Ein Gastbeitrag von Edward Feser
Der folgende Blogpost wurde übernommen vom Blog
edwardfeser.blogspot.com, dem Blog des Philosophen und wohl bekanntesten
amerikanischen analytischen Thomisten Edward Feser, Professor für Philosophie
am Pasadena City College in Kalifornien. Der Beitrag ist eine hervorragende
kritische Auseinandersetzung – oder sollte ich sagen, Abrechnung? – mit den
Idealen der Französischen Revolution aus naturrechtlicher Sicht. Scholastiker
hat diesen Blogbeitrag übersetzt um ihn den deutschen Lesern leichter
zugänglich zu machen.
„Oben abgebildet sind die Ideale der Französischen
Revolution und der modernen Welt im Allgemeinen - Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit. Man beachte sorgfältig, wie sie ihre Hauptattribute zeigen. Die
Freiheit gibt sich frei ihren Wünschen hin. Gleichheit teilt, was sie hat.
Brüderlichkeit sieht mit brüderlicher Sorge zu. Und sie sind alle Idioten.
„Sicher
sind Sie doch nicht gegen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?!“ fragen
Sie. Nun, nein, nicht unbedingt – je nachdem, was Sie unter diesen Begriffen
verstehen. Das Problem ist, daß, obwohl einige der Ideen, die häufig unter
diesen Bezeichnungen laufen, gut sind, andere dagegen sehr schlecht sind. Aber
das Gute und das Böse mischen sich häufig, so daß angenommen wird, daß man,
wenn man Freiheit, Gleichheit oder Brüderlichkeit in einem bestimmten Sinn
akzeptiert, sie auch in den anderen Sinnen annehmen muß.
Wie
entwirre ich das Chaos? Und was genau ist der gute und der schlechte Sinn, auf
die ich mich beziehe? Der beste Ausgangspunkt ist, zu verstehen, wie der größte
der klassischen, mittelalterlichen Denker das soziale Leben verstand. Das ist
die naturrechtliche Weltanschauung, die natürlich die richtige Weltanschauung
ist (so würde ich sagen, der ich selbst ein traditioneller Theoretiker des
Naturrechts bin). Die Position des Naturrechts ist schwerer durch Etiketten zu
transportieren, die rhetorisch so mächtig sind wie „Liberté, égalité,
fraternité!“ Doch was diese Begriffe rhetorisch effektiv macht – sie sind einfach
und mehrdeutig –, ist genau die Quelle ihrer philosophischen Unzulänglichkeit.
Wenn
Sie drei Wörter oder Phrasen haben möchten, die die Position des Naturrechts
zusammenfassen, wären es, wie ich annehme, Subsidiarität,
Solidarität sowie Familie und Patriotismus. Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit, wie sie gewöhnlich verstanden werden, sind Verzerrungen dieser
drei. Es gibt auch andere und entgegengesetzte Verzerrungen. Zum Beispiel sind
Tribalismus und Nationalismus andere, sehr
unterschiedliche Verzerrungen von Familie und Patriotismus. Der beste Weg, um
die Verzerrungen zu verstehen, ist zu verstehen, wofür sie Verzerrungen sind. Also
laßt uns durch sie hindurchgehen. Es ist am besten, in der umgekehrten
Reihenfolge vorzugehen.
Familie und Patriotismus
Der
Mensch ist von Natur aus ein soziales Lebewesen. Ein neuer Mensch ist für viele
Jahre abhängig von seinen Eltern und Geschwistern, sowohl hinsichtlich seines
materiellen Wohlbefindens als auch hinsichtlich seines grundlegenden
Verständnisses dafür, wie die Welt ist und wie man sich darin verhält. Wenn er
ein Erwachsener wird, neigt er dazu, sich mit einem anderen Menschen zu
verbinden, was zu eigenen Nachkommen führt, für die er materiell und spirituell
sorgen muß. Wenn er alt ist, wird er wieder abhängig, diesmal von diesen
Nachkommen. Jeder Mensch, egal wie unabhängig er in anderer Hinsicht auch sein
mag, ist in gewissem Umfang und für einen beträchtlichen Teil seines Lebens auf
eine oder mehrere dieser Arten von anderen Familienmitgliedern abhängig
und/oder für sie verantwortlich.
Die
Familie ist somit der grundlegende Kontext, in dem wir unsere soziale Natur
manifestieren. Wir bilden natürlich auch Freundschaften, aber diese sind wie
Erweiterungen von Familienbeziehungen. Daher sagen wir, daß ein enger Freund
wie ein Bruder ist, daß ein vertrauter Mentor wie ein Vater ist, daß ein Mentee
wie ein Sohn zu einem ist und so weiter. Selbst weniger enge Freundschaften
sind insofern analog zu familiären Beziehungen, als sie sich nur dort bilden,
wo wir zumindest eine geringe Intimität mit einem anderen und zumindest ein
gewisses Maß an Zuneigung haben. Daher wird ein freundlicher Arbeitsplatz oft
mit dem Attribut „wie eine Familie“ beschrieben. Es sind Familienbeziehungen,
die dazu neigen, das Modell für die meisten anderen Beziehungen zu bilden, die
für uns wichtig sind, auch wenn die Analogie manchmal sehr locker ist.
