Die neuscholastische Philosophie hat einen logischen
Unterschied zwischen den Eigenschaften und Tätigkeiten Gottes eingeführt.
Dieser Unterschied ist freilich nur ein gedachter Unterschied, denn faktisch
kann es in Gott nicht etwas geben, was von ihm verschieden ist, denn dann hätte
Gott Teile. Dass Gott keine Teile hat, dass er also in vollkommener Weise
einfach ist, wurde im vorherigen Blogbeitrag herausgestellt. Aber so wie wir
bei einem Menschen seine Eigenschaften, z.B. seine Hautfarbe, seine Größe usw.
von dem unterscheiden kann, was er tut, z.B. erkennen, laufen, sitzen usw., so
kann man dies auch bei Gott unterscheiden, wobei immer im Blick behalten werden
muss, dass diese Unterscheidung von uns
gemacht wird und nicht in Gott selbst zu finden ist. Gott ist mit seinen
Eigenschaften und Tätigkeiten identisch.
Was also tut Gott?
Die wichtigsten Tätigkeiten Gottes sind das Erkennen und Wollen.
Hinsichtlich des Erkennens wird Gott allwissend genannt, hinsichtlich des
Wollens nennen wir Gott allmächtig. Was ist mit der Allwissenheit Gottes
gemeint?
Das Wort besagt, dass Gott alles weiß. Doch was umfasst
dieses „alles“? Weiß Gott zukünftige Ereignisse? Dass Gott weiß, was geschehen
ist, wird wohl kaum ein Theist in Frage stellen, aber weiß Gott auch, was ich
übermorgen zu Mittag essen werde? Weiß er, wann und wie Sie sterben werden? Oder
weiß Gott nicht nur alles, was wirklich ist, sondern auch alles, was möglich
ist? Kennt Gott Ihre Gedanken jetzt zu dem Zeitpunkt, wo Sie diesen Text lesen?
Wenn man von Allwissenheit spricht, müsste man eigentlich alle diese Fragen
positiv beantworten. Es gibt aber auch von Theisten Einwände gegen die
Behauptung, dass Gott alles Zukünftige weiß, nicht nur alles Zukünftige, was in
der Natur geschieht und sich im Prinzip naturwissenschaftlich erkennen lässt,
sondern auch alle zukünftigen freien Handlungen der Menschen, z.B. was Sie
übermorgen essen werden. Denn wenn Gott dies weiß, dann, so befürchten viele
Philosophen, könne man nicht mehr sagen, dass wir wirklich frei handeln. Denn,
so die Argumentation, wenn Gott alle freien Handlungen der Menschen kennt, dann
muss die Zukunft bereits feststehen und Freiheit ist dann nur ein Schein. Dazu
kommt dann noch die Frage, ob Gott auch weiß, was hätte geschehen können, wenn
ich mich anders entschieden hätte.
Zunächst muss man einiges zu dem sagen, was Erkenntnis in
Bezug zu Gott bedeutet. Denn Gottes Erkenntnis ist nicht univok mit unserer
Erkenntnis vergleichbar, sondern nur analog. Zum Beispiel hat Gott keine
sinnliche Erkenntnis. Er weiß zwar, wie sauer eine Zitrone ist und zwar in
absoluter Weise, aber er hat nicht diesen bestimmten sauren Geschmack der
Zitrone sinnlich erfahren. Für uns beginnt jede Erkenntnis mit den Sinnen und
durch Abstraktion kommen wir zur Erkenntnis der Wesenheiten der Dinge. Gott
erkennt die Wesenheiten der Dinge in völlig anderer Art in Weise. Diese
Wesenheiten sind Ideen in Gott, er selbst ist in gewisser Weise die Wesenheiten
und so erkennt er in der Erkenntnis der Wesenheit der Zitrone gewissermaßen
sich selbst.
Wenn man die Allwissenheit wirklich umfassend verstehen
will, dann kann man nicht anders als zuzugestehen, dass Gott wirklich alles
weiß, alles Vergangene, alles Gegenwärtige und alle Zukünftige, aber auch alles
Mögliche, alles, was hätte sein können. Jede Einschränkung ist dem Begriff
Gottes unangemessen. Und für Gott sind die erkannten Dinge nicht äußerlich, wie
für uns, sondern Gott hat alles aus dem Nichts erschaffen, er ist die Erste
Ursache alles dessen, was existiert und was geschieht (erster und zweiter
Gottesbeweis), und deshalb weiß er auch alles – alles in diesem umfassenden
Sinn.
Wie aber ist es mit der Zukunft? Die existiert ja noch
nicht. Doch wenn Gott die Zukunft erst erschaffen müsste, dann müsste man
annehmen, dass er selbst in irgendeiner Weise in der Zeit ist. Gott ist aber
zeitlos, unveränderlich und ewig. Also kann es nur so sein, dass die Zukunft,
die gesamte Zeit, alles, was für uns nacheinander entsteht, für Gott in einem
einzigen Augenblick existiert. Die gesamte Schöpfung ist für Gott Gegenwart.
