Im Ausgang von der Unterscheidung zwischen Form und Materie
haben scholastische Philosophen eine weitere Unterscheidung zwischen einer
substantiellen und einer akzidentellen Form eingeführt. Diese Unterscheidung
ergibt sich wieder aus einem Unterscheid, die sich auch schon bei Aristoteles
findet, nämlich zwischen vom Menschen gefertigten Dingen, wie einer Hängematte,
die Tarzan aus Lianen geflochten hat und akzidentellen Zusammenstellungen, wie
einem Haufen Steinen. Die Bestandteile aus denen Tarzans Hängematte besteht –
die Lianen – und die Steine, aus denen der Haufen besteht, sind natürliche
Gegenstände bzw. Substanzen.
Edward Feser erläutert diesen Unterschied gerne am Beispiel
Tarzans, der sich mit Hilfe von Lianen von Baum zu Baum schwingt und aus Lianen
eine Hängematte bildet, in der er sich ausruht. Bei der Liane handelt es sich
um einen natürlichen Gegenstand, bei der Hängematte um ein Artefakt, einem vom
Menschen hergestellten Gegenstand. Die Teile der Liane haben eine inhärente
Tendenz zusammenzuwirken um es der Liane zu erlauben, nach bestimmten
Wachstumsmustern zu wachsen, Wasser und Nährstoffe aufzunehmen usw. Demgegenüber
haben die Teile der Hängematte, die aus Lianen hergestellt wird, keine
inhärente Neigung so zusammenzuwirken, dass sie zu einer Hängematte werden.
Dazu müssen sie von außen, durch Tarzan, in diese bestimmte Weise
zusammengesetzt werden, um diesem bestimmten Zweck zu dienen. Der Zweck der
Zusammensetzung der Teile zu einer Hängematte ist den Teilen der Liane in
diesem Fall äußerlich.
Dieser Unterschied zwischen dem, was ein intrinsisches Prinzip
seiner Tätigkeit hat und dem, das ein solches Prinzip nicht hat, ist im Wesentlichen
der Unterschied zwischen etwas, das eine substantielle Form hat und dem, was
nur eine akzidentelle Form hat. Eine Liane zu sein beinhaltet, eine
substantielle Form zu haben, während eine Hängematte zu sein beinhaltet das „Aufzwingen“
einer akzidentellen Form auf zusammengesetzten Dingen, deren Bestandteile
bereits eine substantielle Form haben, nämlich in unserem Beispiel die
substantielle Form der Liane. Eine Liane ist eine echte Substanz in dem Sinne,
wie scholastische Philosophen eine Substanz verstehen. Eine Hängematte ist
keine echte Substanz und zwar genau deshalb nicht, weil sie, als Hängematte,
keine substantielle Form hat, d.h. ein intrinsisches Prinzip ihrer Tätigkeit.
Die Hängematte hat nur eine akzidentelle Form. Typischerweise sind natürliche
Gegenstände Substanzen, während, wie Thomas von Aquin mit Bezug auf Aristoteles
sagt, „einige Dinge keine Substanzen sind, wie dies besonders bei Artefakten
klar ist.“ (Sententia super Metaphysicam, VII.17.1680).
Die Tendenzen in der Liane sind ein paradigmatisches
Beispiel für intrinsische Finalität oder Teleologie und diese Art der Finalität
ist ein Kennzeichen der Gegenwart einer substantiellen Form. Denn diese
Tendenzen beinhalten eine Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel – Wachstumsmuster
einer bestimmten Art, Wasseraufnahme und Aufnahme von Nährstoffen usw. – die eine
Liane genau deshalb hat, weil sie eine Liane ist. Im Gegensatz dazu sind die
Tendenzen der Hängematte paradigmatische Beispiele für eine extrinsische
Finalität oder Teleologie, die von außen auferlegt wird. Es gibt diese Neigung
der Hängematte, z.B. sich darin bequem auszuruhen, nur insofern, als sie der
Hängematte von einem Hersteller hinzugefügt wird.
Allerdings sind nicht alle akzidentellen Formen das Ergebnis
von Herstellung. Ein Haufen von Lianen, der zufällig so zusammenliegt, dass er
ähnlich wie eine Hängematte aussieht, hat als dieser Haufen keine substantielle
Form, genau wenig wie ein Haufen Steine, der von einem Berghang herabgerutscht
ist. Es handelt sich bei diesen Dingen um akzidentelle Zusammensetzungen, die,
obwohl sie gewissermaßen „natürlich“ entstanden sind, keine Substanzen sind.
Zudem sind auch nicht alle Dinge, die von Menschen erzeugt
werden, Artefakte. Dies wird deutlich am Beispiel des Feuers. Feuer ist etwas
natürliches, auch dann, wenn es von Menschen entzündet wird. Und Wasser, das im
Labor synthetisiert wurde, ist gleichwohl natürliches Wasser und unterscheidet
sich nicht wesentlich von Wasser, das als Regen vom Himmel fällt. Die bekannte
Philosophin Eleonore Stump hat darauf hingewiesen, dass es auch Dinge gibt, die
nicht unabhängig von menschlichen Eingriffen existieren und die dennoch eine
substantielle Form besitzen und in diesem Sinne „natürlich“ sind. Als Beispiel
dafür hat sie Styropor beschrieben (E. Stump: Aquinas, S. 44).
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