Dienstag, 3. November 2015

Warum überhaupt Gottesbeweise?



In einer Reaktion auf meinen letzten Beitrag zum Thema Atheismus und Gottesbeweise hat ein Leser einen Kommentar auf Google+ veröffentlicht, der eher typisch für die Haltung heutiger ernsthafter Christen zu diesem Thema ist. Insbesondere Protestanten, und hier besonders die frommen Protestanten in den Freikirchen, aber seit einigen Jahrzehnten auch Katholiken, sind der Überzeugung, dass Gottesbeweise mehr oder weniger überflüssig sind, dass durch sie niemand zum christlichen Glauben findet und dass der Gott der Gottesbeweise kein Gott ist, "vor dem man niederfallen kann" und "den man anbeten kann". Diese Auffassung ist nicht nur falsch, sie führt sogar zu einem oft falschen Gottesverständnis. Daher möchte ich einige Worte zu dem Thema sagen, warum eine philosophische Analyse des Gottesbegriffs und die rationalen Beweise für die Existenz Gottes nicht nur hilfreich und sinnvoll, sondern sogar notwendig sind.




Um es gleich vorweg in provokativer Formulierung zu sagen: Eine Religion, die dem rationalen Gottesbegriff widerspricht, ist eine falsche Religion. Das hört sich so an, als ob die Philosophie darüber entscheidet, ob eine Religion wahr oder falsch ist und nicht die Offenbarung Gottes. Natürlich ist das nicht gemeint und die Offenbarungsreligionen, das sind insbesondere das Judentum, das Christentum und der Islam, gehen weit über einen natürlichen Gottesbegriff hinaus. Das gilt insbesondere für das Christentum.

Aus den Gottesbeweisen, wie sie sich nicht nur bei Thomas von Aquin finden, sondern auch bei jüdischen Autoren wie Maimonides oder bei islamischen Philosophen wie Avicenna, kann man zu einem Begriff Gottes gelangen, der zur Prüfung der Wahrheit einer Religion durchaus hilfreich ist. Wenn jemand z.B. behauptet, dass Gott sehr alt ist und einen langen Bart hat, dann ist offensichtlich, dass dies einem rationalen Gottesbegriff widerspricht, denn Gott hat kein Alter und ist immateriell. Weniger lächerliche Beispiele für falsche Religionen sind die Auffassungen, dass es tausende verschiedener Götter gibt, die an ganz bestimmten Orten gegenwärtig sind und dass es erforderlich ist, zu ihrem Unterhalt Speiseopfer darzubringen. Wodurch will ein frommer Christ (oder Jude oder Moslem) eine solche Auffassung als falsch erweisen? Nur durch den Hinweis auf die Offenbarung eines allmächtigen Gottes? Nur dadurch, dass man auf einen Gott verweist, der etwas Anderes gesagt hat? Warum sollte jemand, der an eine Vielzahl von Göttern glaubt, einer anderen Offenbarung mehr Glauben schenken, als seinem Glauben an die vielen Götter?

Nur durch rationales Argumentieren ist dieses Problem zu lösen. Und bei einem solchen rationalen Argumentieren muss man einen Ausgangspunkt wählen, der für alle akzeptabel ist. Ein solcher Ausgangspunkt sind aber allgemein akzeptierte Tatsachen unserer Alltagswelt, wie zum Beispiel, dass es Veränderung gibt, dass es Dinge gibt, dass bestimmte Dinge existieren, oder dass bestimmte Dinge unserer Umwelt und auch wir selbst nicht notwendigerweise existieren, dass wir auch nicht existieren könnten und auch einmal nicht existiert haben. Man kann auch die Tatsache zum Ausgang eines Arguments für die Existenz Gottes nehmen, dass es z.B. Dinge oder Handlungen gibt, die unterschiedlich gut sind oder dass die Dinge in unserer Umwelt, vor allem Tiere und Pflanzen, in ihren Tätigkeiten zielgerichtet und zweckvoll sind.

Ob ein Mensch, der keinen religiösen Glauben hat, der, wie man heute oft sagt, „religiös unmusikalisch“ ist, der Agnostiker ist oder gar Atheist, durch solche Argumente überzeugt wird, ist nicht das primäre Anliegen der Philosophie. Ich kenne mehrere Personen, bei denen dies aber in der Tat der Fall war, aber es ist vermutlich richtig, dass die meisten Menschen, die sich zu einer Religion bekehren, dies weniger auf Grund philosophischer Argumente tun. Aber, wie gesagt, darum geht es gar nicht in erster Linie. Sowohl der Gläubige aber auch der Atheist der nicht irrational und gefühlsgesteuert ist, muss sich mit Argumenten für die Existenz Gottes auseinandersetzen. Der Gläubige insofern, als er prüfen sollte, ob sein Glaube dem rationalen Gottesbegriff widerspricht oder nicht, der Atheist, um die Argumente für die Existenz Gottes rational zu widerlegen.

Das dies heute nicht oder kaum noch geschieht, hat seinen Grund in der nahezu vollständigen Ignorierung der scholastischen Philosophie und Theologie seit etwa 50 Jahren. Bei Protestanten war dies noch nie anders, aber dass die katholische Kirche und ihre „Theologen“ dies seit dem II. Vatikanum radikal durchgezogen haben, hat zu einem ganz entscheidenden Teil mit der heutigen Bedeutungslosigkeit der katholischen Theologie zu tun. Noch vor fünfzig Jahren wurden die scholastische Theologie und Philosophie von den meisten Philosophen und Geisteswissenschaftlern beachtet, wenn auch kritisiert und abgelehnt. Heute wird die neue, moderne katholische Theologie nicht einmal mehr abgelehnt, sondern überhaupt nicht wahrgenommen. Das liegt unter anderem daran, dass die neue Theologie nicht mehr argumentiert und damit einer ernsthaften Auseinandersetzung nicht Wert ist. Bei der neuen scholastischen Philosophie ist das glücklicherweise inzwischen anders, worauf ich in diesem Blog verschiedentlich hingewiesen habe.

