In dieser Woche fand in Berlin von Sonntag bis zum gestrigen
Donnerstag der 24. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Philosophie statt.
Diese philosophische Gesellschaft ist die mit Abstand größte in Deutschland mit
etwa 2.200 Mitgliedern, gefolgt von der GAP, der Gesellschaft für analytische
Philosophie mit derzeit etwa 1.200 Mitgliedern. Die DGPhil ist allerdings
zugleich ein Dachverband für verschiedene philosophische Fachgesellschaften.
Der Kongress an der Berliner Humboldt Universität war alles in allem
erfreulich, denn er hat gezeigt, dass der Neoaristotelismus vor allem bei
jüngeren Philosophinnen und Philosophen allmählich Anklang findet.
Kolloquium: „Gott und
die Natur abstrakter Objekte“
Dies zeigte sich besonders in zwei Kolloquien am Montag und
Dienstag. Am Montag gab es unter anderem ein regionsphilosophisches Kolloquium,
dass von dem Innsbrucker Philosophen Christian Tapp geleitet wurde. Thema waren
„Gott und die Natur abstrakter Objekte“ mit Vorträgen von William Lane Craig
(hier ein Beitrag über ihn in unserem Blog), Christian Kanzian, einem, im weiten Sinne, analytischen Thomisten aus
Innsbruck
und dem zum Naturalismus neigenden Bremer Philosophen Manfred Stöckler.
Craig erläuterte das Problem abstrakter Objekte, die keine
zeitliche Existenz besitzen, nicht räumlich sind und deshalb kausal unwirksam.
Gemeint sind Objekte wie Zahlen, Mengen, Funktionen, Propositionen und
ähnliches. Für Platoniker existieren solche Objekte in einem eigenen Bereich.
Für Religionsphilosophen stellt dies ein Problem dar, weil es neben Gott noch
andere „Dinge“ gibt, die ewig, unveränderlich und außerhalb von Raum und Zeit
existieren. William Craig schlug daher zur Lösung dieses Problems einen „leichten
Platonismus“ vor, nach dem solche Objekte nicht wirklich existieren, sondern
nur Referenten von Aussagen sind. Gleichwohl sind solche Objekte notwendig,
besonders auch für die Naturwissenschaften (z.B. Naturgesetze gehören zu diesen
Objekten) und daher müssen sie irgendwie existieren. Diskutiert wurde hier, ob
man einen theistischen Konzeptualismus verteidigen könne, nach dem diese
Objekte nicht in einem eigenen Bereich, sondern im Geist Gottes existieren.
Diese Lösung steht in der Nähe des Thomismus. Allerdings wurden auch hier
Probleme diskutiert, die mit diesem Ansatz zusammenhängen, die meines Erachtens
allerdings nicht entstehen, wenn man in diesem Punkt eine klar an Thomas
orientierte Theorie übernimmt und keinen Konzeptualismus. Doch Craig vertrat
die Auffassung, dass der zuvor skizzierte leichte Platonismus ausreicht, denn
die bloße Referenz auf abstrakte Gegenstände könne ontologisch neutral
aufgefasst werden. Diese Auffassung würde ich allerdings nicht teilen.
Professor Stöckler wies zurecht auf ein zentrales Problem
bei Craig hin, dass ich im Blog bereits erwähnt habe und seine ganze
Philosophie durchzieht: Craig redet von Gott und vom göttlichen Bewusstsein in
einem univoken Sinne, anstatt in analoge Rede. Gottes Bewusstsein ist nicht so
ähnlich wie unseres nur viel, viel umfassender, sondern vollkommen anders.
Bestenfalls kann man sagen, dass wir bei Gott von Bewusstsein reden kann in dem
Sinne, dass diesem etwas bei uns entspricht, doch dass die Unterschiede
zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Bewusstsein unendlich größer sind
als alle Gemeinsamkeiten.
Ich würde allerdings Stöckler widersprechen, wenn es
behauptete, dass die aristotelische Position bezüglich der Rede, dass die
Universalien bzw. die abstrakten Objekte in
den Dingen sind, nicht genügend ausgearbeitet ist. Dieses In-Sein wurde
nicht nur von David Oderberg ausführlich erläutert, sondern auch schon früher
von verschiedenen Neothomisten analysiert. Es ist das Verhältnis von Form zu
Materie. Abstrakte Objekte wie die Form eines Baumes ist so im Baum, dass die
Form die Ursache – die Formursache – für die Materie ist und das bestimmende
Prinzip für die Zusammensetzung des Baumes. Dazu finden Sie auch in diesem Blog
zahlreiche Hinweise. Stöckler selbst schlug eine pragmatische Lösung für das
Problem abstrakter Gegenstände vor, die jenseits von Naturalismus und Theismus
liegt.
Christian Kanzian stellte anti-platonische Strategien vor
und nannte deren Chancen und Risiken. Im großen und ganzen stimmte er den
Ausführungen von Craig zu, betonte aber ebenfalls gleich am Anfang, dass eine
angemessene Rede von Gott nur in analoger Rede möglich ist und dass dies auch
auf die Behauptung von Craig zutrifft, Gott sei ein „konkreter Gegenstand“.
