In gegenwärtigen Diskussionen über den Essentialismus, also
die Auffassung, dass es Wesenheiten gibt, gibt es ein Missverständnis, dass
sich sowohl bei den Gegnern als auch bei den modernen Befürwortern des
Essentialismus findet. Das Missverständnis betrifft die Beziehung zwischen
Wesenheiten und Eigenschaften. Insbesondere in der analytischen Philosophie
werden Wesenheiten als essentielle Eigenschaften analysiert. Alle
charakteristischen Bestimmungen einer Entität werden heute unter dem Begriff „Eigenschaft“
subsummiert, wobei Essentialisten zwischen wesentlichen und unwesentlichen
Eigenschaften unterscheiden. Hier unterscheidet sich die scholastische Position
deutlich von diesen Analysen.
Nur „echte Akzidenzien“ gelten in der scholastischen
Philosophie als Eigenschaften. Das sind solche Akzidenzien, die mit einer
Entität notwendigerweise verbunden sind, also gewissermaßen „wesentliche
Eigenschaften“, die sich aber klar von der Wesenheit einer Entität
unterscheiden und zwar deshalb, weil sie sich aus dem Wesen einer Entität erst
ergeben. Daher ist schon deutlich, dass Wesenheiten nicht auf „essentielle
Eigenschaften“ reduzierbar sind. Die Wesenheit ist keine Eigenschaft!
Die Wesenheit im scholastischen Verständnis ist nicht eine
Eigenschaft oder ein Komplex von Eigenschaften, sondern das, woraus die
Eigenschaften einer Entität erfließen, dass, was die Eigenschaften erst
verständlich macht, was sie erklärt. Man kann dies am Beispiel des Menschen verdeutlichen:
Der Mensch ist ein rationales Sinneswesen. Das ist seine
Wesenheit (für unseren Zusammenhang spielt es jetzt keine Rolle, ob Sie diese
Definition des Menschen akzeptieren; Sie können auch eine andere Definition
einsetzen). Bei dieser Wesenheiten haben Menschen nun verschiedene
Eigenschaften wie z.B. die Fähigkeit der sinnlichen Wahrnehmung, die Fähigkeit
der Selbstbewegung, die Fähigkeit Begriffe zu bilden, diese zu Urteilen
zusammenzusetzen und logisch zu argumentieren usw. Aber „sinnliche Rationalität“
ist kein Komplex von Eigenschaften dieser Eigenschaften. Weder die
Sinnlichkeit, also der Komplex aus den Fähigkeiten der Wahrnehmung oder der
Selbstbewegung, noch die Rationalität, also der Komplex aus den Fähigkeiten zur
Begriffsbildung und zur Argumentation, sind die Wesenheit des Menschen.
Sinnlichkeit ist vielmehr das, wodurch
ein Sinneswesen diese Vermögen hat und Rationalität ist das, wodurch ein Mensch diese Fähigkeiten
hat.
Rationales Sinneswesen
ist eine Wesenheit, die eine bestimmte Art
bestimmt. Sinneswesen ist ein
Gattungsbegriff, unter den alle Tiere fallen und Rationalität ist die spezifische Differenz, das, wodurch sich
der Mensch von den anderen Tieren unterscheidet. Dies ist die Definition des
Menschen: animal rationale oder
rationales Sinneswesen. Diese Definition ist eine sogenannte Realdefinition
die sich von einer Nominaldefinition unterscheidet, die nur den Wortsinn oder
die Verwendungsweise eines Wortes bestimmt. Nach Aristoteles besteht eine
Realdefinition aus der Angabe der Gattung, der Art und der spezifischen
Differenz, die auch als Prädikabilien bezeichnet werden, da sie einer Substanz
wie Eigenschaften prädiziert werden kann. Metaphysisch haben sie aber einen von
Eigenschaften verschiedenen ontologischen Status. Während Gattung, Art und
Differenz konstitutive Prädikabilien
sind, handelt es sich bei Eigenschaften um charakterisierende Prädikabilien.
(Oderberg 2007, 160).
Die Wesenheit eines Dinges muss von seinen Eigenschaften
verschieden sein. Ein Grund dafür ist, dass die Behandlung der Wesenheit als
ein Eigenschaftscluster ebenso problematisch ist wie die Behandlung der
Substanz als einem Cluster von Akzidenzien. Das Problem das dadurch entsteht
ist das Problem der Einheit der verschiedenen Eigenschaften bzw. Akzidenzien. Wenn
eine Wesenheit sich auf ein bestimmtes Cluster von Eigenschaften reduzieren
lässt, dann ergibt sich nämlich die Frage, was dafür sorgt, dass all diese und
nur diese Eigenschaften zusammen diese Art von Ding ausmachen und nicht
irgendwelche anderen Eigenschaften? Analytische Philosophen verweisen zur
Beantwortung dieser Frage auf die Naturgesetze, die diesen Zusammenhang
determinieren. Doch dies ist keine Erklärung, sondern nur eine Beschreibung.
Naturgesetze setzen ihrerseits Wesenheiten voraus, denn sie sind Gesetze der Naturen,
der Wesenheiten.
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