Die meines Erachtens besten Gottesbeweise stammen von Thomas von Aquin. Thomas gibt insgesamt fünf Gottesbeweise und viele thomistische Philosophen sind der Auffassung, dass es sich nicht zufällig um fünf Gottesbeweise handelt, sondern das mehr als fünf Gottesbeweise auch nicht möglich sind. Man kann gegen alle diese „fünf Wege“ (wie Thomas sie in der Summa Theologiae bezeichnet) Argumente vorbringen und dies ist auch sehr oft getan worden. Mir ist aber bisher noch kein Argument begegnet, dass die Argumente Thomas von Aquins tatsächlich widerlegt hat. Viele Gegenargumente beruhen auf Missverständnissen und lassen sich durch die Auflösung der Missverständnisse lösen. Einige Argumente sind ernsthafter und verdienen eine ausführlichere Behandlung.

Ein Atheist oder wer auch immer, der gegen die Gottesbeweise argumentiert, kann nicht sagen: „Ich akzeptiere die Substanzontologie nicht und deshalb sind die thomistischen Gottesbeweise Blödsinn“; oder: „Ich halte die Akt-Potenz-Theorie für eine massive ontologische Voraussetzung, die kaum von jemandem akzeptiert werden kann und deshalb sind die thomistischen Gottesbeweise sinnlos“. Wer so etwas sagt, ist kein Philosoph, sondern möglicherweise ein Ideologe, der an einer argumentativen Auseinandersetzung nicht interessiert ist. Sei es drum: solchen Leuten kann man schlecht helfen. Ein Philosoph hingegen muss Argumente gegen die Substanzontologie vorstellen, oder gegen die Akt-Potenz-Theorie etc. Er muss die Voraussetzungen entweder akzeptieren oder selbst argumentativ wiederlegen. Auf keinen Fall ist es in der Philosophie erlaubt, eine andere Theorie einer zu kritisierenden Theorie einfach gegenüberzustellen. Es gibt ernsthafte atheistische Philosophen, die mit guten und sachlichen Argumenten gegen die thomistischen Gottesbeweise vorgehen, wie z.B. John Leslie Mackie ein leider bereits verstorbener australischer Philosoph, der nach wie vor in der analytischen Philosophie hohe Achtung geniest.

Die Voraussetzungen der thomistischen Philosophie sind sicher nicht leicht zu schlucken, doch für welche ontologischen Voraussetzungen gilt das nicht? Ich werde künftig die fünf Gottesbeweise von Thomas in diesem Blog kurz vorstellen, soweit dies im Rahmen eines Blogs möglich ist. Ich möchte aber allen Lesern die an dem Thema ernsthaft interessiert sind, unbedingt empfehlen, es nicht beim Lesen dieser Blogbeiträge zu belassen, sondern sich weitergehend zu informieren. Für englischsprachige Leser stehen dazu hervorragende Texte zur Verfügung. Für deutsche Leser kann ich derzeit nur auf die deutsche Übersetzung von Edward Fesers The Last Superstition (Der letzte Aberglaubeverweisen, ein Buch, in dem zumindest drei Gottesbeweise vorgestellt werden. Das Buch ist, im Unterschied zu anderen Schriften Fesers, oft sehr polemisch, aber gleichwohl werden die Argumente klar und leicht nachvollziehbar vorgestellt. Es gibt natürlich auch zahlreiche gute Einführungen in die Religionsphilosophie in deutscher Sprache. Ich habe (fast) alle gelesen, aber bei der Darstellung der fünf Wege Thomas von Aquins ist mir bisher leider kein Buch begegnet, das diese Beweise richtig darstellt. Insofern ist ein neues Buch in deutscher Sprache wirklichg wünschenswert.

3 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Hier lieber Schreiber kennen sie ihre Fremdwörter schlecht.

    Zitat:
    "Ob ein Mensch, der keinen religiösen Glauben hat, der, wie man heute oft sagt, „religiös unmusikalisch“ ist, der Agnostiker ist"

    Ein Agnostiker ist nicht wie sie andeuten ein Mensch ohne religiösen Glauben. Er ist nur ein Mensch der auf der Basis der Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit zu dem Schluss gelangt ist das ein Beweiß der Existentz oder eben Nicht-Existentz Gottes unmöglich ist. D.h.er kann durchaus an Gott glauben er weiß nur nicht um dessen Existenz. Ich für meinen teil bin agnostischer Theist glaube also an Gott. Was ich nicht glaube ist dass sich Gottes Existenz beweisen läßt.

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  3. Ihrer Prämisse zur Notwendigkeit von Gottesbeweißen jedoch stehe ich nicht ablehnend gegenüber, obwohl mir die Welt den Gottesbeweiß der sich als unwiederlegbar erwieß bisher schuldig blieb. Oft wird von falschen Prämissen ausgegangen oder die Logik ist fehlerhaft. Dennoch lasse ich mich was die Nicht-Beweißbarkeit Gottes angeht gerne vom Gegegenteil überzeugen, wenn mir ein überzeugender Gottesbeweis vorgelegt würde.

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