
tatsächlich gewöhnlich genau auf diese Weise.
Im Gegensatz dazu werden viele andere Drogen gerade deshalb eingesetzt,
um ein Hoch zu erreichen, das die Vernunft untergräbt. Wenn jemand den Freizeitalkoholkonsum nur
insoweit billigt, als er die Rationalität nicht untergräbt, und den
Freizeitkonsum anderer Drogen nur insoweit missbilligt, als er die Rationalität
untergräbt, dann gibt es keine Heuchelei oder Inkonsistenz.
Sicherlich ist es richtig, dass die
Sensibilität dafür, welche Stoffe in Maßen verwendet werden dürfen, in gewissem
Maße kulturell relativ sein kann und lediglich Vorurteile widerspiegelt. Ford gibt ein amüsantes Beispiel, um den
Sachverhalt zu veranschaulichen:
Erst vor wenigen hundert Jahren protestierten die gläubigen
Priester eines bestimmten Ordens in Europa erbittert gegen die Einführung des
Kaffees beim Frühstück. Sie behaupteten,
er sei teuer, luxuriös, importiert und exotisch, nicht im Einklang mit der religiösen
Armut und nicht angemessen für Männer, die Gott geweiht sind. Sie bestanden darauf, ihr traditionelles
Frühstücksgetränk, das Bier, beizubehalten. (p. 58)
Gleichwohl beruhen nicht alle Bedenken
hinsichtlich des Konsums einer Droge auf rein kulturellen Vorurteilen und der
Zwang, die bewusste Aussetzung der Vernunft zu vermeiden, ist ein objektives
und klares Kriterium, anhand dessen man Substanzen unterscheiden kann, die in
Maßen verwendet werden können, und solche, die man ganz und gar vermeiden sollte.
Wie Platon im Staat warnte, neigen egalitäre Gesellschaften dazu, sich immer stärker
von der Anziehungskraft der niedrigeren Gelüste beherrscht zu lassen und immer ungehaltener
sich vom Beistand der Vernunft bestimmen zu lassen. Wie bei dem immer tiefer werdenden Eintauchen
unserer Gesellschaft in die Sünden des Fleisches und dem Aufkommen des
lächerlichen "Schlemmer-Phänomens“ spiegelt sich diese Dekadenz in der
zunehmenden Nachlässigkeit gegenüber dem Drogenkonsum wider und nicht in einem
sorgfältigen und konsequenten Nachdenken über das Thema. Wenn Sie Platon nicht hören wollen, hören Sie
wenigstens Animal House.
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