Diese Frage taucht seit Jahrzehnten immer von neuem auf und
hat für viel Streit zwischen Christen, nicht nur zwischen Christen
unterschiedlicher Konfessionen, gesorgt, sondern auch zum Streit zwischen
Katholiken, die eher liberal und modern gesinnt sind und Katholiken, die sich
der Tradition verbunden fühlen. In Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils
wird behauptet, dass Christen und Moslems denselben Gott anbeten. Ich möchte
zur Schlichtung dieses Streites beitragen, indem ich eine von ideologischen
Vorurteilen freie philosophische Analyse vorstellen möchten. Es geht mir, um
dies hier gleich zu Beginn deutlich zu sagen, nicht darum, interreligiöse
Treffen und Gebetsveranstaltungen zu rechtfertigen. Der Ökumenismus oder der
interreligiöse Dialog ist völlig unabhängig von der Frage, ob Christen und
Moslems denselben Gott anbeten oder nicht. Man kann entschieden gegen derartige
synkretistische Veranstaltungen sein, ohne zu behaupten, dass es sich bei
beiden Religionen um zwei verschiedene „Götter“ handelt. Man kann aber ebenso
für interreligiöse Gebetstreffen sein, selbst wenn klar ist, dass die
beteiligten Religionsvertreter nicht denselben Gott anbeten, wie dies bei
Hindus und Buddhisten zweifellos der Fall ist.
Zunächst ist unumstritten, dass Abraham, Issak, Jakob, Moses
und die Propheten des Alten Testaments den gleichen Gott angebetet haben, wie
es die Christen tun. Selbst bei den Juden der Gegenwart wird eher selten
bezweifelt, dass sie mit den Christen denselben Gott anbeten, obwohl es hier
auch Widerspruch geben kann. Zumindest bezüglich der alttestamentlichen Juden
wird eingewandt, sie konnten von dem dreifaltigen Gott nichts wissen. Jesus,
der aus dem jüdischen Volk hervorgegangen ist und der die inkarnierte zweite
Person Gottes ist, war den Juden des alten Bundes nicht bekannt, doch sie
leugneten ihn auch nicht ausdrücklich, wie dies der Islam und das heutige
Judentum tuen. Dies ist das wesentliche Argument derjenigen, die bestreiten,
dass Moslems und Christen (und Juden) denselben Gott anbeten.
Doch dies tut nichts zur Sache. Es geht bei der Frage nicht
darum, ob jemand eine falsche Vorstellung von Gott hat und ob eine Religion wie
der Islam zahlreiche Missverständnisse beinhaltet. Dies ist aus christlicher
Sicht natürlich der Fall. Doch dass jemand falsche Vorstellungen mit Gott
verbindet besagt noch nicht, dass er unter „Gott“ etwas völlig anderes
versteht, als ein Christ.
Nehmen wir ein anderes Beispiel: Oskar hat von Platon
gehört. Er weiß, dass dieser in der Antike in Athen gelebt hat und ein Weiser
gewesen ist. Er glaubt aber, dass dieser Platon nicht einen der ihm zugeschrieben
Dialoge selbst geschrieben hat, sondern dass er vielmehr eine Gyrosbude im
Zentrum von Athen betrieben hat. Selbstverständlich werden wir sagen, dass
Oskar ganz erhebliche Missverständnisse in Bezug auf die Person Platons hat,
doch damit ist nicht gesagt, dass er eine ganz andere Person meint als
Matthias, der von Platon weiß, dass er die Dialoge geschrieben hat, dass er
Philosoph und Schüler von Sokrates war und die Akademie leitete etc.
In diesem Zusammenhang muss man auf den Unterschied von Sinn und Bedeutung zu sprechen kommen,
wie er von Gottlob Frege vorgestellt
wurde, aber bereits auch bei Thomas von Aquin zu finden ist, wenn auch mit
anderen Begriffen. Das klassische Beispiel von Frege, mit dessen Hilfe er
diesen Unterschied erläutert, ist der unterschiedliche Sinn von „der
Morgenstern“ und „der Abendstern“. Der Morgenstern ist der Stern, der morgens
am besten sichtbar ist und der Abendstern ist der Stern, der am Abend am
hellsten leuchtet. Der Sinn, in Freges Terminologie, ist also sehr
unterschiedlich. Doch die Bedeutung, wieder in Freges Terminologie, ist bei
beiden dieselbe. „Beide“ Sterne sind der Planet Venus. Es kann durchaus
vorkommen, dass jemand die Begriffe Abendstern und Morgenstern versteht, ohne
aber zu wissen, dass es sich bei beiden Begriffen um die Venus handelt oder,
anders gesagt, dass sich beide Begriffe auf denselben Planeten beziehen. Dieser Bezug, die Referenz (in
philosophischer Terminologie), ist das, worum es geht, wenn man die Frage
stellt, ob zwei Begriffe auf denselben Gegenstand referieren.