Es
gibt natürlich auch einige Beziehungen, die zu abgelegen und unpersönlich sind,
um sich auf familiäre Beziehungen auszurichten. Zum Beispiel wird der Fremde
auf der Straße, dem Sie den Weg erklären, der Verkäufer, von dem Sie regelmäßig
Ihre Zeitung kaufen, der Briefträger usw. nicht als „Bruder“ in der Art und
Weise betrachtet, wie man es bei einem Freund oder sogar einem Mitarbeiter tun
könnte. Aber diese Art von Beziehungen ist nicht der grundlegende Weg, auf dem
wir unsere soziale Natur manifestieren. Sie entstehen erst, nachdem wir in
einer bestimmten familiären Situation sozialisiert wurden. Darüber hinaus
werden auch diese Beziehungen indirekt durch Familienbeziehungen definiert. Wir
betrachten die fraglichen Menschen als Fremde, insofern sie weder
Familienmitglieder noch eine Art von Ehrenfamilienmitgliedern sind, wie man
Freunde betrachten kann.
Kernfamilien
führen natürlicherweise zu Großfamilien, und historisch haben diese wiederum zu
Stämmen und Nationen geführt. Die Treue, die wir naturgemäß für unsere Familien
empfinden, wird auf diese größeren sozialen Formationen ausgeweitet, die aus
der Familie hervorgegangen sind. Patriotismus ist im wesentlichen
Familienloyalität, groß geschrieben. Und der Anstoß, den die Leute an
Einstellungen oder Handlungen nehmen, die als unpatriotisch wahrgenommen
werden, ist als analog zu dem Anstoß zu verstehen, den wir nehmen, wenn ein
Familienmitglied Untreue gegenüber der Familie zeigt oder ihm Ungnade bringt.
Patriotismus ist also natürlich und gut, genau wie Familienloyalität natürlich
und gut ist. Er ist für die Gesundheit einer Nation ebenso notwendig wie die
Familienloyalität für die Gesundheit einer Familie, und somit ist die
Abwesenheit davon in irgendeiner Weise dysfunktional, wie eine Familie
dysfunktional ist, wenn ihre Mitglieder keine Zuneigung oder Loyalität
empfinden.
Beachten
Sie, daß es im Patriotismus überhaupt nichts gibt, was für andere Nationen
Feindseligkeit oder Verachtung bedeutet, genausowenig wie die besondere Liebe,
die man für die eigene Familie hat, Feindseligkeit oder Verachtung für andere
Familien bedeutet. Der Patriotismus bedeutet auch keinen bloßen Mangel an Sorge
für andere Nationen. Im Gegenteil, da die menschliche Rasse im wesentlichen
eine sehr ausgedehnte Großfamilie ist, sind die Menschen natürlich
verpflichtet, ein gewisses Maß an Mitgefühl und Sorge für alle anderen Menschen
zu zeigen. Freilich wird dies niemals so stark sein wie die besondere
Besorgnis, die man für die eigene Nation empfindet, genauso wie die
Zugehörigkeit zur und die Sorge um die eigene Nation niemals so stark sein wird,
wie die Sorge und Loyalität, die man für die eigene unmittelbare Familie hat.
Der
Mensch bezieht sich also natürlicherweise auf andere in einer Art und Weise,
die man durch konzentrische Kreise sinnvoll darstellen kann. Unsere
unmittelbaren Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten betreffen Mitglieder
unserer eigenen Kernfamilien und enge Freunde. Im nächsten konzentrischen Kreis
würden wir Mitglieder unserer erweiterten Familie ansetzen, gegen die wir auch
einen gewissen Grad an Treue und Verantwortung haben, wo aber die Anforderung
nicht so hoch ist wie bei unserer eigenen unmittelbaren Familie. Im nächsten
Kreis sind unsere Landsleute, denen wir Treue schuldig sind und für die wir
Verantwortung tragen, aber nicht in dem Ausmaß wie die Treue und Verantwortung,
die wir unseren Großfamilien schulden, ganz zu schweigen von unseren
unmittelbaren Familien. Im äußersten Kreis befinden sich diejenigen der anderen
Nationen und der menschlichen Rasse im allgemeinen, denen wir auch echte Treue
schulden und für die wir wirkliche Verantwortung tragen, aber nicht in dem
Ausmaß wie das, was wir unseren eigenen Nationen schulden, geschweige denn
unseren erweiterten und unmittelbaren Familien.
Es
ist also tugendhaft, eine besondere Loyalität gegenüber der eigenen Familie zu
haben und ein Patriot zu sein, und wenn diese Denk- und Handlungsweisen fehlen,
ist es dementsprechend bösartig. Aber wie bei anderen Tugenden gibt es hier zwei
entsprechende Laster, eines von Übermaß und ein Laster des Mangels. Das Laster
des Übermaßes manifestiert sich in Tribalismus und Nationalismus. Denken wir
zum Beispiel an den Mafioso, dessen Treue zu seinem Clan so übertrieben ist, daß
er Verbrechen und andere Unmoral für gerechtfertigt hält, wenn sie im Interesse
seiner Familie getan werden. Oder denken Sie an die Person, die sich so sehr
mit der ethnischen Gruppe identifiziert, zu der sie gehört, daß sie gegenüber
jenen außerhalb dieser Gruppe feindselig und paranoid ist. Oder denken Sie an
den Nationalisten, der glaubt, daß sein Land oder seine Rasse anderen Ländern
und Rassen seinen/ihren Willen aufzwingen und sie zu ihrem eigenen Vorteil
ausbeuten solle.
