Samstag, 15. April 2017

Sieben Thesen der natürlichen Ethik

Scholastiker veröffentlicht hier die 7 Thesen zur natürlichen Ethik, die eine recht gute Kurzfassung der Grundlagen der natürlichen Ethik darstellen und die ich aus dem Grundkurs Philosophie VI. Natürliche Ethik entnommen habe, der im Januar erschienen ist.







1. Alles, was existiert, hat eine Wesenheit oder eine Natur.

Die Wesenheit oder Natur einer Entität ist das, was diese ist. Sie lässt sich prinzipiell in einer Definition ausdrücken, auch wenn dies in vielen Fällen nicht einfach oder überhaupt gar nicht möglich ist. Keine einzige Wesenheit ist für uns vollständig erkennbar, doch ist dies auch nicht erforderlich, um Wesenheiten grundsätzlich erkennen zu können. Es ist ein oft geäußerter Einwand gegen die Behauptung, dass es Wesenheiten gibt, dass diese nur unklar erkennbar sind. So gibt es z. B. bei vielen Wesenheiten die Schwierigkeit einer klaren Abgrenzung von anderen Wesenheiten. Als Beispiel kann man hier die Abgrenzung zwischen Baum und Strauch anführen. Dennoch weiß jeder, was ein Baum und was ein Strauch ist, auch wenn dies in bestimmten Fällen nicht genau bestimmt werden kann. Es gibt freilich viele weitere Einwände gegen die Annahme von Wesenheiten. Wer aus welchen Gründen auch immer Wesenheiten grundsätzlich abstreitet, kann die Argumentation der natürlichen Ethik nicht nachvollziehen.

2. Die Tätigkeit eines Existierenden folgt aus seiner Wesenheit oder Natur.

Wenn es Wesenheiten gibt, dann folgt aus ihnen die Tätigkeit derjenigen Dinge, die diese Wesenheiten haben. Mit anderen Worten ausgedrückt: Die Naturgesetze sind Gesetze der Naturen, der Wesenheiten. Dass eine Rose im Sommer blüht, wenn die entsprechenden Bedingungen gegeben sind, folgt aus der Natur der Rose.

3. Auch der Mensch hat eine Wesenheit, und aus dieser folgt seine Tätigkeit und sein Handeln.

Alle Tätigkeiten und Handlungen des Menschen sind menschliche Handlungen. Sie folgen aus seiner Natur als der eines rationalen (vernunftbegabten) Sinnenwesens. Dass Menschen lachen, ist eine menschliche Tätigkeit, ebenso wie dass Menschen Philosophie studieren.

4. Jede Tätigkeit einer Wesenheit ist auf ein Ziel oder einen Zweck gerichtet.

Tätigkeiten sind nie sinn- oder zwecklos, sondern sind stets intentional, d. h. auf ein Ziel gerichtet. Dies gilt nicht nur von menschlichen Handlungen – wenn auch hier in besonderem, d. h. bewusstem Sinne –, sondern ebenso von allen anderen Lebewesen. Die Balz der Vögel ist letztlich auf die Erhaltung der Art gerichtet, wenn dies den Vögeln auch überhaupt nicht bewusst ist oder bewusst sein muss. Das Ziel jeder Tätigkeit ist stets irgendein Gut, z. B. die Fortpflanzung und die Erhaltung der Art; die Ernährung, die das Ziel der Selbsterhaltung hat; der Fluchtinstinkt oder das Anschleichen der Raubkatze, die ebenfalls der Selbsterhaltung dienen.

5. Während die Tätigkeit der unbelebten und belebten Entitäten nicht frei ist und sie stets in derselben Weise tätig sind und dabei ihre vorgegebenen Ziele zumeist erreichen, ist der Mensch frei und kann in einer Weise handeln, die seinem Ziel widerspricht.

