Der Hylemorphismus, die aristotelisch-thomistische Theorie
von Form und Materie ist das Fundament der gesamten Philosophie der materiellen
Welt. Der Hylemorphismus baut auf die noch allgemeinere Akt-Potenz-Theorie auf, die über den Bereich der materiellen Entitäten hinausgeht; der
Hylemorphismus ist die Anwendung dieser Theorie auf den Bereich der materiellen
Welt, für den Bereich der Entstehung, der Bewegung, Veränderung und des
Werdens.
Jede Potenz ist immer eine Potenz für eine bestimmte
Aktualität. Sie richtet sich auf etwas, das über sie selbst hinaus weist,
nämlich auf ein Ziel oder einen Zweck. Die Potenzialität eines Dinges zu
verstehen bedeutet, die Finalität des Dinges zu verstehen. Die Potenz eines Dinges
kann nur durch etwas aktualisiert werden, das bereits aktual ist, d.h. keine
Potenz aktualisiert sich selbst. Deshalb versteht man die Entstehung oder jede Veränderung
eines Dinges, d.h. die Aktualisierung in verschiedenster Hinsicht, wenn man die
effiziente Kausalität versteht. Finale und effiziente Ursachen sind die extrinsischen
Prinzipien des Seins einer Entität. Von hier aus kann man nun den Hylemorphismus
verstehen.
Stellen Sie sich einen dieser Stifte vor, mit denen man auf
die Oberfläche sogenannter Flipcharts schreiben kann, so dass man die Schrift
später wieder trocken abwischen kann. Die Tinte in diesen Flipchart-Stiften ist
flüssig, doch sie hat die Potenz zu trocknen, nämlich z.B. an der Oberfläche
des Flipcharts, in einer bestimmten Figur, wie einem Kreis. Wenn Sie den Stift
benutzen um damit einen Kreis zu zeichnen, wird diese Potenz der Tinte im Stift
aktualisiert. Sobald die Tinte am Flipchart getrocknet ist, ist diese Potenz
aktualisiert und hat jetzt andere Potenzen, wie z.B. die Potenz, von der Tafel
entfernt zu werden mit einem Lappen, wodurch die Partikel auf der Tafel zu
Staub werden.
Bei diesem Vorgang können wir nun verschiedene Dinge
unterscheiden: zunächst ein bestimmbare Substrat das gewissermaßen der Sitz
dieser Potenz ist, nämlich die Tinte. Weiterhin haben wir eine Reihe bestimmender Muster, die das Substrat, die Tinte, annehmen kann, wenn die verschiedenen
Potenzen aktualisiert sind, Muster wie „flüssig“, „trocken“, „kreisförmig“, „staubteilchenförmig“.
Das bestimmbare Substrat der Potenz ist nun das, was die Scholastiker als
Materie bezeichnen und die bestimmenden Muster sind das, was sie als Form
bezeichnen. Wenn es wirkliche Veränderungen gibt, woran kaum Zweifel bestehen,
dann gibt es auch Form und Materie. Die Materie ist das, was in einer Veränderung
aktualisiert werden muss und die Form ist das, was das Ergebnis der
Aktualisierung ist.
Jedes bestimmende, aktualisierende Muster gilt als Form in
diesem Sinne, nicht nur die Gestalt eines Dinges, sondern auch die Farbe, die
Temperatur, die Größe und alle anderen Bestimmungen, die eine Entität annehmen
kann.
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