Die Computertheorie des Gehirns ist in der Gegenwartsphilosophie
weit verbreitet (z.B. P. Churchland; T.J. Sejnowski: The Computational Brain. Cambridge: MIT Press 1992). Auch außerhalb
der Philosophie wird diese Auffassung vom Menschen nicht selten vertreten.
Dagegen hat der amerikanische Philosoph John Searle, der kein Scholastiker ist,
sondern ein Materialist, ein starkes und m.E. bisher unwiderlegtes Argument
vorgetragen (The Rediscovery of the Mind, Cambridge, MA: MIT Press 1992). Ich
meine hier nicht das bekannte „Chinese Room Argument“,
mit dem Searle deutlich gemacht hat, dass die Syntax nicht hinreichend ist für
die Semantik der Sprache und das sich gegen die Theorie einer Identität von
mentalen und materiellen Eigenschaften richtet.
Das Argument gegen die Computertheorie des Gehirns richtet
sich gegen das, was er „Kognitivismus“ nennt, nämlich eben die Auffassung, dass
das Gehirn eine Art digitaler Computer ist. Während im Chinese Room Argument
die Frage offenlässt, ob das Gehirn Informationen in einem syntaktischen Sinne
verarbeitet, wird in seinem Argument gegen den sogenannten Kognitivismus genau
dies bestritten.
Der Grundgedanke des Arguments lässt sich folgendermaßen
deutlich machen: mathematische
Berechnungen (im engl. Als „Computation“ bezeichnet) beinhaltet in jedem Fall
die physische Instanziierung von Symbolen
oder Zeichenfolgen, wie z.B. beim Computer 0 und 1. Wenn man diese Symbole
nicht interpretiert, d.h. wenn man ihnen keine bestimmte Bedeutung zuspricht,
dann sind sie nicht Träger von semantischen
Informationen. Sie haben zwar noch eine syntaktische Information, aber nur
insofern, als wir sie als Symbole
verstehen, wenn auch als uninterpretierte Symbole. Ohne unser Verständnis der
Nullen und Einsen sind diese Zahlenketten völlig sinnlos. Die syntaktischen
Regeln, die den Algorithmus ausmachen und durch den die Symbole des Inputs einen
bestimmten Output erzeugen sind Regeln, die die physischen Zustände des Systems
beherrschen und zwar als Symbole.
Searle argumentiert jetzt, dass der Status ein Symbol zu
sein kein objektives oder intrinsischen Merkmal der physischen Welt ist. Das
etwas ein Symbol ist beruht allein auf Konvention. Dass ein dreieckiges Schild
mit rotem Rand „Vorfahrt beachten“ bedeutet, ist etwas, was von Menschen
festgelegt wurde und nicht etwas, dass ein Dreieck schon an sich bedeutet. Das
Gleiche gilt aber auch für Zahlen und Zahlenkolonnen. Dass „1“ „Einschalten“
bedeutet und „0“ „Abschalten“ haben Menschen festgelegt. Ohne diese Festlegung
bedeutet „1“ oder „0“ überhaupt nichts. Die Bedeutung der Symbole ist abhängig
vom Beobachter und nicht objektiv. Deshalb ist der Status von etwas, das „einem
Algorithmus folgt“ oder „Informationen verarbeitet“ oder „berechnet“ ebenso
bloß konventionell und nicht ein objektives, intrinsisches Merkmal irgendeines physischen
Systems, also auch nicht des Gehirns. Computer rechnen und erarbeiten
Informationen nach einem bestimmten Algorithmus nur deshalb, weil die
Programmierer und Benutzer des Computers die elektronischen Zustände als
Symbole verstehen. Egal was wir auch immer als einen Computer verstehen – das Gehirn,
die Gene oder das Universum als Ganzes – sind nur dadurch „Computer“, weil wir
sie in diesem Sinne verstehen, nicht aber weil sie dies an sich und objektiv
wären. Man kann auch einen Baum oder jeden anderen natürlichen Gegenstand als
eine Maschine verstehen, interpretieren, doch deshalb ist ein Baum nicht in
sich, objektiv, eine Maschine. Es gibt einen objektiven Unterschied zwischen
Artefakten, vom Menschen hergestellten Dingen, und natürlichen Dingen. Wir
können in der Natur Dinge entdecken, die dieselbe Form haben wie z.B. ein Stuhl
und wir können diese Dinge dann als Stuhl verwenden. Doch dies bedeutet, dass
wir diese Dinge so interpretieren und verwenden. Die Dinge selbst sind aber
deshalb als solche keine Stühle. Es wachsen in der Natur keine Stühle.
Das Gleiche gilt für das Gehirn. Man kann es als einen
Computer interpretieren und die verschiedenen elektrischen und chemischen
Vorgänge im Gehirn nach dem Modell eines Computers verstehen, doch dann sind wir es, die dies tun. Wir interpretieren bestimmte elektrische
Impulse oder Stoffwechselvorgänge als Symbole im Sinne einer
Informationsverarbeitung. Doch dies ist nicht das, was das Gehirn objektiv ist.
Searle sagt ganz richtig, dass Zustände mathematischer
Berechnungen nicht in der Natur entdeckt werden, sondern der Natur zugesprochen
werden.
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