Aus den zuvor erwähnten Beispielen wird deutlich, dass Tiere, aber ebenso auch Pflanzen und die unbelebte Natur gesetzmäßig tätig sind, d. h. dass diese Lebewesen nicht frei tätig sind, sondern z. B. bestimmten Trieben folgen. Die Tätigkeit der Atome und Moleküle folgt bestimmten Gesetzen, die von der Physik und Chemie beschrieben werden, und diese Gesetze folgen aus der Natur der Atome und Moleküle. Heliumatome z. B. verbinden sich nicht mit anderen Atomen, während Wasserstoffatome reaktionsfreudig sind. Auch verschiedene Tätigkeiten des Menschen, wie der Herzschlag und die Funktionen anderer innerer Organe, folgen diesen physikalisch-chemischen Gesetzen. Doch darüber hinaus kann der Mensch sich frei entscheiden. Wie bei allen anderen Entitäten ergeben sich auch aus der menschlichen Natur objektive Ziele, doch der Mensch kann diesen Zielen zuwiderhandeln. Die Ernährung dient der Selbsterhaltung und hat beim Menschen darüber hinaus auch kulturelle und soziale Zwecke. Wer jedoch mehr isst, als den Zwecken der Selbsterhaltung zuträglich ist, der wird nicht nur auf Dauer krank, sondern handelt den objektiven Zielen seiner Natur zuwider (woraus die Krankheit folgt). Der Besitz von Eigentum ist zweifellos ein Gut, das zur Erhaltung der menschlichen Natur erforderlich ist, aber auch zum Unterhalt der Familie, und das viele weitere Zwecke verfolgt. Wer sich diesen Besitz aber durch einen Banküberfall oder Einbruch erwirbt, handelt gegen die menschliche Natur. Diese Möglichkeit hat das Tier nicht; es handelt nicht gegen seine Natur, sondern verfolgt die vorgegebenen objektiven Zwecke seiner Natur, auch wenn es dabei nicht immer erfolgreich sein muss.

6. Die sich aus der menschlichen Natur ergebenden Ziele oder Zwecke sind der objektive Maßstab für die Pflichten und Rechte des Menschen.

Bei den fundamentalen Pflichten und Rechten des Menschen sind es entsprechend auch die grundlegenden Ziele der menschlichen Natur, aus der sich diese ergeben. Der Mensch ist ein rationales Wesen; dies ist die spezifische Differenz seiner Natur zum Tier. Daraus folgt, dass alle Tätigkeiten und Handlungen des Menschen so sein sollen, dass sie von der Rationalität bestimmt werden. Dies bedeutet, dass die körperlichen und emotionalen Triebe oder Bedürfnisse den rationalen Erfordernissen untergeordnet werden müssen. Im Unterschied zum Tier ist der Mensch auf ein letztes Ziel gerichtet, nämlich die ewige Glückseligkeit, eudaimonia, wie es bei Aristoteles heißt. Dass diese Glückseligkeit nicht in irgendeinem endlichen Gut bestehen kann, wussten bereits Platon und Aristoteles, die beide diese Glückseligkeit in der philosophischen Erkenntnis und besonders in der höchsten philosophischen Erkenntnis erblickten, nämlich der Erkenntnis Gottes. Dementsprechend sollen die menschlichen Handlungen so geordnet sein, dass sie diesem letzten Ziel zumindest nicht widersprechen. Dies bedeutet, dass jede andere Tätigkeit als Mittel dem letzten Ziel untergeordnet werden soll.

7. Eine den menschlichen Zielen zuwiderlaufende freie und bewusste Handlung ist moralisch schlecht oder böse; eine freie und bewusste Handlung, die im Einklang mit den natürlichen Zielen oder Zwecken des Menschen steht, ist moralisch gut.

Die moralischen Eigenschaften Gut und Böse ergeben sich entsprechend aus den Zielen der menschlichen Natur, denn gut ist das, was diesen Zielen entspricht. Da der Mensch sich nur verwirklichen kann, solange er lebt, wird ihm das wichtigste Gut genommen, wenn man ihn tötet. Und dies ist unabhängig davon, ob er krank ist oder sehr schwer leidet, denn auch das persönliche Leid ist nicht ein Hinderungsgrund zur Erreichung des letzten Zieles, sondern kann sogar ein besonderes Mittel dazu sein. Daraus folgt das fundamentale Recht auf Leben. Alle weiteren Rechte und Pflichten lassen sich auf dieser Grundlage ableiten.


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