Bei jeder unserer Handlungen verfolgen wir ein Ziel. Ohne
ein solches Ziel würden wir nicht handeln. Der Begriff der Handlung ist hier in
einem weiten Sinne gemeint, wozu auch das Nichtstun gehören kann. In unserem
Tagesverlauf folgt eine Handlung der nächsten. Ist ein Ziel erreicht, verfolgen
wir ein weiteres Ziel. Bestimmte Ziele sind anderen Zielen über- oder
untergeordnet. Wir gehen einkaufen um einen Grillabend vorzubereiten. Das
Einkaufen ist hier ein Mittel in Bezug auf das Ziel des Grillabends. Aber auch
dieser kann wieder das Mittel für ein anderes Ziel sein. Die Frage des heutigen
Beitrags lautet: Gibt es ein letztes Ziel des Menschen, dem alle anderen Ziele
untergeordnet sind?
Zur Beantwortung der Frage müssen wir etwas differenzieren.
Zunächst müssen wir klären, was ein solches letzte Ziel, sollte es ein solches
überhaupt geben, denn ist, d.h. wie muss ein letztes Ziel beschaffen sein? Dann
müssen wir unterscheiden zwischen der Frage nach dem letzten Ziel des Menschen,
also einem letzten Ziel des Menschen im
Allgemeinen und einem konkreten letzten Ziel, d.h. einem letzten Ziel für
mich, bzw. für Sie, die Sie diesen Beitrag gerade lesen. Selbst wenn es ein
allgemeines letztes menschliches Ziel gibt, muss nicht klar sein, ob es auch
ein letztes konkretes Ziel für mich gibt.
1. Was ist ein
letztes Ziel?
Jedes bestimmte Ziel, das ich mit einer bestimmten Handlung
verfolge, kann selbst als Mittel für ein anderes höheres Ziel dienen, wie im
zuvor genannten Beispiel des Grillabends. Der Grillabend kann z.B. dazu dienen,
zu entspannen, Freundschaften zu pflegen, neue Bekanntschaften zu machen oder,
bei Einladung des Chefs der Firma, bei der ich arbeite, die Karrierechancen zu
verbessern. Und all diese Ziele, die man mit einem Grillabend verfolgen kann,
können wieder anderen Zielen untergeordnet werden und damit zu Mitteln dieser
höheren Ziele werden.
Wenn es ein letztes Ziel geben sollte, dann müsste dies
notwendigerweise so beschaffen sein, dass es nicht mehr zum Mittel für ein
anderes Ziel werden kann, sondern dass es um
seiner selbst willen erstrebt wird. Es müsste daher ein Ziel sein, bei dem
alles menschliche Streben, Sehnen und Wünschen an ein Ende kommt, so dass es
kein weiteres Ziel geben kann, dass von diesem Ziel übertroffen werden kann.
Ein Ziel somit, bei dem die menschliche Natur ihre vollkommene Erfüllung
findet.
„So etwas gibt es nicht!“ werden die meisten Menschen sagen.
Ob es so etwas gibt oder nicht, steht noch nicht fest und soll in diesem
Beitrag untersucht werden. Jedenfalls ist jetzt etwas klarer, was ein solches
letztes Ziel ist, sofern es ein solches gibt.
2. Ein letztes Ziel
des Menschen und mein letztes Ziel
Sowohl für ein letztes Ziel im Allgemeinen als auch für ein
letztes Ziel für mich, gelten die zuvor genannten Bedingungen: Es muss meine
Natur, meine Sehnsüchte und Wünsche vollkommen erfüllen und zwar so, dass kein
weiteres Ziel mehr möglich ist, dass über das erreichte hinaus erstrebenswert
ist, weil es ein Ziel ist, dass um seiner selbst willen erstrebt wird.
Was ist das letzte Ziel im Allgemeinen? Die formale Antwort
auf diese Frage ist im Prinzip ganz einfach. Das letzte Ziel des Menschen als
Menschen ist: das Gute. Jedes Ziel, dass von Menschen erstrebt wird, ist ein
Gut oder wird zumindest für ein Gut gehalten. Darum kann man sagen, dass das Gute selbst das allgemeine Ziel des
Menschen ist. Es handelt sich bei diesem allgemein Guten nicht um dieses
oder jenes Gut, sondern um das Gute selbst, das sozusagen, wodurch dieses oder
jenes Gut gut ist. Dieses Gute ist das Endziel alles menschlichen Strebens,
allen Handelns. Diese Aussage ist eigentlich wenig problematisch. Sie sagt nur,
dass jeder Mensch das Gute erstrebt. Indem wir irgendetwas erstreben, erstreben
wir etwas Gutes. Wäre es nichts Gutes, warum sollten wir es erstreben? Das wäre
doch sinnlos. Etwas zu erstreben, dass nicht gut, sondern schlecht ist, ist
nicht möglich. Daher sagt schon Aristoteles, dass wir darin nicht frei sind,
dass Gute zu erstreben, denn wir können das Schlechte gar nicht anstreben. Frei
sind wir darin dies oder jenes Gute zu erstreben.