Das
Laster des Mangels ist der Ort, an dem jetzt die Brüderlichkeit hereinkommt. So
wie man übermäßig an die eigene Familie oder Nation gebunden sein kann, kann
man auch nicht ausreichend mit ihr verbunden sein. Dieses Laster zeigen
diejenigen, die es für das Beste halten, sich als „Weltbürger“ oder als
Mitglied der „globalen Gesellschaft“ zu betrachten, anstatt eine besondere
Bindung an das eigene Land zu haben. Es ist die Idee einer „Welt ohne Grenzen“
und einer „Bruderschaft des Menschen“ – daher wird Brüderlichkeit als ein Ideal
universeller Bruderschaft ausgelegt, um Familientreue, Patriotismus und andere
lokale Bindungen zu ersetzen.
Freilich
gibt es einen Sinn, in dem alle Menschen Brüder sind; wie ich oben sagte, sind
wir alle Mitglieder der menschlichen Rasse und somit in diesem Sinne alle
Mitglieder derselben maximal erweiterten Familie. Problematisch wird es, wenn
bei der Idee der Brüderlichkeit fälschlicherweise angenommen wird, daß nationale
Treue oder Treue zu einer Gruppe etwas Suspektes sei, wenn man meint, daß sie
impliziere, daß die Landsleute in keinem stärkeren Sinn Brüder sind als jeder
andere Mensch.
Die
familiären Beziehungen sind so eng und tief, daß es für dieses Laster schwierig
ist, Familienloyalitäten zu zerfressen, wie es oft auch den Patriotismus zerfrißt.
Aber auch hier hat das Laster einen Einfluß. Denken Sie an die Art und Weise,
wie Filme und andere Artefakte der Popkultur die biologische Kernfamilie als
unausweichlich dysfunktional darstellen und stattdessen neuartige „familiäre“
Arrangements des eigenen Designs empfehlen – „Wahlfamilien“ oder „gegründete
Familien“ (found families), wie sie manchmal genannt werden.
Die
entgegengesetzten extremen Laster, die ich beschrieben habe, neigen dazu, sich
gegenseitig auszustechen. Tribalismus und Nationalismus entstehen daher
manchmal als Überreaktion auf den blutleeren Kosmopolitismus mit seiner Idee
der „globalen Gesellschaft“ und seiner Neigung, in einen entfremdenden
Individualismus zu verfallen. Inzwischen verkauft sich das Ideal der „globalen
Gesellschaft“ als die einzige Alternative zu Nationalismus und Tribalismus, und
seine Befürworter tendieren dazu, diese Laster in jedem Ausdruck des
Patriotismus zu sehen.
Solidarität
Das
naturrechtliche Verständnis der Gesellschaft ist ein organisches, weil es die
Mitglieder jeder Gesellschaft dazu bringt, in einer Beziehung zueinander zu
stehen, die mit der Art und Weise vergleichbar ist, in der die Organe eines
Lebewesens miteinander verbunden sind. So wie jedes Organ eine bestimmte und essentielle
Rolle bei der Verwirklichung des Wohls des ganzen Organismus spielt, so dient
auch jedes Mitglied einer Gesellschaft einer bestimmten und essentiellen Rolle
bei der Verwirklichung des Wohls dieser Gesellschaft. Und so wie ein Organismus
darauf achtet, jeden seiner Teile zu ernähren und zu beschützen, sollte auch
die Gesellschaft so organisiert werden, daß jedes ihrer Mitglieder gedeihen
kann (vorbehaltlich der Qualifikationen, die das Subsidiaritätsprinzip mit sich
bringt, auf das im folgenden eingegangen wird). Die Körperteile solidarisieren
sich miteinander, und so muß auch jeder Teil der Gesellschaft sein.
Papst
Pius XI. gab in seiner Enzyklika CastiConnubii diesem organischen Modell, das auf die Familie angewandt wurde, seinen
klassischen Ausdruck. Er
spricht von „diesem Körper, der die Familie ist“, in dem „der Mann das Haupt
ist“ und „die Frau das Herz, und wie er das Vorrecht der Leitung, so kann und
soll sie den Vorrang der Liebe als ihr Eigen- und Sonderrecht in Anspruch
nehmen.“ Natürlich ist dies heutzutage politisch inkorrekt, aber wer darin ein
Rezept für patriarchale Tyrannei sieht, achtet nicht auf die Kraft der Analogie
(ganz zu schweigen von dem „Vorrang der Liebe“, den Pius den Müttern zuteilt).
In einem buchstäblichen Körper fungiert der Kopf zum Wohle des Herzens und der
anderen Teile, genau wie die anderen Teile für ihn funktionieren. Oder
vielmehr, sie alle arbeiten um des Ganzen willen, und das Ganze sieht nach
jedem Teil. Und so wird die Familie verstanden.
