Dienstag, 5. Januar 2016

Traditionelle und moderne Logik. Teil 2



Im ersten Teil des Blogbeitrags über den Unterschied zwischen der traditionellen, aristotelischen Logik und der modernen mathematischen Logik habe ich versucht zu zeigen, dass sich beide Arten der Logik in verschiedenen Hinsichten unterscheiden. Beide Systeme der Logik beruhen auf unterschiedlichen Hintergrundannahmen, sie unterscheiden sich weiterhin durch die Struktur der Systeme und drittens hinsichtlich des Zwecks. Grundlegend ist bei allen drei Hinsichten die zugrundeliegende Metaphysik. In diesem zweiten Teil möchte ich die Unterschiede deutlicher herausarbeiten und zwar anhand der für die moderne Logik typischen Wahrheitstafeln






Wahrheitstafeln


Die Wahrheitstabellen wurden von dem Philosophen Ludwig Wittgenstein in der Logik eingeführt. Er führte sie zum Zweck der Flankierung des Kalküls ein, in das die moderne Logik verwandelt wurde. Die moderne Logik ist durchgängig nach dem Modell des mathematischen Kalküls entwickelt worden und hierzu wurden die Wahrheitstafeln hinzugefügt, um schnell die Wahrheit eines Kalküls von einfachen und insbesondere von komplexen logischen Propositionen bzw. Formeln prüfen zu können.


Nehmen wir zur Demonstration eine einfache Aussage:


Eine Woche hat sieben Tage und ein Tag hat 24 Stunden.


Aussagenlogisch können wir die beiden Teilsätze mit beliebigen großen Buchstaben formalisieren. Die Verbindung der beiden Teilsätze mit dem Wort „und“ kann durch das Symbol „&“ dargestellt werden. Dann ergibt sich die folgende Formalisierung des Satzes:


A & B


Nun stellt sich die Frage, wie wir die Wahrheit dieses Satzes herausfinden können. In der modernen Logik gibt es hierzu ein einfaches Verfahren. Der „Wahrheitswert“, also „wahr“ oder „falsch“, wird bestimmt durch die Elemente, durch die der Satz gebildet wird, also in unserem Beispiel durch A und B. Wir wissen ohne viel darüber nachdenken zu müssen, dass der Satz „A & B“ nur dann wahr ist, wenn die beiden Teilsätze wahr sind. Wenn es zutrifft, dass die Woche aus sieben Tagen besteht und wenn es ebenso wahr ist, dass ein Tag aus 24 Stunden besteht, dann ist der ganze Satz wahr. Wenn hingegen eine der beiden Teilsätze falsch ist, dann ist die Aussage als ganze falsch. 


Dies lässt sich nun in einer Wahrheitstabelle darstellen. Dazu werden alle Möglichkeiten der Wahrheit der Teilsätze aufgelistet:


A   B    A & B

W  W       W

W  F         F

F  W         F

F  F          F


Zur Erläuterung: Wir haben zwei Sätze, nämlich die Sätze A und B. Entweder sind beide Sätze wahr, oder beide Sätze sind falsch oder ein Satz ist wahr und der andere ist falsch. Außer in dem Fall, wo beide Teilsätze wahr sind, ist in allen drei anderen Fällen der „und“-Satz falsch. Daraus ergibt sich die Definition für die Konjunktion: Eine Konjunktion ist genau dann wahr, wenn beide Teilsätze wahr sind.


Diese Einsicht leuchtet uns intuitiv ein und es ist eigentlich nicht nötig in solchen einfachen Fällen Wahrheitstabellen einzuführen. Schwieriger wird dies allerdings bei komplexeren Aussagen wie z.B. der Aussage: „A und [B oder (wenn C, dann E)]. Bei solchen komplexen Sätzen können Wahrheitstafeln tatsächlich auf einfache Weise den Wahrheitswert der Aussage kalkulieren.


Wenn dem so ist, dann stellt sich die Frage, warum die traditionelle Logik keine Wahrheitstafeln verwendet. Darauf gibt es sowohl eine praktische, als auch eine theoretische Antwort und Letztere ist entscheidend. 


Beginnen wir mit dem praktischen Grund, warum in der aristotelischen Logik keine Wahrheitstabellen angewandt werden.



