Es überrascht mich immer wieder, warum Linksliberale, also
Freunde, Mitglieder und begeisterte Wähler der im Bundestag vertretenen
Parteien, mit oft massiven Aversionen gegen die katholische Kirche kämpfen und dies
trotz der inzwischen oft sehr liberalen Auffassungen von Papst und Bischöfen
und gleichzeitig kaum etwas gegen den Islam haben. Die derzeit massive
islamische Einwanderung nach Europa und besonders nach Deutschland, regt kaum
einen Linksliberalen auf; im Gegenteil lassen sich die meisten Personen, die
sich besonders für die Einwanderer engagieren, dem linksliberalen Umfeld
zuordnen. Da der Islam alle Prinzipien und Ideale des Liberalismus entschieden
ablehnt, sind es vor allem Vertreter des linken Liberalismus, die die
Mitglieder islamischer Gemeinschaften unterstützen. Dies ist doch
offensichtlich ein Widerspruch.
Edward Feser hat in einem sehr ausführlichen Beitrag inseinem Blog zu diesem Thema Stellung genommen, denn dieses erstaunliche
Phänomen gibt es natürlich auch in den USA. Die islamische Moral verdammt
Homosexualität, voreheliche Sexualität und die sogenannte „sexuelle Revolution“
insgesamt. Der Feminismus hatte praktisch keinerlei Wirkung in islamischen
Ländern, die traditionell extrem patriarchalisch organisiert sind. Ein Mann
kann bis zu vier Frauen haben, eine Frau darf aber nicht mehrere Männer haben
usw. usw. Diese Tatsachen sind allgemein bekannt. Die katholische Moral ist
demgegenüber geradezu liberal. Mann und Frau haben die gleichen Rechte (wenn
sie auch nicht als in jeder Beziehung gleich betrachtet werden, so doch als
gleichwertig). Dennoch wettern Linksliberale entschieden gegen den
Priesterzölibat, die Haltung der Kirche zur Ehescheidung und gegen die
Auffassung der Kirche von der Verschiedenheit von Mann und Frau. Dasselbe hört
man eher selten von Linksliberalen bezüglich des Islam. Es ließen sich noch
zahlreiche ähnliche Dinge anführen, bei denen die katholische Auffassung und
Moral im Vergleich zum Islam geradezu liberal ist und dies selbst bei einem
traditionellen Verständnis des Katholizismus.
Was ist der Grund für dieses eigentümliche Phänomen?
Eigentlich würde man erwarten, dass Linksliberale mit aller Entschiedenheit
gegen den Islam kämpfen und polemisieren und alles daransetzen, dessen Einfluss
in Europa massiv zurückzudrängen. Zumindest würde man in Entsprechung zur
Christophobie eine Islamophobie bei Linksliberalen erwarten. Doch genau das
Gegenteil geschieht. Eher scheint der Linksliberalismus Islamophil zu sein.
Warum?
Wir haben es hier offenbar mit einem Paradox zu tun.
Angesichts der Geschichte und Gegenwart des Islam scheint dieser die am
wenigsten liberale Religion der Welt zu sein. Auch lässt sich nicht leicht
erkennen, wie ein frommer Moslem seine Religion dem Liberalismus anpassen
könnte, besonders, wenn er sieht, wie der Liberalismus mit dem Christentum
umgeht. Liberale glauben allerdings, dass eine solche Anpassung des Islam nicht
nur möglich, sondern sogar höchst wahrscheinlich ist. Warum? Gibt es
irgendetwas im Islam das Liberale sehen, während es anderen verborgen bleibt?
Der Schlüssel zum Verständnis jedes dieser beiden Systeme,
des Liberalismus und des Islam, ist nach Auffassung von Edward Feser, dass es
sich bei beiden Weltanschauungen um Häresien handelt. Natürlich handelt es sich
bei Islam und Liberalismus nicht um christliche Häresien. Gemeint ist, dass
jede der beiden Weltanschauungen bestimmte Aspekte des Christentums gewählt hat
und zugleich andere Aspekte ausgeschlossen hat. Was sind das für Aspekte?
Während das Christentum, und hier ist vor allem das
katholische Christentum gemeint, eine klare Unterscheidung, wenn auch nicht
Trennung, macht zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen, zwischen dem
Weltlichen und dem Heiligen und beide „Bereich“ im Gleichgewicht zu halten
versucht, neigt der Islam dazu, alles dem übernatürlichen Bereich, dem
Göttlichen unterzuordnen, während der Liberalismus genau das Gegenteil tut,
indem er alles dem Weltlichen unterordnet. Der Islam schließt das Weltliche als
einen eigenen Bereich aus, während der Liberalismus das Heilige, das
Übernatürliche entweder völlig ausschließt oder zumindest in den Bereich des
Privaten verbannt.
