Der wohl bekannteste analytische Thomist der USA, Edward
Feser, Associate Professor für Philosophie am Pasadena City College in Pasadena
in Kalifornien, hat in diesem Jahr bereits zwei neue Bücher veröffentlicht.
Soeben ist erschienen sein Buch „Five Proofs of the Existence of God“, ein Buch
zu verschiedenen Gottesbeweisen, die aber nicht identisch sind mit den „fünf
Wegen“ Thomas von Aquins. Vor einigen Monaten erschien ein Buch, dass ich in
einem kurzen Blogbeitrag erwähnt habe und die naturrechtliche Auffassung zur
Todesstrafe verteidigt. Dieses Buch wurde zusammen mit Joseph M. Bessette
geschrieben, einem führenden amerikanischen Juristen und Professor für Government
und Ethik. Ich möchte dieses Buch hier kurz vorstellen und seine zentralen
Thesen darlegen. In Europa findet die Todesstrafe eine tiefe und radikale
Ablehnung, anders als in den USA und man kann der Auffassung sein, dass eine
Diskussion dieses Themas zumindest überflüssig, wenn nicht schädlich ist für
die Debatte um das Naturrecht. Doch dem würden die beiden Autoren entschieden
widersprechen.
Das Buch richtet sich in erster Linie an Katholiken und
stellt sich kritisch zu den Bestrebungen der katholischen Kirche, die
Todesstrafe grundsätzlich zu verdammen. Beide Autoren sind glaubenstreue und
papsttreue Katholiken, sie kritisieren in diesem Buch aber Papst Franziskus für
seine Äußerungen zur Todesstrafe, der diese als „in sich schlecht“ bezeichnet
hat, was nach Auffassung der Autoren gegen die traditionelle Lehre der Kirche
verstößt und einen Bruch darstellt.
Der Titel
des Buches lautet „By Man Shall his Blood be Sheed. A Catholic Defense ofCapital Punishment“. Der erste Teil des Buches ist ein Zitat aus der Hl.
Schrift und zwar Genesis 9:6 und heißt auf Deutsch übersetzt in etwa „Wer
Menschenblut vergießt, dessen Blut wird durch Menschen vergossen“. Eine
katholische Verteidigung der Todesstrafe.
Nach einem Vorwort und einer Einleitung legen die Autoren in
vier Kapiteln ihre Auffassung zur Todesstrafe dar. Im ersten Kapitel, das vor
allem von Edward Feser geschrieben sein dürfte (die Autoren betonen, dass sie
alles gemeinsam geschrieben haben, aber mit gewissen Schwerpunkten), wird die
naturrechtliche Auffassung zur Todesstrafe vorgestellt (90 Seiten). Dieser Teil
ist sehr lesenswert, da er zugleich eine sehr gute Zusammenfassung der Theorie
des Naturrechts bietet. Im zweiten Teil stellen die Autoren die Lehre der
Kirche zur Todesstrafe dar und zwar sehr ausführlich und umfangreich von den
Kirchenvätern bis zur Gegenwart, d.h. vor allem bis zum Katechismus der Katholischen Kirche aus den 1990er Jahren. Dieses
Kapitel umfasst weit über 100 Seiten. Das dritte Kapitel über austeilende
Gerechtigkeit in dieser Welt und Erlösung in der nächsten Welt, wird das zweite
Kapitel fortgeführt und vertieft. Das vierte Kapitel setzt sich dann mit der Kampagne
der amerikanischen Bischöfe gegen die Todesstrafe auseinander, eine Kampagne,
die etwa mit den 1960er Jahren begonnen hat und seither zunehmend an Fahrt
aufgenommen hat. Dieser Teil lässt sich eins zu eins auf die deutschen oder
europäischen Bischöfe übertragen. In diesem Kapitel werden die US-Bischöfe
heftig kritisiert, da ihre Position sich zunehmend von der Tradition der Kirche
löst und immer weiter entfernt hat, die aber der Maßstab für die Lehre der
Kirche ist und daher nicht übergangen werden kann. Diese Kritik wird auch an
päpstlichen Äußerungen widerholt, zunächst in Bezug auf Johannes Paul II.,
dessen Äußerungen zur Todesstrafe missverstanden werden konnten aber von dem damaligen
Kardinal Ratzinger klargestellt wurden, und dann gegen Äußerungen von Papst
Franziskus, die allerdings keinen lehramtlichen Charakter haben.
