Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede zwischen der
traditionellen, d.h. aristotelischen Logik und der modernen Logik? Zu dieser
Frage gibt es so gut wie keine Darstellungen. Es wird zwar von Vertretern
beider Seiten betont, dass die Unterschiede sehr groß sind und man kann auch
eine Liste von Unterschieden nennen, durch die sich beide "Arten" der Logik
unterscheiden, aber worin der Unterschied im Wesentlichen besteht bleibt dabei
offen. Im Folgenden möchte ich diesen wesentlichen Unterschied zumindest
andeutungsweise herausarbeiten.
Was ist traditionelle
Logik?
Die traditionelle Logik geht, wie gesagt, auf Aristoteles
und andere griechische Philosophen zurück und wurde durch die mittelalterlichen
Philosophen erheblich weiterentwickelt, vereinfacht, formalisiert und systematisiert.
Im Zentrum der traditionellen Logik steht die sogenannte Syllogistik. Das
klassische Beispiel eines solchen Syllogismus ist:
Alle Menschen sind sterblich
Sokrates ist ein Mensch
Also ist Sokrates sterblich
Diese Art der Logik wird oft auch als Begriffslogik bezeichnet
und schon in diesem Titel wird der Unterschied zur modernen formalen oder
mathematischen Logik angedeutet. Die Begriffslogik behandelt vor allem (wenn
auch nicht ausschließlich) die Beziehungen zwischen Begriffen in Argumenten (in
unserem Beispiel sind das die Begriffe „Menschen“, „sterblich“ und „Sokrates“).
Die Gültigkeit eines Arguments in dieser Art der Logik ist abhängig von der
Anordnung der Begriffe im Argument.
Was ist ein Begriff?
Unter einem Begriff im traditionellen Sinne versteht man
eine essentielle Bestimmung. Essentielle Bestimmungen sind insbesondere Wesenheiten
und Eigenschaften. Begriffe werden sprachlich durch Worte ausgedrückt,
wie „Mensch“ oder „sterblich“, doch Begriffe sind nicht identisch mit Worten.
Der Begriff Mensch, der sprachlich mit dem deutschen Wort „Mensch“ ausgedrückt
wird, kann auch in jeder anderen Sprache ausgedrückt werden. Der Begriff
bezieht sich auf das, was mit dem Wort gemeint ist, nämlich auf den Menschen,
auf sein Wesen.
Moderne Logik
Da die neuzeitliche Philosophie seit Descartes und bereits
vorher im Spätmittelalter bei William von Occam Wesenheiten und Eigenschaften
grundsätzlich in Frage stellt, muss dies auch Auswirkungen auf die Logik haben.
Allerdings gelingt es der neuzeitlichen Philosophie über Jahrhunderte nicht,
eine eigenständige Logik zu entwickeln, die ihren, im Verhältnis zur
aristotelisch-scholastischen Philosophie, ganz anderen philosophischen
Hintergrund repräsentiert. Leibniz hatte zwar bereits eine Vorstellung von
einer Logik, die dem modernen Denken entspricht, doch gelang es ihm nicht,
diese selbst auszuarbeiten. Er träumte von einer Logik, die er als „calculus
ratiocinator“ bezeichnete, quasi eine „Logikmaschine“ (ähnlich wie die von ihm
entwickelte Rechenmaschine), die alle logischen Probleme lösen kann. Der
Hintergrund eines solchen logischen Kalküls, wie es heute auch genannt wird,
ist der Versuch, die gesamte Realität in rein quantitative Bestimmungen
auflösen, denn genau dies ist erforderlich, um eine Logik zu entwickeln, die
vollständig frei ist von allen essentiellen Bestimmungen; eine Logik, die man
als „reine Logik“ bezeichnen kann, da sie ohne direkten Bezug zur Realität
arbeitet.
Was Leibniz noch nicht gelang, dies wurde dann im 19.
Jahrhundert verwirklicht. Durch den Einfluss der Aufklärung und des
wissenschaftlichen Materialismus im 18. und 19. Jahrhundert, sowie durch die
zunehmenden Erfolge der quantitativen Naturwissenschaften gelang es zunächst
dem Jenaer Philosophen und Mathematiker Gottlob Frege und auf dessen Grundlage
Bertrand Russell und Whitehead eine völlig neuartige Form der Logik zu
entwickeln. Frege versuchte zu zeigen, dass die gesamte Mathematik auf Logik
zurückführbar ist. Sein Versuch scheiterte zwar, doch wurde dieses Projekt von
Russell und Whitehead, z.T. in Zusammenarbeit und mit Anregungen von Ludwig
Wittgenstein, weiterentwickelt und in der berühmten „Principia Mathematica“
niedergelegt. Hier finden sich bereits alle wichtigen Grundlagen der modernen
Logik.