Die
politische Autorität, nach Auffassung des Naturrechts, war ursprünglich eine
Erweiterung der väterlichen Autorität, mit den frühesten Herrschern, die
Patriarchen oder Väter von Stämmen und Nationen waren, analog zu den Vätern,
die die Kernfamilien regierten. Als die Nationen größer und die Beziehungen
zwischen den Bürgern weniger persönlich wurden, wurden die Oberhäupter der
Länder „väterlich“ auf die lockerste Art und Weise, und die Zustimmung und der
Beitrag der Regierten spielten eine immer wichtigere Rolle in der
Regierungsführung. Dies ist in Anbetracht der Subsidiarität (wiederum
nachstehend noch zu erläutern) vollkommen angemessen. Aber der im wesentlichen
organische Charakter der Gesellschaft und die Notwendigkeit, daß jeder Teil mit
den anderen solidarisch sei, änderten sich nicht.
Solidarität
ist unvereinbar mit dem Begriff des Klassenkampfes. In einem Organismus
bedeutet die Tatsache, daß Kopf, Herz, Arme, Beine, Augen, Ohren usw. sehr
unterschiedliche Rollen und Bedürfnisse haben, nicht, daß sie miteinander
konkurrieren oder im Widerspruch zueinander stehen. Im Gegenteil, sie brauchen
und ergänzen sich gegenseitig. Ebenso sind Kapitalisten und Manager auf der
einen Seite und Arbeiter auf der anderen Seite politische Autoritäten, und
diejenigen, die sie regieren, Männer und Frauen, Menschen verschiedener
ethnischer Gruppen und so weiter, nicht in der Natur gegensätzlich und in den
Zwecken überkreuz, sondern ergänzen sich und bringen unterschiedliche Stärken
auf den Tisch. Die Gesundheit der Gesellschaft erfordert nicht den Sieg einer
Klasse oder einer Gruppe über eine andere oder die völlige Beseitigung von
Klassen- und Gruppenunterschieden, sondern die nüchterne Anerkennung ihrer
Unterschiede und des gegenseitigen Respekts und der Zusammenarbeit zwischen ihnen.
Solidarität
ist auch unvereinbar mit dem Begriff des Rassenkampfes, der im wesentlichen
eine Widerspiegelung des Nationalismus, der Perversion des Patriotismus ist.
Zum einen schulden wir jedem Solidarität, obwohl diejenige, die wir der
menschlichen Rasse im allgemeinen schulden, nicht so stark ist wie die
Solidarität, die wir unserer eigenen Familie oder unserem eigenen Land
schulden. Jeder Mensch ist ein Bruder in einem erweiterten Sinn, und daher ist
es falsch, irgendeine andere rassische oder ethnische Gruppe mit Feindseligkeit
oder Verachtung zu betrachten. Zum anderen sind sehr große Nationen nicht nur
durch das Blut, sondern durch die Bindungen der gemeinsamen Geschichte,
Sprache, Kultur und so weiter verbunden. Selbst wenn es keine Blutsverwandten
gibt, gibt es etwas Analoges zu Adoptivfamilien zwischen Bürgern. Den
Landsleuten jeder Rasse oder Ethnie ist also die gleiche Treue geschuldet.
Dieser
organische Begriff der Gesellschaft hat nun zwei Schlüsselkomponenten: den
Begriff der Gesellschaft als eines Ganzen, der dem Körper eines Organismus
entspricht; und den Begriff der Mitglieder der Gesellschaft als zu
unterscheidender Teile dieses Ganzen, die analog den verschiedenen Teilen des
Körpers (Augen, Ohren, Herz, Beine etc.) entsprechen. Verzerrungen des
Solidaritätsideals neigen dazu, die eine oder andere dieser
Schlüsselkomponenten zu verzerren.
Der
Totalitarismus in seinen
verschiedenen Formen (wie der klassenorientierte Totalitarismus des Kommunismus
oder der rassenzentrierte Totalitarismus des Nationalsozialismus) legt so
großen Wert auf das Ganze, in dem die Mitglieder der Gesellschaft Teile sind, daß
die Teile im wesentlichen verschwinden. Die Mitglieder werden nicht mehr als
einzigartig angesehen, jedes mit eigene Bedürfnissen und eigener Würde, die der
ganze Körper respektieren muß (wie seine Augen, Arme, sein Herz, seine Lunge
usw. von einem Organismus geschätzt und gepflegt werden). Vielmehr werden die
Mitglieder als flüchtig, auswechselbar und leicht austauschbar angesehen, wie
bloße Zellen, oder sogar als ganz entbehrlich, wie Abfallprodukte des Haareschneidens
und der Fingernägel. Die Disanalogien zwischen einzelnen Menschen und Teilen
des Körpers – und kein Theoretiker des Naturrechts würde bestreiten, daß es
Disanalogien gibt, da die Analogie nicht exakt ist – werden ignoriert. Zum Teil
als Abhilfe gegen diese gefährliche Fehlanwendung der organischen Analogie,
haben die Theoretiker des Naturrechts Wert darauf gelegt, den Grundsatz der
Solidarität mit dem Subsidiaritätsprinzip in Einklang zu bringen.