Ich kann natürlich hier nicht den Inhalt auch nur
andeutungsweise wiedergeben und empfehle daher jedem Leser, der sich für dieses
Thema interessiert und nicht mit ideologischen Scheuklappen die Todesstrafe als
„in sich böse“ ablehnt (was bei gewissen Linken unglaubwürdig ist, die zugleich
ein Recht auf Abtreibung fordern), dieses Buch zu lesen. Ich möchte aber das
zentrale Argument der Autoren für die Todesstrafe herausstellen, woraus auch
deutlich wird, dass diese Diskussion kein überflüssiges Nebengleis darstellt,
sondern für das Verständnis von Rechtsprechung, Strafe, Wiedergutmachung und
diesen ganzen Bereich zentral ist.
Zunächst einige kurze Bemerkungen zum Wesen der Strafe, ohne
die die Bedeutung der Todesstrafe nicht zu verstehen ist. Das Wesen der Strafe
ist nach naturrechtlicher Auffassung und auch Thomas von Aquins in drei Punkten
zusammenzufassen: Die Strafe dient der Vergeltung für ein begangenes Übel, sie
dient darüber hinaus der Besserung des Übeltäters und drittens der Abschreckung
für andere Personen, die geneigt sein könnten, ein ähnliches Übel zu
verursachen. In der modernen Welt gilt insbesondere die Vergeltung sehr
umstritten und wird in großen Teilen insbesondere der postmodernen
Weltanschauung entschieden abgelehnt. Allerdings werden inzwischen auch die
beiden anderen Aspekte der Strafe und damit die Strafe insgesamt in bestimmten
Ideologien abgelehnt. Aussagen im politischen Bereich hierzu finden sich z.B.
bei Mitgliedern der Partei Bündnis 90 / Die Grünen.
Für die natürliche Ethik ist aber die Vergeltung nicht nur ein legitimes Ziel der Strafe, sondern
gerade das zentrale und fundamentale Ziel schlechthin. Ohne den Aspekt der
Vergeltung hört die Strafe auf, Strafe zu sein. Die Vergeltung bildet somit das
Zentrum der Bestrafung. Wenn dieser Aspekt in Frage gestellt wird, dann wird
die Strafe insgesamt in Frage gestellt.
Zur Vergeltung und damit zur Strafe gehört nun die
Angemessenheit. Eine Strafe muss der Tat angemessen sein, sie sollte weder zu
harsch, noch zu milde ausfallen. Dies wird im Prinzip der Proportionalität
ausgedrückt, wonach die Strafe proportional zu dem Verstoß sein sollte. Dies
wird von jedem Menschen intuitiv verstanden und die meisten Menschen haben auch
ein Gefühl dafür, ob eine Strafe angemessen ist oder nicht.
Damit lässt sich nun das zentrale Argument für die
Todesstrafe darstellen (Seite 52 im Buch):
1. Ein Übeltäter verdient Strafe.
2. Die schwerer die Übeltat, desto strenger ist die
verdiente Strafe.
3. Einige Verbrechen sind so schwerwiegend, dass
keine andere Strafe als der Tod proportional zu der Schwere des Verbrechens
ist.
4. Deshalb verdienen Übeltäter die eines solchen Verbrechens schuldig sind, den Tod.
5. Die öffentliche Autorität (der Staat) hat im Prinzip das Recht, einem Übeltäter die Strafe zuzufügen, die er verdient.
