Freitag, 10. März 2017

Ist das Gehirn ein Computer?



Die Computertheorie des Gehirns ist in der Gegenwartsphilosophie weit verbreitet (z.B. P. Churchland; T.J. Sejnowski: The Computational Brain. Cambridge: MIT Press 1992). Auch außerhalb der Philosophie wird diese Auffassung vom Menschen nicht selten vertreten. Dagegen hat der amerikanische Philosoph John Searle, der kein Scholastiker ist, sondern ein Materialist, ein starkes und m.E. bisher unwiderlegtes Argument vorgetragen (The Rediscovery of the Mind, Cambridge, MA: MIT Press 1992). Ich meine hier nicht das bekannte „Chinese Room Argument“, mit dem Searle deutlich gemacht hat, dass die Syntax nicht hinreichend ist für die Semantik der Sprache und das sich gegen die Theorie einer Identität von mentalen und materiellen Eigenschaften richtet.



Das Argument gegen die Computertheorie des Gehirns richtet sich gegen das, was er „Kognitivismus“ nennt, nämlich eben die Auffassung, dass das Gehirn eine Art digitaler Computer ist. Während im Chinese Room Argument die Frage offenlässt, ob das Gehirn Informationen in einem syntaktischen Sinne verarbeitet, wird in seinem Argument gegen den sogenannten Kognitivismus genau dies bestritten.

Der Grundgedanke des Arguments lässt sich folgendermaßen deutlich machen:  mathematische Berechnungen (im engl. Als „Computation“ bezeichnet) beinhaltet in jedem Fall die physische Instanziierung von Symbolen oder Zeichenfolgen, wie z.B. beim Computer 0 und 1. Wenn man diese Symbole nicht interpretiert, d.h. wenn man ihnen keine bestimmte Bedeutung zuspricht, dann sind sie nicht Träger von semantischen Informationen. Sie haben zwar noch eine syntaktische Information, aber nur insofern, als wir sie als Symbole verstehen, wenn auch als uninterpretierte Symbole. Ohne unser Verständnis der Nullen und Einsen sind diese Zahlenketten völlig sinnlos. Die syntaktischen Regeln, die den Algorithmus ausmachen und durch den die Symbole des Inputs einen bestimmten Output erzeugen sind Regeln, die die physischen Zustände des Systems beherrschen und zwar als Symbole.

Searle argumentiert jetzt, dass der Status ein Symbol zu sein kein objektives oder intrinsischen Merkmal der physischen Welt ist. Das etwas ein Symbol ist beruht allein auf Konvention. Dass ein dreieckiges Schild mit rotem Rand „Vorfahrt beachten“ bedeutet, ist etwas, was von Menschen festgelegt wurde und nicht etwas, dass ein Dreieck schon an sich bedeutet. Das Gleiche gilt aber auch für Zahlen und Zahlenkolonnen. Dass „1“ „Einschalten“ bedeutet und „0“ „Abschalten“ haben Menschen festgelegt. Ohne diese Festlegung bedeutet „1“ oder „0“ überhaupt nichts. Die Bedeutung der Symbole ist abhängig vom Beobachter und nicht objektiv. Deshalb ist der Status von etwas, das „einem Algorithmus folgt“ oder „Informationen verarbeitet“ oder „berechnet“ ebenso bloß konventionell und nicht ein objektives, intrinsisches Merkmal irgendeines physischen Systems, also auch nicht des Gehirns. Computer rechnen und erarbeiten Informationen nach einem bestimmten Algorithmus nur deshalb, weil die Programmierer und Benutzer des Computers die elektronischen Zustände als Symbole verstehen. Egal was wir auch immer als einen Computer verstehen – das Gehirn, die Gene oder das Universum als Ganzes – sind nur dadurch „Computer“, weil wir sie in diesem Sinne verstehen, nicht aber weil sie dies an sich und objektiv wären. Man kann auch einen Baum oder jeden anderen natürlichen Gegenstand als eine Maschine verstehen, interpretieren, doch deshalb ist ein Baum nicht in sich, objektiv, eine Maschine. Es gibt einen objektiven Unterschied zwischen Artefakten, vom Menschen hergestellten Dingen, und natürlichen Dingen. Wir können in der Natur Dinge entdecken, die dieselbe Form haben wie z.B. ein Stuhl und wir können diese Dinge dann als Stuhl verwenden. Doch dies bedeutet, dass wir diese Dinge so interpretieren und verwenden. Die Dinge selbst sind aber deshalb als solche keine Stühle. Es wachsen in der Natur keine Stühle.

Das Gleiche gilt für das Gehirn. Man kann es als einen Computer interpretieren und die verschiedenen elektrischen und chemischen Vorgänge im Gehirn nach dem Modell eines Computers verstehen, doch dann sind wir es, die dies tun. Wir interpretieren bestimmte elektrische Impulse oder Stoffwechselvorgänge als Symbole im Sinne einer Informationsverarbeitung. Doch dies ist nicht das, was das Gehirn objektiv ist.

Searle sagt ganz richtig, dass Zustände mathematischer Berechnungen nicht in der Natur entdeckt werden, sondern der Natur zugesprochen werden.

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