Man könnte dies nun an verschiedenen Beispielen deutlich
machen, so z.B. in Bezug auf das Verhältnis von Staat und Kirche im
katholischen Verständnis, im Islam und im Liberalismus. Wie dies sich verhält,
dürfte eigentlich bekannt sein, obwohl die traditionelle katholische Auffassung
in dieser Frage allgemein falsch dargestellt wird. Die moderne katholische
Auffassung hat sich weitgehend dem Liberalismus angenähert, aber auch die traditionelle
Lehre der Kirche über das Verhältnis von Staat und Kirche geht davon aus, dass
beide Bereiche verschieden sind, unterschiedliche Ziele und Zwecke verfolgen
und daher ihr Eigenrecht besitzen. Darüber hinaus gibt es gemeinsame Aufgaben,
in denen der Staat die Kirche unterstützen soll. Doch dies ist ein
fundamentaler Unterschied zum Islam, für den es keinerlei Unterschied zwischen
Staat und Religion gibt. Der Staat wird direkt von Gott gegründet, alle
staatlichen Gesetze ergeben sich aus den islamischen Gesetzen oder sind mit
diesen identisch usw. Dies ist keine bestimmte Auslegung des Islam, sondern
ganz exakt die Lehre des Islam. Wenn es islamische Staaten gibt, bei denen dies
nicht der Fall ist, dann hat dies seinen Grund im Kolonialismus und westlichen
Einflüssen, wie z.B. in der Türkei und Ägypten oder früher im Irak, in Syrien
und im Libanon. Dass der Liberalismus im Allgemeinen und der Linksliberalismus
im Besonderen das Gegenteil vertritt, ist bekannt.
Seit Beginn der christlichen Lehre und bereit im Neuen
Testament gibt es mehrere Äußerungen, die den Unterschied von Staat und Kirche
betonen und das Eigenrecht jedes der beiden Bereiche. Diese christliche Auffassung
bildet somit die Mitte zwischen Islam und Liberalismus.
Dazu kommt die Lehre des Naturrechts, die ebenfalls klar
zwischen natürlicher und übernatürlicher Ordnung unterscheidet. Rechte und
Pflichten und damit die wichtigsten Gesetze ergeben sich aus der Natur oder dem
Wesen des Menschen als rationales Sinneswesen. Diese Rechte und Pflichten
können ohne jede Bezugnahme auf Gott und auf Offenbarung erkannt werden. Der
Staat ist in diesem Verständnis eine natürliche Institution, die sich aus der
Natur des Menschen als sozialem Wesen ergibt. Der Islam leitet demgegenüber
alle Rechte und Pflichten direkt aus göttlichen Befehlen ab, während der
Liberalismus alle Rechte und Pflichten als rein von Menschen gemacht versteht.
Daraus ergibt sich das Verständnis des Staates im Islam und im Liberalismus,
das in beiden Fällen eine Vereinseitigung der christlichen Auffassung vom Staat
darstellt. Die Religion ist nach islamischen Verständnis eine Aufgabe des
Staates (selbst in der Türkei gibt es ein Religionsministerium), während der
Liberalismus die Religion zur Privatsache erklärt.
In dieser Vereinseitigung der christlichen Lehre sind sich
Islam und Liberalismus einig. Wenn auch beide Vereinseitigungen diametral
entgegengesetzt sind, erklären sie gleichwohl eine Nähe, die beide
Weltanschauungen nicht mit dem Christentum aufweisen.
Die „islamische Häresie“ hat ihre Kraft vor allem aus einer
massiven Vereinfachung des Christentums gewonnen, wie der christliche Autor
Hilaire Belloc in seinem Buch „Die großen Häresien“ herausgearbeitet hat. Durch
diese massive Vereinfachung und Simplifizierung der christlichen Lehren
erschien der Islam nicht als eine christliche Sekte, sondern von Anfang an als
eine neue Religion. Mohammed wies die Inkarnation Gottes in Jesus Christus, die
Dreifaltigkeit, die Eucharistie und das Priestertum zurück und so war der Islam
eine sehr vereinfachte neue Religion, die in nichts an das Christentum
erinnerte.
Wenn man diesen Unterschied zwischen Christentum,
Liberalismus und Islam am Modell der drei Seelenteile bei Platon verdeutlichen
will, kann man folgendes sagen: Das Christentum mit seinem hochdifferenzierten
und komplexen System theologischer Lehren und Moral bildet den rationalen
Seelenteil. Der Liberalismus, der materielle Sicherheit und Freiheit verspricht,
appelliert an den sinnlichen Teil der Seele und der Islam appelliert vor allem
an den mittleren Seelenteil, den temperamentvollen Teil, den Teil der Seele,
der durch Zorn auf Grund von Ungerechtigkeit bewegt wird, durch Ehre und
Schande, durch martialische Tugenden, durch Befehl und Unterwerfung im
Gegensatz zu endlosen Reden und theologischer Haarspalterei. Der Islam ist am
besten verständlich als stromlinienförmige Variante des Christentums, als eine
Art von „Christentum light“ und insbesondere als ein maßgeschneidertes Christentum
für einen Mann der Tat.
Der Islam ist nicht zu verstehen nach dem Modell des
Christentums und seinem Verständnis von Staat und Religion. Islam ist die
Einheit von Staat und Religion. Wer dies übersieht oder den Islam mit dem
Christentum vergleicht und dann glaubt, der Islam lasse sich auch so zähmen,
wie der größte Teil der Christen heute, der unterschätzt massiv den Islam. Und
diese Unterschätzung des Islam hat zu Ausbreitung desselben in der westlichen
Welt erheblich beigetragen.
Der vollständige, sehr lesenswerte und lehrreiche
Blogbeitrag, von dem ich hier nur eine Kurzfassung wiedergegeben habe, ist hierzu finden.
Das Buch von Hilaire Belloc erscheint jetzt auch auf Deutsch im Renovamen-Verlag.
AntwortenLöschen