Nach der klassischen aristotelischen Wahrheitstheorie ist
eine Aussage wahr, genau dann, wenn die Aussage mit der Tatsache übereinstimmt.
Dabei ist vorausgesetzt, dass nur Aussagen, bzw. Propositionen wahr sind. Es
gibt verschiedene andere Definitionen dieser klassischen Wahrheitstheorie, die
auch als Korrespondenztheorie der Wahrheit bezeichnet wird, doch dies ist in
unserem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung.
In der neueren Philosophie heißt es, dass eine Aussage durch
einen „Wahrmacher“ (truthmaker) wahr gemacht wird. Was ist damit gemeint und
wie unterscheidet sich diese Auffassung von der klassischen Wahrheitstheorie?
Die Wahrmacher-Theorie behauptet zurecht, dass dann, wenn
eine Aussage wahr ist, es etwas geben muss, was diese Aussage wahr macht. Das
ist zunächst nichts ungewöhnliches, sondern entspricht dem gesunden
Menschenverstand. Wenn ich sage: „Der Bleistift liegt auf dem Schreibtisch“,
dann ist diese Aussage genau dann wahr, wenn ein bestimmter Bleistift auf einem
bestimmten Schreibtisch liegt. Wenn ich nun sage: „Helmut Schmidt war von 1974
bis 1982 deutscher Bundeskanzler“, dann muss es, nach Auffassung der
Wahrmachertheorie auch etwas geben, was diese Aussage wahr macht. Nun bezieht
sich diese Aussage aber auf eine vergangene Tatsache. Der Präsentismus, den ich
in einem früheren Blogbeitrag kurz vorgestellt habe
und der eine Grundlage der aristotelisch-thomistischen Philosophie darstellt,
behauptet nun aber – so sagt der Truthmaker-Theoretiker – dass nur das
Gegenwärtige existiert. Dies bedeutet aber, so weiterhin der Verteidiger der
Wahrmachertheorie, dass es keinen Wahrmacher für die Aussage über Bundeskanzler
Helmut Schmidt gibt, weil dieser nicht mehr existiert. Es gibt also nichts, was
die Aussage „Helmut Schmidt war von 1974 bis 1982 deutscher Bundeskanzler“ wahr
macht. Dies ist ein wichtiger Einwand gegen den Präsentismus, der selbst von
Aristotelikern anerkannt wird, die deshalb den Präsentismus in Frage stellen.
Über dieses Thema gibt es in der Fachliteratur sehr viele
Debatten, die ich hier nicht vorstellen möchte. Ich glaube auch nicht, dass
dieser Einwand den Präsentismus widerlegt. Ich bin trotzdem überzeugt, dass es
richtig ist, wenn man sagt, dass eine Aussage nur dann wahr ist, wenn es etwas
gibt, dass sie wahr macht. Die Wahrmachertheorie behauptet, dass Tatsachen oder
Sachverhalte zeitlos existieren und weil dies der Fall ist, ist die Aussage
über unseren fünften Bundeskanzler wahr. Die Aussage ist nicht davon abhängig,
dass Bundeskanzler Helmut Schmidt heute existiert, sondern diese Tatsache
existiert unabhängig von Raum und Zeit. Bei der Zeit handelt es sich z.B. nur
um bestimmte Relationen, wie z.B. der Relation „früher als“, die zwischen einem
gegenwärtigen und einem vergangenen Ereignis besteht. Eine solche Relation
könnte gar nicht bestehen, wenn das vergangene Ereignis nicht mehr existieren
würde, denn dann gäbe es nichts, worauf sich die Relation bezieht. Philosophen
die Zeit in diesem (oder in ähnlichem) Sinne denken, werden als Eternalisten
bezeichnet, d.h. sie sind der Auffassung, dass alles ewig existiert.
Dagegen halten „Präsentisten“, wie die meisten
Aristoteliker, weiterhin daran fest, dass nur das Gegenwärtige existiert. Doch
wie begegnet man dem Einwand des Truthmaker-Theoretikers?