6. Deshalb hat die öffentliche Autorität im Prinzip das Recht, die Todesstrafe aufzuerlegen für solche Verbrecher, die der schwersten Verbrechen schuldig geworden sind.
4. Deshalb verdienen Übeltäter die eines solchen Verbrechens schuldig sind, den Tod.
5. Die öffentliche Autorität (der Staat) hat im Prinzip das Recht, einem Übeltäter die Strafe zuzufügen, die er verdient.
6. Deshalb hat die öffentliche Autorität im Prinzip das Recht, die Todesstrafe aufzuerlegen für solche Verbrecher, die der schwersten Verbrechen schuldig geworden sind.
Dies ist das zentrale Argument der Autoren für die
Todesstrafe. Die Prämissen und Schlüsse des Arguments werden im Weiteren
ausführlich erläutert und weiter begründet. Wichtig ist hier vor allem die
dritte Prämisse, die eigentlich offensichtlich wahr ist, die aber bestritten werden
kann, wenn man bestreitet, dass die Vergeltung ein zentraler Aspekt der Strafe
ist. Das Argument geht in etwa folgendermaßen: Wenn die Vergeltung der zentrale
Aspekt der Strafe ist und wenn die Strafe in einem angemessenen Verhältnis zum
Verbrechen stehen muss, dann muss die Todesstrafe die Vergeltung für die
schlimmsten Verbrechen sein.
Man sieht hier leicht, dass die prinzipielle Ablehnung der Todesstrafe zu einer prinzipiellen
Ablehnung der Angemessenheit der Bestrafung und damit der Vergeltung als
Zentrum der Strafe führt. Und dies ist der entscheidende Punkt in der
Argumentation der Autoren für die Todesstrafe: Wenn die Todesstrafe prinzipiell bestreitet, der bestreitet
die Notwendigkeit und auch Güte der Strafe insgesamt (zuvor haben die Autoren
gezeigt, dass die Strafe nicht nur notwendig, sondern in sich gut ist, S. 37 - 40).
Damit hat aber die Ablehnung der Todesstrafe weitreichende
Folgen, denn sie stellt das gesamte Rechtssystem in Frage, wie dies die
Postmoderne und ihre Vertreter in Politik, Gesellschaft und Staat schon seit
längerem tun. Die Autoren konzentrieren sich allerdings weniger auf diese
linksliberalen, autonomistischen postmodernen Kreise, die immer weitere
Meinungshoheit in den westlichen Ländern erobern, sondern auf die Katholiken,
die grundsätzlich die Prinzipien der Strafe und Vergeltung anerkennen und in
Selbstwidersprüche geraten, wenn sie prinzipiell die Todesstrafe ablehnen. Man
kann, wie die Autoren feststellen, gegen die Anwendung der Todesstrafe sein, sowohl in bestimmten Einzelfällen
als auch für eine bestimmte Zeit, aber nicht grundsätzlich.
Für bestimmte Kreise innerhalb der Politik und Gesellschaft,
die inzwischen die Herrschaft über die Medien und die Öffentlichkeit erlangt
hat und die ich unter dem Begriff Postmoderne zusammenfasse, wird die
Verteidigung der Todesstrafe mit dem Schimpfwort „Nazi“ belegt und der
Verteidiger von jeder weiteren Diskussion ausgeschlossen. Dieses Verfahren ist
nicht nur radikal undemokratisch, sondern auch völlig argumentationsfrei. Man
kann selbstverständlich gegen die hier von den Autoren vorgestellte stringente
Argumentation sein, aber dies sollte man mit Argumenten belegen und nicht mit
dem Ausschluss von der Diskussion und Strafandrohungen.
Das zweite Buch Edward Fesers habe ich noch nicht ganz
gelesen. Ich werde es zu gegebener Zeit hier im Blog vorstellen.
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