Mittwoch, 7. Juni 2017

Gibt es ein letztes Ziel aller menschlichen Handlungen?


Bei jeder unserer Handlungen verfolgen wir ein Ziel. Ohne ein solches Ziel würden wir nicht handeln. Der Begriff der Handlung ist hier in einem weiten Sinne gemeint, wozu auch das Nichtstun gehören kann. In unserem Tagesverlauf folgt eine Handlung der nächsten. Ist ein Ziel erreicht, verfolgen wir ein weiteres Ziel. Bestimmte Ziele sind anderen Zielen über- oder untergeordnet. Wir gehen einkaufen um einen Grillabend vorzubereiten. Das Einkaufen ist hier ein Mittel in Bezug auf das Ziel des Grillabends. Aber auch dieser kann wieder das Mittel für ein anderes Ziel sein. Die Frage des heutigen Beitrags lautet: Gibt es ein letztes Ziel des Menschen, dem alle anderen Ziele untergeordnet sind?








Zur Beantwortung der Frage müssen wir etwas differenzieren. Zunächst müssen wir klären, was ein solches letzte Ziel, sollte es ein solches überhaupt geben, denn ist, d.h. wie muss ein letztes Ziel beschaffen sein? Dann müssen wir unterscheiden zwischen der Frage nach dem letzten Ziel des Menschen, also einem letzten Ziel des Menschen im Allgemeinen und einem konkreten letzten Ziel, d.h. einem letzten Ziel für mich, bzw. für Sie, die Sie diesen Beitrag gerade lesen. Selbst wenn es ein allgemeines letztes menschliches Ziel gibt, muss nicht klar sein, ob es auch ein letztes konkretes Ziel für mich gibt.



1. Was ist ein letztes Ziel?



Jedes bestimmte Ziel, das ich mit einer bestimmten Handlung verfolge, kann selbst als Mittel für ein anderes höheres Ziel dienen, wie im zuvor genannten Beispiel des Grillabends. Der Grillabend kann z.B. dazu dienen, zu entspannen, Freundschaften zu pflegen, neue Bekanntschaften zu machen oder, bei Einladung des Chefs der Firma, bei der ich arbeite, die Karrierechancen zu verbessern. Und all diese Ziele, die man mit einem Grillabend verfolgen kann, können wieder anderen Zielen untergeordnet werden und damit zu Mitteln dieser höheren Ziele werden.



Wenn es ein letztes Ziel geben sollte, dann müsste dies notwendigerweise so beschaffen sein, dass es nicht mehr zum Mittel für ein anderes Ziel werden kann, sondern dass es um seiner selbst willen erstrebt wird. Es müsste daher ein Ziel sein, bei dem alles menschliche Streben, Sehnen und Wünschen an ein Ende kommt, so dass es kein weiteres Ziel geben kann, dass von diesem Ziel übertroffen werden kann. Ein Ziel somit, bei dem die menschliche Natur ihre vollkommene Erfüllung findet.



„So etwas gibt es nicht!“ werden die meisten Menschen sagen. Ob es so etwas gibt oder nicht, steht noch nicht fest und soll in diesem Beitrag untersucht werden. Jedenfalls ist jetzt etwas klarer, was ein solches letztes Ziel ist, sofern es ein solches gibt.





2. Ein letztes Ziel des Menschen und mein letztes Ziel



Sowohl für ein letztes Ziel im Allgemeinen als auch für ein letztes Ziel für mich, gelten die zuvor genannten Bedingungen: Es muss meine Natur, meine Sehnsüchte und Wünsche vollkommen erfüllen und zwar so, dass kein weiteres Ziel mehr möglich ist, dass über das erreichte hinaus erstrebenswert ist, weil es ein Ziel ist, dass um seiner selbst willen erstrebt wird.



Was ist das letzte Ziel im Allgemeinen? Die formale Antwort auf diese Frage ist im Prinzip ganz einfach. Das letzte Ziel des Menschen als Menschen ist: das Gute. Jedes Ziel, dass von Menschen erstrebt wird, ist ein Gut oder wird zumindest für ein Gut gehalten. Darum kann man sagen, dass das Gute selbst das allgemeine Ziel des Menschen ist. Es handelt sich bei diesem allgemein Guten nicht um dieses oder jenes Gut, sondern um das Gute selbst, das sozusagen, wodurch dieses oder jenes Gut gut ist. Dieses Gute ist das Endziel alles menschlichen Strebens, allen Handelns. Diese Aussage ist eigentlich wenig problematisch. Sie sagt nur, dass jeder Mensch das Gute erstrebt. Indem wir irgendetwas erstreben, erstreben wir etwas Gutes. Wäre es nichts Gutes, warum sollten wir es erstreben? Das wäre doch sinnlos. Etwas zu erstreben, dass nicht gut, sondern schlecht ist, ist nicht möglich. Daher sagt schon Aristoteles, dass wir darin nicht frei sind, dass Gute zu erstreben, denn wir können das Schlechte gar nicht anstreben. Frei sind wir darin dies oder jenes Gute zu erstreben.



