Mittwoch, 7. Januar 2015

Ein Streit zwischen Scholastikern

Bezüglich der Natur der substanzielle Form und der prima materia gibt es zwischen den verschiedenen scholastischen Schulen – Thomisten, Scotisten und der Schule von Suarez – einen Streit. Im Unterschied zu Thomas sind Suarez und Duns Scotus der Auffassung, dass die Urmaterie unabhängig von einer substanziellen Form existieren kann. Die Auseinandersetzung über diese Frage hält bis heute an und die Argumente für die Theorien Duns Scotus‘ und Suarez‘ finden sich in einem Werk, das der Verlag editiones scholasticae vor etwa zwei Jahren neu herausgegeben hat. Hier eine kurze Zusammenfassung der Auseinandersetzung, wie sie sich „Scholastic Metaphysics“ von Edward Feser findet.




Die Gründe für die Behauptung der beiden Kontrahenten zu Thomas, dass die materia prima auch ohne Form existieren kann, hängen wesentlich mit deren Auffassung zusammen, dass es sich bei der Unterscheidung zwischen Wesenheit und Existenz nicht um eine reale, sondern nur um eine logische Unterscheidung handelt. Dies ist auch leicht einsehbar, denn wenn die Wesenheit der Urmaterie nicht von deren Existenz verschieden ist, dann muss sie als solche existieren. Thomas hingegen argumentiert für eine reale Unterscheidung von Wesenheit und Existenz und weist deshalb dieses Argument zurück.

Thomisten argumentieren außerdem gegen die Annahme eine selbständigen prima materia mit dem folgenden Argument: Wenn die prima materia irgendeine Art von Aktualität, also Wirklichkeit besitzt, dann könnte eine Form die diese Materie informiert, nur eine akzidentelle Form sein und keine substanzielle Form. Dies hätte aber zur Folge, dass jede substanzielle Veränderung nichts anderes als eine akzidentelle Veränderung wäre; anders gesagt: es gäbe keine substanzielle Veränderung an den Dingen dieser Welt.

Einen anderen Streit zwischen Thomisten und anderen Scholastikern gibt es über die Frage, wie viele substanzielle Formen ein Ding haben kann. Die überwiegende Mehrheit der Scholastiker vor Thomas – einschließlich seines großen Lehrers Albertus Magnus – waren der Überzeugung, dass ein Ding mehr als nur eine Form haben kann. Scotus z.B. war der Auffassung, dass ein Lebewesen zwei substanzielle Formen hat, nämlich die substanzielle Form des körperlichen Dinges und die substanzielle Form des Lebens, oder des lebendigen Dinges. Denn, so argumentiert Scotus, wenn das lebendige Ding stirbt, bleibt dessen Körper für eine bestimmte Zeit noch erhalten; es dauert oft Tage, bis dieser zerfällt. Deshalb, so die Argumentation, muss die substanzielle Form des lebendigen Dings die substanzielle Form des körperlichen Dinges sozusagen „überlagern“.

Thomisten haben dagegen eingewendet, dass es nicht mehr als eine substanzielle Form für ein materielles Ding geben kann. Jede Substanz hat nur eine Form. Die prima materia ist potentiell eine Substanz. Wenn nun die prima materia durch eine Form informiert wird, wird diese Potenz aktualisiert, so dass die Materie nicht mehr nur potenziell, sondern wirklich eine Substanz ist. Die Materie kann ihre Form verlieren und eine andere Substanz werden, in dem sie eine neue Form annimmt, was man als substanzielle Veränderung bezeichnet. Sie kann aber nicht die gleiche substanzielle Form behalten und zugleich eine zweite substanzielle Form annehmen.


Dieses Problem hängt mit zum zuerst dargestellten zusammen: Wenn ein Lebewesen eine vom Körper getrennt existierende substanzielle Form hätte, die zu dem Körper hinzugefügt würde, wäre diese Form keine substanzielle, sondern nur eine akzidentelle Form. Ein Lebewesen wäre dann nicht eine echte Substanz als Lebewesen, sondern nur als Körper. Es ist ein und dieselbe Form durch die ein Lebewesen lebendig und körperlich ist. Nach dem Tod verliert das Lebewesen die substanzielle Form und nimmt eine andere substanzielle Form eines anderen Körpers an, der oberflächlich dem Körper des gestorbenen Lebewesens ähnelt. Oder der tote Körper nimmt eine Vielzahl substanzieller Formen an, die ein Aggregat neuer Substanzen werden, was der Grund dafür ist, dass ein gestorbener Organismus sofort nach dem Tod zu zerfallen beginnt und nicht als ein einheitlicher Gegenstand erhalten bleibt.

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