Nun ist unumstritten, dass Christen, Juden und Moslems Gott
als die Ursache von allem, was existiert, verstehen, dass Gott als allmächtig,
allwissend, absolut gut usw. gedacht wird. Diese Bestimmungen Gottes ergeben
sich schon allein aus einer rein philosophischen Überlegung, wie ich in den
Blogbeiträgen zu den Gottesbeweisen gezeigt habe. Zusätzlich zu diesen
Bestimmungen Gottes bezieht sich das Christentum auf eine Offenbarung Gottes,
nach der Gott in drei Personen existiert und dennoch ein Gott ist, nicht drei
Götter. Wenn jemand behauptet, die Trinität sei der Glaube an drei Göttern,
dann glaubt er tatsächlich nicht an denselben Gott. Die Religion der Mormonen
geht z.B. in diese Richtung, obwohl hier die Abweichung durch einen radikalen
Anthropomorphismus noch viel weitergehender ist.
Auch bei den christlichen Häretikern der christlichen
Geschichte wie z.B. bei den Arianern, wurde nicht in Zweifel gezogen, dass sie
an denselben Gott glauben, obwohl sie die Gottheit Christi leugneten oder
bezweifelten. Ihre Taufe wurde sogar teilweise als gültig anerkannt. Freilich
geht der Islam weiter als die Arianer und stellt, auch im weiten Sinne, keine
christliche Häresie dar, allerdings bedeutet dies nicht, dass der Islam einen
ganz und gar anderen Gott verkündet. Dies wäre dann der Fall, wenn er z.B. von
Gott die Allmacht und Allwissenheit bestreiten und ihn als begrenzte Macht
verstehen würde, der einen bestimmten Bereich der Welt beherrscht und in einem
bestimmten Stein angebetet wird. Dies ist aber nicht der Fall.
„Der Gott der Christen“ und „der Gott der Moslems“
unterscheiden sich im Sinn, nicht
aber in der Bedeutung. Beide beziehen
sich auf den einen, allmächtigen, allwissenden, vollkommen guten, absolut
vollkommenen personalen Gott. Auch dass die Moslems anstatt von Gott von „Allah“
reden, ändert daran nichts. Selbstverständlich haben Moslems nach christlichem
Verständnis erhebliche Missverständnisse über Gott, so wie Oskar erhebliche
Missverständnisse über Platon hat, aber diese Missverständnisse bedeuten noch
nicht, dass sie einen anderen Gott haben.
Das bedeutet natürlich auch nicht, dass jedes beliebige Missverständnis
möglich ist und doch immer die gleiche Entität gemeint ist, bzw. der gleiche
Gott, um bei unserem Thema zu bleiben. Doch wo genau die Grenze verläuft, ab
wann ein Missverständnis so gravierend ist, dass man davon ausgehen muss, dass
jemand einen anderen Gegenstand, bzw. einen ganz anderen „Gott“ meint, dies ist
schwer zu sagen. Auf jeden Fall kann man dies in Bezug auf den Buddhismus und
Hinduismus sagen. Der Hinduist betet tausende von verschiedenen Göttern an und
der Buddhist kennt überhaupt keinen personalen Gott im Sinne der theistischen
Tradition.
Auch die frühe Kirche und die Kirchenväter haben zu diesem
Thema Stellung genommen und mir ist nicht bekannt, dass sie die Juden der
Antike, die ausdrücklich die Inkarnation Gottes in Jesus Christus
zurückgewiesen haben, beschuldigten, einen anderen Gott anzubeten. Auch Thomas
von Aquin hat, zumindest indirekt, zu diesem Thema beigetragen. Nach Thomas
können wir Gott mit dem Verstand gewissermaßen nur von außen erkennen, nämlich
durch die Wirkungen Gottes. Auch gewisse Dinge unserer Welt werden durch die
Bezugnahme auf ihre Eigenschaften bezeichnet und nicht auf ihr Wesen. So z.B.
die „Stubenfliege“, obwohl dies nicht das Wesen der gemeinen Fliege bezeichnet.