Das also jeder Mensch im Allgemeinen nach dem Guten strebt,
ist irgendwie selbstverständlich. Aber gibt es für jeden konkreten Menschen ein
letztes Ziel, bei dem all sein Streben, seine gesamte menschliche Natur ihre
Erfüllung findet? Das was von einem bestimmten Menschen als Endziel erstrebt
wird – sofern es überhaupt etwas gibt, das als Endziel von konkreten Menschen
erstrebt wird –, ist selbst etwas Konkretes.
Dieses Konkrete, dass von Ihnen und von mir erstrebt wird, wird
entweder um eines anderen willen erstrebt, oder um seiner selbst willen. Wenn
es um eines anderen willen erstrebt wird, dann wird dieses aber letztlich um
etwas erstrebt, dass um seiner selbst willen erstrebt wird. Ein Gut, das um
seiner selbst willen erstrebt wird, muss so sein, wie wir es zuvor schon gesagt
haben: es muss zur vollkommenen Erfüllung aller meiner Wünsche, Ziele,
Neigungen, ja, zur Erfüllung meiner gesamten menschlichen Natur ausreichend
sein und zwar so, dass es darüber hinaus nichts gibt und geben kann, das noch
erstrebenswert ist. Und dieses letzte und höchste Gut, das zugleich das Endziel
all meines Strebens ist, muss zugleich konkret und „fassbar“ sein.
Nun kann man einwenden, und viele Menschen unserer Zeit
werden dies gewiss einwenden, dass es ein solches letztes Ziel nicht gibt. Es
gibt immer nur dieses oder jenes bestimmte Ziel, das wieder als Mittel zu einem
anderen Ziel dienen kann. Aber ein letztes Ziel, in dem alles Streben und alle
Handlung endgültige und letzte Erfüllung finden, gibt es nicht. Es gibt, wie
man oft hört, nur dieses kleine Glück – das Glück im Urlaub, das Glück in der
Familie und anderes, aber kein letztes Glück. Und so geben wir uns vielleicht
viel zu früh „zufrieden“ und verzichten auf das, wozu wir eigentlich geschaffen
sein könnten: das vollkommene Glück.
Es gibt ein Argument, dass genau diese Meinung widerlegt.
Das Argument behauptet nämlich, dass es überhaupt keine einzige Handlung gäbe,
wenn es nicht ein letztes Endziel gibt. Dies besagt letztlich, dass auch
derjenige, der bestreitet, dass es ein letztes Ziel gibt, nach diesem letzten
Ziel in all seinen Handlungen strebt. Es bedeutet auch, dass man das letzte
Ziel gar nicht bewusst kennen muss um trotzdem danach zu streben. Das Argument
sieht so aus und stellt eigentlich nur eine Zusammenfassung dessen dar, was
schon gesagt wurde:
1. Jedes bestimmte vom Menschen erstrebte Gut wird entweder
um eines anderen willen oder um seiner selbst willen erstrebt.
2. Wenn der Mensch ein Gut um seiner selbst willen erstrebt
(d. h. so, dass alles Streben darin zur Ruhe kommt und nichts Weiteres erstrebt
wird), dann handelt es sich bei diesem Gut um ein konkretes, bestimmtes Gut.
3. Dieses konkrete, bestimmte Gut ist dann ein Endziel.
4. Wenn der Mensch ein Gut um eines anderes willen erstrebt
und dieses andere wieder um eines anderen willen, dann ist diese Reihe der
erstrebten Güter entweder endlich oder unendlich.
5. Wenn diese Reihe der Güter endlich ist, dann gibt es ein
letztes Ziel, um dessentwillen alle anderen Güter erstrebt wurden und bei dem
jedes weitere Streben und damit jede weitere Tätigkeit ihr Endziel erreicht
(siehe 3).
6. Wenn diese Reihe der Güter unendlich ist, dann gibt es
kein letztes Ziel, um dessentwillen alle anderen Ziele angestrebt werden.
7. Jede Handlung ist auf ein Ziel gerichtet. Wenn es kein
letztes Ziel gibt, dann gibt es auch kein Zwischenziel, das zur Erreichung des
letzten Zieles ein Mittel ist.
8. Daraus folgt, dass es dann keine Handlung gäbe.
9. Es gibt Handlungen bei allen Menschen. Also gibt es ein
letztes konkretes und bestimmtes Ziel für jeden einzelnen Menschen.
Es muss also ein Endziel geben, damit es überhaupt andere
Ziele gibt, die wir erstreben. Doch warum reicht es nicht einfach, ein
bestimmtes Ziel zu erreichen und dann ein nächstes Ziel in Angriff zu nehmen,
vielleicht nur ein Ziel, dass als Mittel dient, aber doch mit weiteren anderen
Mitteln zu einem Ziel führt, mit dem ich zufrieden sein kann, auch wenn es kein
Endziel ist? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach, wie sich aus dem Argument
ergibt: Weil Sie tatsächlich mit dem Erreichen dieses Ziels nicht zufrieden
sind. Wären Sie es, so würden Sie in Ihrem Glück verweilen und nichts Weiteres
mehr tun. Doch dies ist nicht der Fall. Sie streben weiter nach einem anderen
Ziel, weil Sie noch keine vollkommene Erfüllung erreicht haben.
Aber was ist denn dann dieses Endziel allen Strebens, bei
dem jedes Streben zum Ende kommt und eine vollkommene Erfüllung gegeben ist?
Dieses Endziel ist die Glückseligkeit!
Dazu später mehr.
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