Es
gibt einen anderen Weg, wie Solidarität verzerrt werden kann – was uns zur Gleichheit bringt. Es gibt einen klaren
Sinn, in dem die Körperteile und auch die Mitglieder der Gesellschaft von
gleicher Bedeutung sind. Wie Paulus schreibt:
Das Auge kann nicht zur Hand sagen:
Ich brauche dich nicht. Der Kopf wiederum kann nicht zu den Füßen sagen: Ich
brauche euch nicht. Im Gegenteil, gerade die schwächer scheinenden Glieder des
Leibes sind unentbehrlich. Denen, die wir für weniger edel ansehen, erweisen
wir umso mehr Ehre und unseren weniger anständigen Gliedern begegnen wir mit
umso mehr Anstand, während die anständigen das nicht nötig haben. Gott aber hat
den Leib so zusammengefügt, daß Er dem benachteiligten Glied umso mehr Ehre
zukommen ließ, damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder
einträchtig füreinander sorgen. Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle
Glieder mit; wenn ein Glied geehrt wird, freuen sich alle Glieder mit (1
Korinther 12, 21–26).
Aber
die gleiche Bedeutung für alle
bedeutet nicht, daß alle gleichgestellt werden. Denn alle sind nicht in jeder
bedeutenden Hinsicht gleich, und es dient dem Guten des Ganzen, daß sie es
nicht sind. Die Augen und die Beine sind nicht gleich gut zum Sehen oder gleich
gut zum Gehen. Jeder hat seinen „Job“, und jeder muß seine Arbeit tun, wenn der
ganze Organismus gedeihen soll. Ein Organismus, der sich weder um seine Augen
noch um seine Beine kümmert, wird dysfunktional sein. Aber ein Organismus, der glaubt,
daß er die Augen zum Gehen zwingen müsse und daß er versuchen müsse, die Beine
zum Sehen zu zwingen, wird ebenfalls dysfunktional sein.
Der
moderne Egalitarismus macht im Grunde diesen Fehler. Im Namen der gleichen
Bedeutung für alle widersteht er der Vorstellung oder lehnt sie sogar ab, daß
verschiedene Mitglieder der Gesellschaft unterschiedliche Rollen, Neigungen und
Bedürfnisse haben. Daher die Feindseligkeit des Sozialismus gegen die Existenz
verschiedener Klassen. Daher die Feindseligkeit des Feminismus gegenüber den
traditionellen Geschlechterrollen in der Familie und der Vorstellung, daß
Männer und Frauen auf natürliche Weise dazu tendieren, sich in psychologischen
Merkmalen zu unterscheiden, nicht weniger als sie es physiologisch tun. Daraus
ergibt sich das dogmatische Beharren der Liberalen darauf, anhaltende
Unterschiede in ökonomischen und anderen Ergebnissen als Folge von ungerechter
Diskriminierung und unzureichendem Social Engineering zu sehen. Daher rührt die
Rawlsche Haltung, die verschiedenen natürliche Anlagen der Individuen als „aus
moralischer Sicht willkürlich“ zu betrachten, so daß die Umverteilung der
Früchte dieser unterschiedlichen Vermögen erforderlich ist. Daher die
konstante, schamlose Verwischung der Unterscheidung zwischen der Hilfe für die
Armen (die die Solidarität auf jeden Fall erfordert) und der Gleichmacherei der
wirtschaftlichen Ergebnisse (was die Solidarität definitiv nicht erfordert).
Daher Marxens lächerliche Phantasie in Die
deutsche Ideologie:
[…] während in der kommunistischen
Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat,
sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die
allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies,
morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht
zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je
Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker zu werden.“
Richtig
verstanden, bedeutet Solidarität nicht nur keinen radikalen Egalitarismus,
sondern sie schließt ihn positiv aus. Denn der Egalitarismus, nicht weniger als
ein radikaler Individualismus, steht dem organischen Wesen der Gesellschaft
entgegen. Der radikale Individualist leugnet, daß wir in irgendeiner Weise
Teile eines größeren sozialen Körpers sind. Der radikale Egalitarist bestreitet
dies nicht unbedingt, leugnet aber, daß wir unterschiedliche Teile sind. Er
will uns alle zu Augen oder alle zu Beinen oder alle zu Herzen machen.
Aus
diesem Grund waren Päpste wie Leo XIII. und Pius XI. äußerst hart gegen
Sozialismus und Gleichmacherei, auch wenn sie die kapitalistische Gesellschaft
aufforderten, sich selbst zu reformieren, um die Bedingungen für Arbeiter und
Arme zu verbessern. Dies war keine Inkonsistenz ihrerseits, sondern im
Gegenteil vollkommene Konsistenz, wenn man die organische naturrechtliche
Konzeption der Gesellschaft bedenkt, mit der sie arbeiteten. Die Lehre der
Päpste, wie die Lehre des Naturrechts, ist sowohl, daß der Mensch ein soziales Lebewesen
ist, als auch, daß er kein sozialistisches Lebewesen ist.
Subsidiarität
Ein
Organismus kann nicht vollständig gedeihen, wenn er gestört wird – wenn Sie ihn
einschränken, ihn in Fesseln legen, ihn ständig stoßen und stupsen, oder sich
selbst einfach zu einer Plage machen, wie es eine Bremse tut. Er braucht Raum
zum Atmen, Handlungsfreiheit und die Möglichkeit, seine besonderen Talente und
sein Wissen zu nutzen.