Die Grundlage dieser neuen Logik ist eine neue Methode, mit
deren Hilfe es möglich wurde, alle Gedanken und Schlussfolgerungen zu quantifizieren.
Schon hier wird sichtbar, dass die Zielsetzung bzw. die Absicht dieser
neuen Logik eine ganz andere ist, als die der klassischen Logik. Die moderne
Logik ist eine mathematische und d.h. quantifizierende Logik, die ihr
Hauptanwendungsgebiet im Bereich der Mathematik hat und nicht in der
Philosophie. Ganz zurecht ist die moderne Logik deshalb heute auch ein
Teilgebiet der Mathematik, während sie früher zur Philosophie gehörte.
Worin bestehen die
Unterschiede von traditioneller und moderner Logik?
Wenn man in moderne Einführungen in die Logik schaut (von
denen es sehr viele und sehr gute gibt), dann werden die Unterschiede zwischen
den beiden Arten der Logik unterschiedlich beurteilt. Im Allgemeinen aber wird
gesagt, dass das Anwendungsgebiet der traditionellen Logik sehr begrenzt ist
und dieser Anwendungsbereich durch die moderne Logik ganz erheblich erweitert
wurde. Bestenfalls könnte die traditionelle Logik als ein kleines Teilgebiet in
die moderne Logik „aufgehoben“ (im dreifachen Sinne dieses Wortes) werden.
Zudem gibt es verschiedene Versuche, die traditionelle Logik mit den Mitteln
der modernen Logik neu zu formulieren.
Es gibt aber auch andere Stimmen, die nicht nur graduelle
Unterschiede zwischen beiden Arten der Logik sehen, sondern die einen radikalen
Unterschied feststellen und diese Stimmen kommen sowohl aus dem Lager der
Neuscholastiker als auch dem Lager der modernen Logiker.
So bezeichnet der Neothomist und traditionelle Logiker
Jacques Maritain die moderne Logik als „Logistik“ (ein Begriff, der von
Kritikern der modernen Logik später dann oft verwendet wurde) und behauptet,
dass Logistik und Logik zwei getrennte Disziplinen sind, die sich gegenseitig
völlig fremd sind. Für Maritain ist die moderne Logik überhaupt keine Logik. Etwas
Ähnliches, nur von der anderen Seite, von Seiten der modernen Logik, behauptet
Bertrand Russell. Er sagt, dass die traditionelle Logik vollständig antiquiert
ist, so ähnliche wie das ptolemäische Weltbild. Die aristotelische Syllogistik
sei völlig unwichtig und wer in unserer Zeit Logik studieren möchte, würde nur
seine Zeit verschwenden, wenn er Aristoteles oder einen seiner späteren Schüler
lesen würde.
Den Unterschied zwischen den beiden Arten der Logik kann man
in drei Hinsichten zusammenfassen: Zunächst unterscheiden sich beide Systeme
durch ihre Hintergrundannahmen, d.h. vor allem durch den philosophischen
Hintergrund. Zweitens unterscheiden sich beide Systeme durch die Struktur der
Systeme und drittens ist der Zweck der beiden Systeme völlig verschieden. In
allen drei Hinsichten reflektiert die traditionelle Logik eine traditionelle
Auffassung der Welt, so wie die moderne Logik eine moderne, neuzeitliche
Weltauffassung reflektiert. Dies bedeutet, dass letztlich beide Logiksysteme
eine unterschiedliche Metaphysik widerspiegeln. Jedes der beiden Systeme hat
seinen eigenen metaphysischen Hintergrund.
In einem folgenden Blogbeitrag werde ich diesen
metaphysischen Hintergrund am Beispiel der bekannten Wahrheitstafeln der
modernen Logik zu demonstrieren versuchen. Die traditionelle Logik kennt solche
Wahrheitstafeln nicht, während sie im System der modernen Logik eine zentrale
Rolle spielen.
Herzlichen Dank für diesen Beitrag! Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
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