Wahrheitstafeln spielen für die philosophische Logik kaum eine Rolle


Obwohl Wahrheitstabellen in bestimmten Kontexten durchaus einen gewissen praktischen, d.h. technischen Nutzen haben, sind sie für tatsächliche Argumentation in der Philosophie oder auch in anderen Bereichen, wo argumentiert wird, wenig nützlich. Die meisten Aussagen, die im alltäglichen Reden oder auch in akademischen Diskussionen verwendet werden, haben wohl kaum die Komplexität, die die Einführung von Wahrheitstafeln erfordert. In bestimmten wissenschaftlichen Anwendungen, wie in der Mathematik oder auch in der Computerprogrammierung, die das hauptsächliche Anwendungsgebiet der modernen Logik ist, sind Wahrheitstafeln durchaus hilfreich, selten jedoch in alltäglicher oder wissenschaftlicher Argumentation.


Die 19 gültigen Syllogismen der traditionellen aristotelischen Logik kann man lernen, ohne jede Bezugnahme auf Wahrheitstafeln und diese Syllogismen reichen aus, um alle alltäglichen und akademischen Diskussionen zu bestreiten. Wirkliche Argumente im akademischen Bereich werden geleitet oder sind reduzierbar auf eine kategoriale Argumentation. In einer solchen kategorialen Argumentation geht es vor allem um die Begriffe, man argumentiert auf der Grundlage von Beziehungen zwischen individuellen Begriffen. Begriffe sind aber weder wahr noch falsch. Wahrheitstafeln sind nur anwendbar bei hypothetischer Argumentation, die ihr Fundament nicht in Begriffen, sondern in Beziehungen zwischen Aussagen (Propositionen) hat. 


Soviel zum praktischen Nutzen der Wahrheitstafeln. Kommen wir nun zum eigentlichen Kern der Kritik an den Wahrheitstafeln.



Wahrheitsfunktionalität


Warum die Wahrheitstafeln nicht in der traditionellen Logik verwendet werden, hat mit der sogenannten „Wahrheitsfunktionalität“ zu tun. Darunter versteht man, dass der Wahrheitswert eines zusammengesetzten Satzes eindeutig durch die Wahrheitswerte seiner Teilsätze bestimmt ist. Mit anderen Worten: Die Wahrheit oder Falschheit der Teilsätze sagt uns, ob der ganze Satz wahr oder falsch ist.


Am Beispiel unseres obigen Satzes erläutert: Die Wahrheit des Satzes „A & B“ hängt ab von der Wahrheit des Satzes „A“ und des Satzes „B“, d.h. von den Komponenten, aus denen der Satz besteht. Der Satz „A & B“ wird als „konjunktive Aussage“ bezeichnet, denn die Aussage verbindet A und B. Traditionelle Logiker sind der Auffassung, dass konjunktive Aussagen die einzige Art von Aussagen sind, deren Wahrheit in Wahrheitstafeln aufgelöst werden kann, d.h. die einzige Art von Sätzen, die wahrheitsfunktional sind. Keine andere Art von Sätzen, wie Satzverbindungen mit „oder“, „wenn, dann“ usw. ist in diesem Sinne wahrheitsfunktional. 


Diese Auffassung der traditionellen Logiker beruht auf einer anderen Theorie über Sprache und Wirklichkeit. Um dies verständlich zu machen, nehmen wir als Beispiel einen Konditionalsatz:


Wenn es regnet, dann wird die Straße nass.


Dieser Satz lässt sich in formaler Ausdrucksweise folgendermaßen darstellen (wobei --> für „wenn – dann“ steht):


A --> B


Wenden wir hier wieder die Wahrheitstabelle an, dann ergibt sich folgendes Schema:


A --> B

W W W

W  F  F

F  W  W

F  W  F


Das bedeutet, dass dieser Satz immer wahr ist, außer in dem Fall, dass der Vordersatz (Antezedens) wahr und der Nachsatz (Konsequenz) falsch ist. Nehmen wir an, es regnet draußen und die Straße ist nass. In diesem Fall (erste Zeile) ist der ganze Satz wahr. Doch nehmen wir an, dass es regnet und die Straße ist durch irgendetwas abgedeckt – eine Plane liegt über der Straße oder ähnliches – und die Straße ist nicht nass. In diesem Fall ist es richtig zu sagen, dass es regnet, aber es wäre falsch zu sagen, dass die Straße nass ist. Daher wäre der Satz als Ganzes falsch.


