Freitag, 6. Februar 2015

„Nichts anderes als“: Moderner Atomismus

Ein weiteres Problem des Atomismus besteht darin, dass auch ihre modernen Vertreter nicht in der Lage sind, die fundamentalsten Unterscheidungen in der Natur zu erklären, wie sie vom Hylemorphismus angenommen werden. Diese Unterscheidungen sind die zwischen der organischen und anorganischen Natur einerseits, und zwischen dem vegetativen und dem sinnlichen bzw. tierischen Leben andererseits. Eine dritte Unterscheidung betrifft die zwischen dem tierischen oder sinnlichen Lebewesen und dem menschlichen Leben. Dass sich die menschliche Rationalität nicht auf eine bloß sinnliche Lebensform reduzieren lässt, ist nicht nur durch Argumente gegenwärtiger Denker in der scholastischen Tradition bewiesen worden, sondern auch durch die wohlbekannten Schwierigkeiten mit denen Gegenwartsphilosophen konfrontiert sind, wenn sie in der Philosophie des Geistes versuchen, eine naturalistische Erklärung für propositionale Einstellungen zu geben.




Ein anderes Problem der naturalistischen Philosophie des Geistes besteht in der Unmöglichkeit, sinnliche Phänomene wie die sogenannten Qualia, also phänomenale Qualitäten wie den Geruch von Harzer Käse oder den Geschmack von Kirschen, auf physikalische Phänomene zu reduzieren. Ähnliches gilt für die reduktionistischen Versuche, organische Phänomene auf anorganische Phänomene zu reduzieren. Selbst die Reduzierbarkeit der Chemie auf Physik wurde in jüngster Zeit wieder in Frage gestellt (van Brakel, 2000, Kapitel 5) 

Natürlich würden moderne reduktive oder eliminative Materialisten diese Argumente angreifen, doch das Problem ist, dass selbst es selbst unter Gegenwartsphilosophen, die einer breiten materialistischen Interpretation nicht abgeneigt sind, eine Kontroverse darüber gibt, ob irgendeine Ebene der Wirklichkeit auf eine andere Ebene reduzierbar ist oder sogar eliminiert werden kann. Dies würde man aber nicht erwarten, wenn der Erfolg des Atomismus und seiner modernen Nachfolger über den Hylemorphismus sicher wäre.

Und damit sind wir bei einem dritten Problem des Atomismus und seiner modernen Anhänger, dass nämlich selbst solche reduktionistischen Analysen die offensichtlich richtig zu sein scheinen, bei näherer Untersuchung sich als höchst problematisch erweisen. So scheint es zunächst unproblematisch zu sein, einen Stein auf seine atomaren Teilchen zurückzuführen, so dass der Stein „nichts anderes ist als“ (eine typische Redensart von Reduktionisten) als eine Ansammlung von Atomen, die „steinartig“ zusammengesetzt sind. Dementsprechend wäre der Stein selbst unwirklich und nur die Atome, durch die er gebildet wird, real. Durch Crawford Elder (2004, S. 50-58)  hat gezeigt, dass selbst eine solche Reduktion illusorisch ist. Er stellt die Frage, worum ausgerechnet diese besondere Gruppe von Partikeln es sind, dass es der Fall ist, dass gerade sie und nur sie – und nicht irgendeine Untergruppe dieser Partikel oder zusätzliche Partikel – „steinartig“ zusammengesetzt sind? Wenn man die Antwort auf diese Frage dadurch gibt, dass man die Partikel mit dem Stein als Ganzem identifiziert, dann ist diese Antwort zirkulär. Wenn man aber den Stein als Ganzen außer Acht lässt und nur die Atome betrachtet, dann gibt es keine Möglichkeit diese Atome zu identifizieren und ihre Beziehung zueinander in dem Stein zu erklären.

Es gibt weitere Probleme des Atomismus und seiner modernen Varianten, die wir hier unerwähnt lassen (vgl. Edward Feser: Scholastic Metaphysics, S. 182ff.)


Im nächsten Beitrag dieses Blogs geht es dann um antireduktionistische Ansätze in der modernen analytischen Philosophie (Feser, S.184ff.)

1 Kommentar:

  1. Der Begriff organisch steht in der modernen Chemie für die Chemie der Kohlenstoffverbindungen. In der Naturwissenschaft sind Lebewesen nicht wesensverschieden von der unbelebten Natur, hochkomplexe Automaten aus Molekülen (die wiederum aus Atomen (!) bestehen), die über ein System abgestuften Energiegefälles (gespeichert als Bindungen) betrieben werden. Erkenntnisse folgen typischen Methoden: statistische Signifikanz, Peer-Review, Impact Factor. Das im Bible Belt virulente ID wird mit Ockham's Razor geköpft, für eklektische Ontologien interessiert man sich nicht... Verzweifelt versuchen einige "Philosophen" noch, der Neurobiologie ihren letzten Posten der "Qualia" doch noch zu entreißen.

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