Wir treffen sie als lästiges Haustier in unseren Wohnungen an und danach wurde
sie bezeichnet. Wir nehmen dann Bezug auf einen Gegenstand durch die
Eigenschaften bzw. Wirkungen. In anderen Fällen beziehen wir uns auf Dinge durch
ihr Wesen. Thomas nennt als Beispiel Begriffe wie „warm“ und „kalt“ oder „weiß“
(die Beispiele sind hier nicht so wichtig, denn moderne Naturwissenschaftler
könnten sofort dagegen Einwände vorbringen). Hinsichtlich Gottes beziehen wir
uns auf ihn im ersten Sinne, d.h. durch die Bezugnahme auf seine Eigenschaften,
denn wir erkennen ihn nicht in seiner Natur, sondern durch seine Wirkungen und
seine Tätigkeiten. Wir haben eben in diesem Leben keinen unmittelbaren Zugang
zur Erkenntnis Gottes, wie wir dies z.B. in Bezug zu unseren Schmerzen haben,
die uns unmittelbar gegeben sind.
Bei der Erkenntnis Gottes kann es deshalb auch zu groben
Missverständnissen und Fehlern kommen. Die Offenbarung Gottes durch sich selbst
ist dagegen von Gott selbst eingesetzt worden, um diese Missverständnisse zu
beseitigen. Aber die Annahme dieser Offenbarung geschieht durch die freie
Willensentscheidung und auch hier kann man eine Offenbarung zurückweisen.
Jedenfalls bedeutet dies noch nicht, dass man dann einen anderen Gott anbetet.
Sicherlich läßt sich bei der Betrachtung solcher Punkte wie die Frage nach der Stellung Jesu (Sohn oder Prophet) oder der Trinität gesamt fragen, ob es sich nur um eine "Verirrung" handelt. Die Lektüre des Koran und die alltäglichen "Fehlinterpretationen" dieses Buches durch die sog. Gläubigen, die in keiner Weise mit christlichem Denken und Handeln vereinbar sind, lassen mich an demselben Ziel der Gottesverehrung mehr als zweifeln, wenn ich das einmal so zurückhaltend formulieren darf ....
AntwortenLöschenDie Analyse geht hier einen philosophischen Weg, der vorgezeichnet zu sein scheint.
AntwortenLöschenIch meine man müsste aber zunächst fragen - und dies nicht voraussetzen - wann zwei Christen den einen Gott anbeten und ob man das überhaupt wissen kann, ob sie es tun.
Ich glaube nicht, dass die Lösung in Sprachphilosophie zu suchen ist: referieren, Intension, Extension, Sinn Bedeutung usw.
Bei der Heiligen Birgitta steht (wenn ich das recht erinnere), dass Gott die Gebete von einigen (schlechten) Menschen nicht hört.
Wenn Gott aber jedes Gebet hört (wenngleich nicht erhört), dann ist ein Gebet, was er nicht hört, kein Gebet.
Gebete, die Gott nicht hört sind keine Gebete, sondern Geplapper oder sonstiges. Beten tut nur derjenige, dessen Gebete gehört werden und dann ist es keine Frage der Sprachphilosophie, wann jdn. betet oder nicht betet. Diese Entscheidung muss anderes gefällt werden.
Danke für diesen Beitrag. Die Moslems, mit denen ich bisher gesprochen hatte, haben immer denselben Gott gemeint. Ich denke, dies ist wichtig. Und so konnten wir auch über Gott reden und haben oft selbst Atheisten und Agnostiker zu einem Reden von Gott geführt. Auch dies erscheint mir wichtig.
AntwortenLöschenLogisch kann niemand zu einem anderen Gott beten, da es nur einen gibt. Es handelt sich ansonsten nur um eine Schimäre, ein Trugbild. Das gibt es sicher auch, doch wer denselben Gott meint, vom dem kann man dies seriöser Weise nicht vollumfänglich sagen.
Das sprachphilosophische Argument (Sinn / Bedeutung) überzeugt mich nicht. Dass der Gott des Alten Testaments identisch ist mit dem trinitarischen Gott des Neuen Testaments, wird von Christen u. a. damit begründet, dass sie im Alten Testament bereits trinitarische Hinweise finden. Ob Juden das so sehen, sei dahingestellt; jedoch kann hier eine Brücke gebaut werden durch die Tatsache, dass Jesus Jude war und vom Gott des Alten Testaments als seinem Vater gesprochen hat. Moslems jedoch lehnen den trinitarischen Gott vollkommen ab. Obwohl es denklogisch nur einen Gott geben kann, kann es sich denklogisch trotzdem nicht um ein und denselben handeln. Vielleicht hilft hier "Nostra Aetate" weiter, wo es heißt: "qui unicum Deum Adorant". Die übliche, theologisch keineswegs unproblematische Übersetzung ins Deutsche lautet: die den einzigen Gott anbeten. Man könnte aber auch übersetzen: die einen einzigen Gott anbeten. Mit anderen Worten respektiert die Kirche bei den Muslimen lediglich, dass sie nicht Vielgötterei betreiben, sondern (irgend-)einen Monotheismus pflegen. Das wäre aber bereits ein sachlicher Vorbehalt, der über ein Sprachspiel hinausgeht.
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