Das also jeder Mensch im Allgemeinen nach dem Guten strebt, ist irgendwie selbstverständlich. Aber gibt es für jeden konkreten Menschen ein letztes Ziel, bei dem all sein Streben, seine gesamte menschliche Natur ihre Erfüllung findet? Das was von einem bestimmten Menschen als Endziel erstrebt wird – sofern es überhaupt etwas gibt, das als Endziel von konkreten Menschen erstrebt wird –, ist selbst etwas Konkretes.



Dieses Konkrete, dass von Ihnen und von mir erstrebt wird, wird entweder um eines anderen willen erstrebt, oder um seiner selbst willen. Wenn es um eines anderen willen erstrebt wird, dann wird dieses aber letztlich um etwas erstrebt, dass um seiner selbst willen erstrebt wird. Ein Gut, das um seiner selbst willen erstrebt wird, muss so sein, wie wir es zuvor schon gesagt haben: es muss zur vollkommenen Erfüllung aller meiner Wünsche, Ziele, Neigungen, ja, zur Erfüllung meiner gesamten menschlichen Natur ausreichend sein und zwar so, dass es darüber hinaus nichts gibt und geben kann, das noch erstrebenswert ist. Und dieses letzte und höchste Gut, das zugleich das Endziel all meines Strebens ist, muss zugleich konkret und „fassbar“ sein.



Nun kann man einwenden, und viele Menschen unserer Zeit werden dies gewiss einwenden, dass es ein solches letztes Ziel nicht gibt. Es gibt immer nur dieses oder jenes bestimmte Ziel, das wieder als Mittel zu einem anderen Ziel dienen kann. Aber ein letztes Ziel, in dem alles Streben und alle Handlung endgültige und letzte Erfüllung finden, gibt es nicht. Es gibt, wie man oft hört, nur dieses kleine Glück – das Glück im Urlaub, das Glück in der Familie und anderes, aber kein letztes Glück. Und so geben wir uns vielleicht viel zu früh „zufrieden“ und verzichten auf das, wozu wir eigentlich geschaffen sein könnten: das vollkommene Glück.



Es gibt ein Argument, dass genau diese Meinung widerlegt. Das Argument behauptet nämlich, dass es überhaupt keine einzige Handlung gäbe, wenn es nicht ein letztes Endziel gibt. Dies besagt letztlich, dass auch derjenige, der bestreitet, dass es ein letztes Ziel gibt, nach diesem letzten Ziel in all seinen Handlungen strebt. Es bedeutet auch, dass man das letzte Ziel gar nicht bewusst kennen muss um trotzdem danach zu streben. Das Argument sieht so aus und stellt eigentlich nur eine Zusammenfassung dessen dar, was schon gesagt wurde:



1. Jedes bestimmte vom Menschen erstrebte Gut wird entweder um eines anderen willen oder um seiner selbst willen erstrebt.

2. Wenn der Mensch ein Gut um seiner selbst willen erstrebt (d. h. so, dass alles Streben darin zur Ruhe kommt und nichts Weiteres erstrebt wird), dann handelt es sich bei diesem Gut um ein konkretes, bestimmtes Gut.

3. Dieses konkrete, bestimmte Gut ist dann ein Endziel.

4. Wenn der Mensch ein Gut um eines anderes willen erstrebt und dieses andere wieder um eines anderen willen, dann ist diese Reihe der erstrebten Güter entweder endlich oder unendlich.

5. Wenn diese Reihe der Güter endlich ist, dann gibt es ein letztes Ziel, um dessentwillen alle anderen Güter erstrebt wurden und bei dem jedes weitere Streben und damit jede weitere Tätigkeit ihr Endziel erreicht (siehe 3).

6. Wenn diese Reihe der Güter unendlich ist, dann gibt es kein letztes Ziel, um dessentwillen alle anderen Ziele angestrebt werden.

7. Jede Handlung ist auf ein Ziel gerichtet. Wenn es kein letztes Ziel gibt, dann gibt es auch kein Zwischenziel, das zur Erreichung des letzten Zieles ein Mittel ist.

8. Daraus folgt, dass es dann keine Handlung gäbe.

9. Es gibt Handlungen bei allen Menschen. Also gibt es ein letztes konkretes und bestimmtes Ziel für jeden einzelnen Menschen.



Es muss also ein Endziel geben, damit es überhaupt andere Ziele gibt, die wir erstreben. Doch warum reicht es nicht einfach, ein bestimmtes Ziel zu erreichen und dann ein nächstes Ziel in Angriff zu nehmen, vielleicht nur ein Ziel, dass als Mittel dient, aber doch mit weiteren anderen Mitteln zu einem Ziel führt, mit dem ich zufrieden sein kann, auch wenn es kein Endziel ist? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach, wie sich aus dem Argument ergibt: Weil Sie tatsächlich mit dem Erreichen dieses Ziels nicht zufrieden sind. Wären Sie es, so würden Sie in Ihrem Glück verweilen und nichts Weiteres mehr tun. Doch dies ist nicht der Fall. Sie streben weiter nach einem anderen Ziel, weil Sie noch keine vollkommene Erfüllung erreicht haben.



Aber was ist denn dann dieses Endziel allen Strebens, bei dem jedes Streben zum Ende kommt und eine vollkommene Erfüllung gegeben ist? Dieses Endziel ist die Glückseligkeit!



Dazu später mehr.

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