Soziale
Organismen sind auch so. Eine Familie sorgt sich um ihre Mitglieder stärker,
als Außenseiter dazu fähig sind, und sie hat ein Wissen von ihren Bedürfnissen,
das größer und intimer ist als das von Außenstehenden. Die Familie sollte daher
so weit wie möglich für ihre eigenen Angelegenheiten sorgen, wobei externe
Stellen nur dann Hilfe leisten oder sich einmischen, wenn die Familie nicht
mehr richtig funktioniert. Sogar dann, wenn ein solches Eingreifen notwendig
ist, sollte es so weit wie möglich von der Familie selbst geleistet werden, von
denen, die der Familie am nächsten stehen – zuerst von der Großfamilie, dann der
örtlichen öffentlichen Gewalt, wenn es absolut notwendig ist, und so weiter
durch die oben erwähnten konzentrischen Kreise.
Was
für die Familie gilt, gilt auch von anderen sozialen Organisationen. Die
Annahme ist, daß sie von übergeordneten sozialen Organisationen allein gelassen
werden sollten, und diese Annahme kann nur dann außer Kraft gesetzt werden,
wenn eine Intervention notwendig ist, um die ordnungsgemäße Funktion der
untergeordneten Organisationen wiederherzustellen, und nur in dem Ausmaß und
für die Zeit, wo dies notwendig ist. Dies ist das naturrechtliche Prinzip der
Subsidiarität, das Papst Pius XI. in Quadragesimo
Anno klassifiziert hat:
„Wie dasjenige, was der
Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten
kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf,
so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und
untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die
weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es
überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede
Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll
die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen
oder aufsaugen.“
Wie
die im Solidaritätsprinzip verankerte organische Gesellschaftskonzeption,
widerspricht das Subsidiaritätsprinzip dem Sozialismus und jedem anderen
politischen Programm, das sich im Namen der „sozialen Gerechtigkeit“ das
aneignet, was private Unternehmen, lokale Gemeinschaften oder Kirchen leisten
können – ganz allgemein das, was Edmund Burke die „kleinen Züge“ der
Gesellschaft nannte.
Es
ist wichtig zu betonen, daß dies ein moralisches Prinzip ist und nicht nur ein
pragmatisches. Die Behauptung ist nicht nur, daß eine Zentralregierung
entscheiden kann, sich nicht in die
Angelegenheiten kleinerer Institutionen einzumischen, wenn sie dies für
effizienter hält. Es bedeutet vielmehr, daß sie sich nicht einmischen darf, es
sei denn es ist absolut notwendig, dies zu tun. Nehmen wir daher an, daß es
möglich ist, eine angemessene Gesundheitsversorgung für alle in einem privaten
System bereitzustellen, das durch staatliche Hilfsprogramme für Bedürftige
ergänzt wird, die keine adäquate Versorgung auf dem freien Markt erhalten
können. (Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist nicht das Thema, das ich hier
behandle – es ist nur eine Illustration). Dann sind wir in diesem Fall nicht
nur in einer Situation, in der es für den Staat unnötig ist, das medizinische
System zu sozialisieren. Nach dem Subsidiaritätsprinzip befinden wir uns in
einer Situation, in der der Staat dies moralisch
nicht tun darf – beim Schmerz dessen, was Pius XI. „Ungerechtigkeit“, „überaus
nachteilig“ und „Verwirrung der ganzen Gesellschaftsordnung“ nennt.
Daher
kann der Sozialismus nicht im Namen der sozialen Gerechtigkeit gerechtfertigt
werden, weil soziale Gerechtigkeit, die richtig verstanden wird, eine Sache der
Solidarität und nicht des Egalitarismus ist, und weil Solidarität mit
Subsidiarität Hand in Hand geht. Beide Prinzipien sind für das ordnungsgemäße
Funktionieren der sozialen Institutionen gleichermaßen wichtig. So lehrte Pius
XI. in derselben Enzyklika, daß „niemand zugleich ein guter Katholik und ein
wahrer Sozialist sein kann“.
Wie
Pius’ Charakterisierung der Subsidiarität zeigt, gilt der Grundsatz auch auf
der Ebene des Individuums. Wiederum schreibt er: „wie dasjenige, was der
Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten
kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden
darf…“ Der Grund, warum dies falsch ist, ist jedoch derselbe wie der Grund,
warum es falsch ist, ohne Notwendigkeit sich in die Familie und andere „kleine
Züge“ einzumischen. Jede dieser kleineren Institutionen in der Gesellschaft hat
eine besondere Funktion – so wie im Körper eines Organismus die Augen das Sehen
übernehmen, die Beine das Gehen usw. – und sie brauchen die Freiheit, das auch
weiterhin zu tun. Doch auch das Individuum braucht diese Freiheit. Es braucht
insbesondere die Freiheit, das Gute im Sinne des Naturrechts zu verfolgen. Und
während die vielen Unterschiede zwischen individuellen Begabungen, Interessen
und Umständen ein hohes Maß an Freiheit für den Einzelnen mit sich bringen, um
herauszufinden, was für ihn persönlich am besten ist, bringt das Naturrecht
bestimmte absolute moralische Grenzen mit sich, innerhalb derer diese Freiheit
ausgeübt werden kann.