Weiter diskutierte Kanzian den Begriff „unabhängig vom Bewusstsein“ in Bezug
auf abstrakte Gegenstände, der nur in Bezug auf das menschliche Bewusstsein
zutreffen kann, wenn man dafür plädiert, dass abstrakte Gegenstände im
göttlichen Bewusstsein sind. Einig war man sich, dass der „Hyperplatonismus“
philosophisch widerlegt ist und nicht verteidigt werden kann.
Kolloquium: Essentialismus – Alt und Neu
Dieses Kolloquium am Dienstag wurde geleitet von dem
Aristoteliker Christof Rapp, der früher Professor an der Humboldt-Universität
in Berlin war, inzwischen aber einen Lehrstuhl in München einnimmt. Rapp hat
einige lehrreiche Studien zu Aristoteles verfasst, die ich empfehlen kann. Von
den Vorträgen von Fabrice Correia (Genf, Schweiz), Marko Malik (New York, USA)
und Kathrin Koslicki möchte ich nur Letztere erwähnen, zumal ich sie bereits inmeinem Blog ausführlicher behandelt habe. Zudem war der Beitrag Correias sehr
technisch.
Koslicki hat mit ihrem Ansatz des „mereologischen Hylemorphismus“
im Bereich der analytischen Philosophie ein neues Interesse an der Theorie des Hylemorphismus
bei Aristoteles geweckt. Allerdings ist ihre Position nicht aristotelisch, sondern
eher quantitativ orientiert: verschiedene bereits existierende Teile – Mengen oder
auch Atome oder deren Bausteine – werden durch eine „Form“ strukturiert. Das
erinnert an die Sprache: Buchstaben werden zu Worten, Worte zu Sätzen
zusammengesetzt, wobei die Form das „strukturierende Prinzip“ ist. Koslicki
wendete in ihrem Vortrag diese Art des Hylemorphismus auf das sogenannte „Grounding-Problem“
an, ein Thema, das in der gegenwärtigen philosophischen Debatte häufig
diskutiert wird und für das Koslicki eine Lösung mit Hilfe ihres „strukturellen
Hylemorphismus“ vorschlug. Es geht dabei um die materielle Konstitution, z.B.
einer Statue und einem Klumpen Marmor, aus dem eine Statue gebildet wird. Sind
die Statue und der Marmorklumpen, aus dem die Statue besteht, identisch oder
verschieden?
Es hat mich gefreut, dass Frau Koslicki, die ich schon seit
längerem kennenlerne wollte, zu dem Kongress eingeladen wurde. Wenn ihre
Position nach meiner Meinung, bzw. nach Auffassung David Oderbergs und auch
anderer nicht haltbar ist, so ist es doch ein Ansatz, der zu einem erneuten
Studium des Hylemorphismus Aristoteles‘ führen kann.
Vorträge
Von den verschiedenen Vorträgen zumeist junger Philosophen
und Philosophinnen, die alle auf einem hohen Niveau gehalten wurde möchte ich
besonders zwei erwähnen. Falk Hamann aus Regensburg sprach über Aktualität und Aktivität: Zur Bedeutung der
energeia bei Aristoteles. Energeia ist der griechische Begriff bei
Aristoteles für Aktualität und Hamann zeigte die umfassende Bedeutung dieses
Begriffs bei Aristoteles auf, denn energeia ist nicht nur ein Teil des
Seienden, zusammen mit der dynamis (Potenz), sondern er ist zugleich die Einheit
des Seienden.
Ulricke Nack aus Leipzig hielt ebenfalls einen Vortrag über
Aristoteles und zwar „Die traditionelle Lesart des aristotelischen
Hylemorphismus (Kritik an John Ackrills Aristotle’s
Definitions of ‚psyche‘)“. Nach dem von ihr kritisierten
Philosophiehistoriker Ackrill wird die Materie bei Aristoteles kontingent
geformt. Die Materie der Lebewesen ist nun wesentlich
beseelt (die Seele ist die Form der Lebewesen), doch nach Ackrill geht aus der Physik des Aristoteles hervor, dass die Materie
kontingent ist. Daher behauptet die „traditionelle Lesart“ des Aristoteles,
dass der Hylemorphismus für Artefakte geeignet ist, aber nicht für Lebewesen
zutrifft. Dies wurde von Ulrike Nack mit starken Argumenten zurückgewiesen.
In der Ethik-Sektion herrschte leider der Konsequenzialismus
vor. Wie mir bekannt wurde, sind verschiedene eingereichte Beiträge, die eine
andere Position als den Konsequenzialismus verteidigen wollten, nicht
angenommen worden. Naturrechtliche Positionen, die im angelsächsischen Raum
einen großen Zuspruch erfahren, werden in Deutschland offensichtlich ungern
gesehen.
Insgesamt aber war der Kongress vielversprechend und macht
Hoffnung auf eine positive Entwicklung der Philosophie in Deutschland in den
kommenden Jahren.
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