Die Aussage, dass der Bleistift auf dem Schreibtisch liegt
ist deshalb wahr, weil es gegenwärtig zwei räumliche Gegenstände gibt – den Bleistift
und den Schreibtisch – und weil eben der Bleistift gegenwärtig auf dem
Schreibtisch liegt. Aber verschiedene Aussagen haben unterschiedliche „Wahrmacher“.
Es gibt fiktionale Aussagen über Geschichten in Romanen oder Spielfilmen, die
auf eine andere Weise wahr sind, als Aussagen über Bleistifte und
Schreibtische. Es gibt auch Aussagen, die gar keine Bezug zu Raum und Zeit
haben und dennoch wahr sind, um ein Beispiel Edward Fesers zu verwenden: „Sie
können sich bei jemandem entschuldigen, indem Sie zu ihm sagen: ‚Es tut mir
leid‘“. Eine solche wahre Aussage hat keinen Bezug zu räumlichen Gegenständen,
sondern beruht auf Konvention zwischen Menschen einer bestimmten Kultur. Der „Wahrmacher“
dieser Aussage ist also eine bestimmte Konvention.
Oder betrachten Sie die Aussage 2+2=4. Zweifellos eine wahre
Aussage. Doch was macht diese Aussage wahr? Auch hier gibt es keinerlei
räumliche oder zeitliche Objekte, auf die sich diese Aussage bezieht, aber die
Wahrheit dieser Aussage beruht auch nicht bloß auf Konventionen. Die Aussage
ist wahr auf Grund bestimmter Beziehungen zwischen Begriffen, was das auch
immer bedeuten mag.
Dies heißt aber kurz gesagt nichts anderes, als dass die
Aussage „Helmut Schmidt war von 1974 bis 1982 deutscher Bundeskanzler“ dadurch
wahr wird, dass Helmut Schmidt in dieser Zeit tatsächlich der deutsche
Bundeskanzler war. Es sagt überhaupt nichts darüber, dass der Wahrmacher
eine Tatsache über etwas sein muss, das gegenwärtig existiert, im Gegensatz zu
einer Tatsache über etwas, das früher existiert hat. Der Präsentist kann sagen, dass, solange es
der Fall ist, dass Helmut Schmidt usw. Dinge sind, die früher existierten, obwohl
sie nicht mehr existieren, wir einen "Wahrmacher" für diese Aussage
haben.
Natürlich könnte der Kritiker des Präsentismus dies aus
verschiedenen Gründen bestreiten. Er
könnte zum Beispiel darauf bestehen, dass vergangene Ereignisse tatsächlich ebenso
existieren wie gegenwärtigen, und dass die Existenz dieser vergangenen
Ereignisse ein plausiblerer Kandidat dafür ist, ein Wahrmacher für die Aussage
zu sein, dass Helmut Schmidt von 1974 bis 1982 deutscher Bundeskanzler war, und
dass der vom Präsentisten vorgeschlagene Kandidat dies nicht ist. Aber wenn dies vom Truthmaker-Theoretiker so
vorgebracht wird, dann setzt er schlicht das voraus, was vom Präsentisten in
Frage gestellt wird. Denn natürlich würde der Präsentist bestreiten, dass vergangene
Ereignisse existieren.
Alternativ könnte der Kritiker des Präsentismus vermeiden,
diese Frage zu stellen, und stattdessen versuchen, eine andere Art von Antwort vorzustellen. Er könnte sagen, dass an
der Vorstellung einer Tatsache, dass etwas früher existierte, etwas faul
ist. Wie kann es jetzt eine
Tatsache über etwas geben, das nicht mehr real ist? Wenn er das aber tut, dann kann er auch
sagen, dass an den Ideen von Tatsachen über fiktive Geschichten, oder
menschliche Konventionen, oder über abstrakte Entitäten, oder über bloße Möglichkeiten,
oder runde Quadrate, oder was auch immer, etwas faul ist.
Aber in diesem Fall ist klar, dass es nicht wirklich das „Wahrmacherprinzip"
an sich ist, worum es beim genannten "Wahrmacher-Einwand"
gegen den Präsentismus geht. Vielmehr
handelt es sich um eine andere Art von ontologischem Anliegen, wie z.B. die
Frage über die Natur von Tatsachen. „Truthmaking"
an sich ist einfach zu vage, um eine ernsthafte metaphysische Arbeit zu
leisten.
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