Kurz
gesagt, die Freiheit von Individuen und von Familien und anderen sozialen
Formationen hat eine teleologische Grundlage. Es geht grundsätzlich um die
Freiheit, das zu tun, was notwendig oder angemessen für uns ist, um die Ziele
zu verwirklichen, zu denen wir von der Natur aus geleitet werden. Das bringt
uns endlich zur Freiheit. Verstanden als die Freiheit von Individuen, Familien,
Kirchen und anderen „kleinen Zügen“, um die Ziele zu verfolgen, auf die das
Naturrecht sie verweist, ist die Freiheit im wesentlichen das gleiche wie
Subsidiarität, und unter den gegenwärtigen Umständen ist dies die am meisten
vernachlässigte und dringlichste Forderung an die soziale Ordnung, die der
Naturrechtstheoretiker betont.
Aber
so verstehen die meisten Menschen die Freiheit heute nicht. Liberale,
Sozialisten, Libertäre und sogar viele selbsterklärte Konservative sehen in der
„Freiheit“ im wesentlichen die Freiheit von Zwängen, alles das zu tun, was man
tun will, und nicht die Freiheit, objektiv Gutes zu verfolgen. Sie sind sich
uneinig darüber, was genau der Respekt vor der Freiheit bedeutet, aber sie
neigen alle dazu, sich von etwas wie einer objektiven naturrechtlichen
teleologischen Grundlage zu trennen. Richter Anthony Kennedy faßte diese
Auffassung in einer berühmten Zeile aus der Entscheidung von Planned Parenthood v. Casey zusammen: „Im
Kern ist die Freiheit das Recht, das eigene Konzept von Existenz, Sinn, Universum
und das Geheimnis des menschlichen Lebens selbst zu definieren.“
„Freiheit“
in diesem Sinne verstanden, ist die größte Bedrohung für die soziale Ordnung,
wie sie die Naturrechtstheorie versteht. Das ist nirgendwo offensichtlicher als
im Falle der „Freiheit“, die durch die sexuelle Revolution eingeleitet wurde,
und angesichts des enormen Schadens, den sie der Institution der Familie, also
der sozialen Basisinstitution, zugefügt hat.
In
dem, was die Naturrechtstheorie als rechtmäßig geordnete Gesellschaft ansieht,
heiraten die meisten Menschen und die Ehe führt typischerweise zu Kindern, und
zwar zu vielen Kindern. Dies wiederum schafft ein großes soziales Netzwerk von
Menschen, die einem persönlich bekannt sind – viele Brüder und Schwestern,
Cousins, Tanten und Onkel und so weiter –, auf die der Einzelne in Zeiten der
Not zurückgreifen kann. Scheidung ist stigmatisiert, so daß Kinder in der Regel
ein stabiles Zuhause und Disziplin haben, und sie und ihre Mütter haben in der
Regel einen zuverlässigen Fürsorger. Ältere Familienmitglieder werden von der
neuen Generation betreut, so wie sie sich um diese Generation kümmerten, als
sie noch in den Kinderschuhen steckte. Ältere Mitglieder finden zugleich einen verläßlichen
Lebenszweck darin, ihre Enkelkinder großzuziehen. Im allgemeinen hat das Wohl
der Familie Vorrang vor den Wünschen des einzelnen Mitglieds. Und diese
Unterordnung des Eigennutzes unter das Gemeinwohl der Familie macht die
Menschen nüchterner und realistischer in ihren Erwartungen, weniger
selbstsüchtig und versetzt sie besser in die Lage, eine tiefe und dauerhafte
Zufriedenheit zu erreichen, auch wenn dies nicht so erregend ist wie eine zweite
oder dritte Ehe.
Vergleichen
Sie das mit der zeitgenössischen Mentalität, in der Sexualität und Romantik in
erster Linie als eine Frage der Selbstverwirklichung betrachtet werden, statt daß
das Selbstopfer zum Wohle der Kinder und der Familie als ein natürliches Ziel gesehen
würde. Während die traditionellen, naturrechtlich anerkannten Regelungen die
kurzfristigen Interessen des Einzelnen der langfristigen Gesundheit der Familie
unterordnen, ordnet die moderne Mentalität die langfristige Gesundheit der
Familie den kurzfristigen Interessen des Einzelnen unter. Natürlich wird so die
Solidarität geschwächt.
Wie
das? Zuerst und am dramatischsten wird eine ungeheure Zahl von unbequemen
Nachkommen, die sich aus sexuellen Beziehungen ergeben, jetzt nicht nur nicht
gepflegt, sondern abgetrieben – das heißt, um es klar zu sagen, sie werden von
ihren eigenen Eltern ermordet. Die Solidarität könnte nicht schwächer werden
als so.
Aber
das ist erst der Anfang. Die Kinder, die die Menschen haben, befinden sich
typischerweise in sehr kleinen Familien, mit höchstens einem oder zwei anderen
Geschwistern. Scheidung, Wiederverheiratung und das anschließende Herumschieben
der Nachkommenschaft sowie die geographische Trennung schwächen oft auch die
Beziehungen zwischen Geschwistern (oder Halbgeschwistern). Weitverbreitete
Unzucht und Scheidung lassen viele Frauen ohne Fürsorgenden und ihre Kinder
ohne männliches Vorbild. Mit nur einem oder zwei Kindern, die sich um sie
kümmern, werden ältere Familienmitglieder als größere Belastung angesehen. All dies
führt zu größerer Armut und damit zu größerer Abhängigkeit vom Staat sowie zu den
antisozialen Verhaltensweisen (Bandentätigkeit, Kriminalität und dergleichen),
die junge Männer ohne väterliche Disziplin anfälliger machen, zu fallen.