Doch wie verhält es sich nun mit den beiden anderen Möglichkeiten? Wenn es nicht regnet und die Straße ist trotzdem nass (in der dritten Zeile wird der Satz A = Es regnet, als falsch angenommen, also regnet es nicht)? Warum ist der Satz in diesem Fall wahr? Eine gute Erklärung dafür gibt es nicht und wenn man Logik unterrichtet, stößt man immer wieder auf Einwände von Seiten der Studierenden, die dies nicht verstehen. 


Dieses Unverständnis hängt weniger damit zusammen, dass solche Sätze besonders kompliziert sind, sondern weil die Behandlung solcher Konditionalsätze in der modernen Logik selbst problematisch ist. Dies verhält sich in der traditionellen Logik anders.


In der aristotelischen Logik werden Konditionalsätze nur dann als wahr behandelt, wenn die Tatsache, dass die Straße nass ist, wirklich besteht und zwar deshalb, weil es regnet. Nur dann, wenn eine logische Beziehung besteht zwischen den Regen und der nassen Straße, ist der Satz wahr. Die Tatsache, dass es regnet, muss gewissermaßen materiell beinhalten, dass die Straße nass ist.


Und hier zeigt sich ein zentraler Unterschied zwischen traditioneller und moderner Logik. In modernen logischen Systemen ist eine reale, wirkliche Beziehung zwischen A und B nicht erforderlich. Das einzige was erforderlich ist, ist das der Nachsatz (Konsequenz) nicht falsch ist, wenn das Antezedens wahr ist. Außer in diesen Fall ist der Satz immer wahr. Dies ist so unabhängig von allen realen Verhältnissen in der Welt. Deshalb kann man in der modernen Logik auch völlig sinnlose konditionale Sätze verwenden, die gleichwohl wahr sind, weil es bei der Beziehung zwischen den Teilsätzen nicht um eine reale oder genauer gesagt, nicht um eine kausale Beziehung geht. So ist der Satz:


Wenn der Mond aus Käse besteht, dann können Vögel fliegen


ein logisch wahrer Satz, denn das Antezedens ist falsch und das Konsequenz ist wahr und somit ist der Satz als Ganzes wahr, obwohl es keinerlei logische oder reale Beziehung zwischen den beiden Teilsätzen gibt.


Das Gleiche gilt natürlich auch für alle anderen Sätze bzw. Satzverbindung, wie


Peter fährt mit dem Fahrrad und in China fällt ein Sack Reis um


ein Satz, bei dem zwischen den beiden konjunktiven Gliedern kein logischer, realer oder materialer Zusammenhang besteht.


In der traditionellen Logik sind hingegen nur solche Sätze gültig und logisch wahr, bei denen ein logischer oder sonstiger Zusammenhang zwischen den Satzgliedern besteht. Bei Konditionalsätzen ist dieser Zusammenhang ein notwendiger. Der Zusammenhang muss hier entweder ein solcher von Ursache und Wirkung sein oder von Grund und Folge. Zwischen dem Regen und die nasse Straße besteht eine fundamentale metaphysische Relation, nämlich die von Ursache und Wirkung. Die Annahme im Hintergrund der modernen Logik ist, dass es entweder solche Beziehungen nicht gibt oder dass sie zumindest in einem System der Logik keine Rolle spielen dürfen. Über die moderne, durch Hume und Kant beeinflusste Auffassung über Kausalität habe ich in diesem Blog bereits häufiger geschrieben.