Für Gott existiert die Zukunft „schon jetzt“. Doch wie ist dann die Freiheit
des Menschen möglich? Wenn die Zukunft feststeht, hat es dann noch einen Sinn,
sich so oder anders zu entscheiden, dies oder jenes zu tun? Führt dies nicht zu
einer völlig fatalistischen Auffassung von der Welt?
Diese Fragen haben Religionsphilosophen in den vergangenen
Jahrzehnten dazu veranlasst, Gott als Wesen zu denken, dass auch in der Zeit ist.
Zu diesen Philosophen gehört z.B. der sehr renommierte amerikanische
Religionsphilosophie William Lane Craig
Nach seiner Auffassung und der Auffassung vieler anderer Religionsphilosophen
besagt Allwissenheit nicht, dass Gott auch meine Zukunft kennt, dass Gott heute
schon weiß, was ich übermorgen essen werde oder wie ich mich in Zukunft
entscheiden werde. In Bezug auf alle Vorgänge der Natur weiß Gott natürlich
alles, was man wissen kann, weil diese Vorgänge Naturgesetzen folgen. Gott kann
aber in den Weltverlauf eingreifen, wenn die freien Handlungen des Menschen schweres
Unheil anrichten und diese Schäden gewissermaßen reparieren. Dazu muss man aber
Gott als in der Zeit existierend rekonstruieren.
Der ontologische Hintergrund dieser Theorien der
analytischen Religionsphilosophie besteht in einem univoken Seinsbegriff. Sein
heißt demnach genau dasselbe in Bezug auf Gott, den Menschen, den Tieren oder
einem Gerstenkorn. Sein heißt nichts anderes als Existenz und Existenz ist in
allen Fällen wo etwas existiert, immer dasselbe. Hier hat die
aristotelisch-thomistische Philosophie (A-T) einen ganz anderen Seinsbegriff.
Gott „hat“ nicht nur ein anderes Sein als der Mensch, sondern Gott ist sein
Sein, während der Mensch in der Tat das Sein nur hat. Deshalb muss Sein nach
Auffassung der A-T Philosophie völlig anders verstanden werden, nämlich in
analoger Weise. Unterschiede zwischen Gott und Mensch sind nicht bloß
quantitativer Natur, sondern Gott und Geschöpf sind ontologisch verschieden.
Analog bedeutet hier: Es gibt etwas im Menschen, z.B. die Erkenntnis, der
Verstand, dem etwas in Gott entspricht aber zugleich ist der Unterschied
zwischen Gott und Geschöpf unendlich
verschiedener als alle Gemeinsamkeit, wie Thomas sagt. Wenn man Gott und Mensch
in derselben Art und Weise denkt, dann hat dies ein anthropozentrisches
Gottesverständnis zur Folge, nachdem Gott so etwas wie ein Über-Superman ist,
aber in den ontologischen Grundlagen sind Gott und Geschöpf nicht verschieden.
Deshalb hat Brian Davies diese Art von Religionsphilosophie auch zurecht als „Personalismus“
bezeichnet.
Haben die Kritiker der klassischen A-T Philosophie aber dann
Recht, wenn sie behaupten, dass es keine Freiheit gibt, wenn Gott die Zukunft
kennt? Auch innerhalb der scholastischen Philosophie gab es darüber jahrhundertelang
einen Streit, der bis heute nicht beendet ist. Es ist die Auseinandersetzung
zwischen dem Jesuiten Louis de Molina
und seiner Schule auf der einen Seite und den Thomisten auf der anderen Seite. Die
Theorie ist recht kompliziert und in einem Blogbeitrag kaum angemessen wiederzugeben.
Es geht dabei um die Frage eines sogenannten „mittleren Wissens“, der „scientia
media“. Gott weiß in einem „absoluten Sinne“ was künftig der Fall sein wird.
Gott wusste bereits bevor er die Welt erschuf, wie Sie oder ich mich zu einem
bestimmten Zeitpunkt, nach er uns erschaffen hat, verhalten werden und wie wir
uns entscheiden werden. Diese unsere Entscheidungen hat er bei der Erschaffung
der Welt mit in seine Planungen aufgenommen. Diese Entscheidungen sind völlig
frei, es sind unsere Entscheidungen. D.h. Gott richtet sich vor der Erschaffung
der Welt gewissermaßen nach dem, was wir wollen. Das was wir dann nach unserer
Erschaffung tun ist genau das, was wir als freie Personen tun wollen und Gott
sieht, dass wir genau das tun, was er vorhergesehen hat. Er hat aber unsere
Entscheidungen nicht beeinflusst, sondern im Gegenteil könnte man sagen, er hat
seine Entscheidungen nach unserer Freiheit gerichtet. Dies ist zugegebenermaßen
eine zugespitzte und extrem verkürzte Darstellung der Theorie, doch man erkennt
so, worum der Streit geht. Denn wenn Gott sich bei der Erschaffung der Welt
nach uns richtet, dann ist dies eine erhebliche Einschränkung seiner Allmacht.
Es gibt deshalb eine ganze Reihe von Einwänden gegen die molinistische Lösung
des Problems von göttlicher Allwissenheit und menschlicher Freiheit, die ich
aber in einem künftigen Blog Post darstellen werde.
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