Männer, da sie leicht kurzfristige sexuelle Befriedigung außerhalb der Ehe
finden können, werden rüpelhaft, selbstsüchtiger und anfälliger, Frauen
auszunutzen und zu verlassen. Eine weit verbreitete Nutzung von Pornographie
macht sie weniger fähig, mit einer echten Frau zufrieden zu sein, wenn sie
heiraten, was zu ehelicher Zwietracht und höheren Scheidungsraten beiträgt.
Sehr viele Frauen, die beiseitegeschoben werden, wenn „seriell monogame Männer“
beschließen, jemand anderen zu heiraten, sind nicht in der Lage, überhaupt Ehemänner
zu finden, und nach dem mittleren Alter stehen ihnen Jahrzehnte der Einsamkeit
und der Kinderlosigkeit bevor. Ältere Familienmitglieder werden in Pflegeheime
und Kinder in Kindertagesstätten geschickt, um von bezahlten Angestellten und
nicht von anderen Familienmitgliedern betreut zu werden.
Es
gibt also weniger Kernfamilien, die existierenden sind viel kleiner und weniger
stabil, die Betreuung von Kindern und älteren Menschen ist oft weitgehend
unpersönlich und wird von der Familie selbst getrennt, und die Großfamilie ist
als Teil des Alltagslebens weitgehend verschwunden. Die Menschen sind
egozentrischer, weniger bereit, etwas für das Gute selbst ihres eigenen
Fleisches und Blutes zu opfern. Sie sind auch einsamer und brauchen mehr
staatliche Unterstützung und fordern diese. Kurz gesagt, die moderne „Freiheit“
untergräbt die Solidarität, die eine Abhängigkeit vom Staat fördert und die
Subsidiarität oder die Freiheit im eigentlichen Sinne untergräbt.
Sie
zerstört auch die Treue zu größeren sozialen Ordnungen. Wenn selbst die Familie
aus persönlicher Laune zerbrochen und neu erfunden oder sogar ganz aufgegeben
wird, anstatt etwas zu opfern, so ist es kaum verwunderlich, wenn man sieht, daß
das eigene Land keinen besonderen Anspruch auf Loyalität hat.
Wahre soziale Gerechtigkeit
Hierin
besteht eine Ironie von Orwellschem Ausmaß. Die Verbreitung des Begriffs
„soziale Gerechtigkeit“ entstand in der thomistischen Naturrechtstheorie. Sie
wird oft dem großen jesuitischen Gesetzestheoretiker Luigi Taparelli
zugeschrieben. Sie hat mit der gerechten oder richtigen Ordnung der
Gesellschaft zu tun, die bestimmt wird durch starke Familien und die
Zusammenarbeit zwischen Ehemann und Ehefrau bei der Ausübung ihrer jeweiligen
Rollen zugunsten von Kindern und Ältesten, durch Solidarität und Zusammenarbeit
zwischen ökonomischen Klassen und anderen sozialen Gruppen, sowie eine
gewissenhafte Beachtung der Subsidiarität in der Beziehung des Staates zu den
„kleinen Zügen“ der Gesellschaft.
Was
heute unter dem Etikett der sozialen Gerechtigkeit steht – worüber sich
selbernannte „Kämpfer für soziale Gerechtigkeit“ aufregen –, ist genau das
Gegenteil von alledem. Es beinhaltet sexuellen Libertinismus und Abtreibung auf
Verlangen, die feministische Dämonisierung des „Patriarchats“ und der
traditionellen Familienrollen, das unaufhörliche Aufblähen von Spannungen
zwischen ökonomischen Klassen und Rassengruppen (z.B. der tägliche
Zwei-Minuten-Haß gegen „Ein-Prozentler“, gegen „weiße Privilegien“ usw.), die
unerbittliche Schmiererei gegen das eigene Land und seine Geschichte,
sozialisierte Medizin und sozialisierte Bildung und so weiter. Das mag
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nach einer Mode sein, aber es ist die
Zerstörung von Subsidiarität, Solidarität, Familie und Vaterland.
Wann
wird wahre soziale Gerechtigkeit erreicht? Nur wenn dieser böse Doppelgänger unterliegt.
In der Tat ist man versucht, die Zeile, die Diderot zugeschrieben wird, zu
parodieren und zu antworten: Nur wenn der letzte Sozialist mit den Eingeweiden
des letzten sexuellen Revolutionärs erwürgt wird. Das ist natürlich ein Scherz.
Revolutionärer Blutdurst ist selbst ein weiteres bösartiges Vermächtnis der
Französischen Revolution, das jeder konservative und natürliche
Rechtstheoretiker verurteilen sollte. Aber trotzdem: Écrasez l'infâme.
Über die Großfamilie habe ich einmal eineen Post geschrieben und bin dafür gelobt worden. Aber das hier ist Qualität.
AntwortenLöschenGroßfamilie als Vorbild für den Generationenvertrag, der heute unverstanden ist. Der Sozialismus ist menschenfeindlich. [... ist die Weltreligion der Irren(den).