Die moderne Logik beruht auf einer falschen Metaphysik


Der metaphysische Background der modernen Logik ist, dass es ihr um die Quantifizierung der Realität geht. Moderne und traditionelle Logik haben einen völlig verschiedenen philosophischen Hintergrund. Während der aristotelische Logik ihre metaphysische Grundlage in einem echten Essentialismus hat, beruht die moderne Logik auf einer Metaphysik, die auf die mechanistische, rein quantitativ-mathematischen Philosophie der Neuzeit zurückgeht (René Descartes, Galilei, Newton etc.) und zur Grundlage der modernen Naturwissenschaften wurde. Daher versucht die moderne Logik auch, die gesamte Logik in ein Kalkül zu verwandeln. Dies war bereits der Traum von Leibniz, dem dies aber noch nicht in der Praxis gelang, was dann von Frege, Russell, Whitehead, Wittgenstein und anderen realisiert wurde.


Die traditionelle Logik versucht hingegen nicht die Logik in ein quantitatives, mathematisches Kalkül zu verwandeln, besonders deshalb nicht, weil sie die Logik als eine linguistische und metaphysische Kunst betrachtet und nicht als ein technisch-mathematisches Kalkül. Während die moderne Logik eine rein extensionale Logik ist, verbindet die traditionelle Logik extensionale und intensionale Aspekte, quantitative und qualitative Aspekte der menschlichen Sprache.


Deshalb weist die traditionelle Logik die Versuche der modernen Logik zurück, die Sprache zu quantifizieren. Logik ist nach traditioneller Auffassung wesentlich qualitativ und am Wort orientiert und die Versuche zur Quantifizierung der Sprache führen nur zu einer Verzerrung des Argumentationsprozesses.


Der einzige Weg um die Logik in ein mathematisches Kalkül zu verwandeln besteht in der Bestreitung der wesentlichen metaphysischen Natur der Welt, die von der Logik widergespielt werden muss. Man muss bestreiten, dass es Wesenheiten gibt, die die Grundlage der gesamten Realität darstellen. Diese Verneinung der Realität von Wesenheiten geht natürlich nicht auf die modernen Logiker zurück, sondern hat ihr Fundament bereits im spätmittelalterlichen Nominalismus (William von Occam) und dann in der neuzeitlichen Philosophie, die entweder empiristisch oder rationalistisch geprägt ist.




Quantifizierung in der Prädikatenlogik


Ein letztes Problem, dass ich zumindest noch erwähnen möchte, besteht in der sogenannten Quantifizierung in der Prädikatenlogik. Sätze wie 


Menschen haben 32 Zähne


können in der modernen Logik nicht in ihrem Sinngehalt wiedergegeben werden. Denn für die Prädikatenlogik gibt es hier nur zwei Möglichkeiten diesen Satz auszudrücken:


Für alle x: Wenn x ein Mensch ist, dann hat x 32 Zähne.


Dieser Satz ist eindeutig falsch, denn ich und viele meiner Leser haben keine 32 Zähne mehr und sind dennoch Menschen. Die andere Form der Formalisierung lautet:


Für mindestens ein x: x hat 32 Zähne


Auch dieser Satz gibt nicht das wieder, was man sagen will, wenn man behauptet, dass Menschen 32 Zähne haben. Mit diesem Satz will man nämlich eine wesentliche Eigenschaft von Menschen im Sinne der Gattung Mensch aussagen. Auch wenn ein Mensch nur noch drei Zähne hat, ist der Satz, dass Menschen 32 Zähne haben nicht falsch.


Es gibt noch zahlreiche weitere Schwächen der modernen Logik, doch diese hängen letztlich alle mit einer falschen Metaphysik zusammen. Alles dies bedeutet freilich nicht, dass man die moderne Logik nicht studieren und nicht in philosophischen Debatten anwenden sollte. Doch man sollte sich des metaphysischen Hintergrunds stets bewusst sein um Fehler zu vermeiden.

4 Kommentare:

  1. Muss es im Abschnitt "Wahrheitsfunktionalität" in der Wahrheitstafel nicht "A à B" heißen (statt "A & B")?

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  2. Es gibt verschiedene Symbole für "und". Üblich sind insbesondere "&" und das Symbol ^ das wie ein Hütchen aussieht, allerdings mit längeren Linien als hier dargestellt Ihr Symbol "à" gibt es in der modernen Logik nicht.

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    1. Es handelte sich um einen technischen Fehler und dies auch in Ihrem Text. Sie haben natürlich recht: Es muss --> für die Implikation heißen. Sonderzeichen führen im Blog zu Problem.

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  3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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