In den letzten Jahrzehnten scheint sich der Szientismus als
die vorherrschende Strömung nicht nur in der Philosophie, sondern auch im alltäglichen
Leben durchgesetzt zu haben. Wir erwarten von der Wissenschaft und insbesondere
von der Naturwissenschaft die Antwort auf alle wesentlichen Fragen. Ein Blick
in die Medien und insbesondere in die populären Wissenschaftsmagazine, ob im
Fernsehen oder in anderen Medien, macht diesen Trend deutlich. Es sind fast die
einzigen Sendungen und Magazine, die einen Zuwachs an Zuschauern und Lesern
verzeichnen können.
Der in der Öffentlichkeit wohl bekannteste Vertreter des
Szientismus ist der im März des vergangenen Jahres verstorbene Physiker Stephen
Hawkins, der eine starke Abneigung gegen die Philosophie hatte, obwohl ein
großer Teil seiner Aussagen eher metaphysischer als physikalischer Natur sind. Die
Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Eines der wichtigsten Gründe für
die heutige Vorherrschaft des Szientismus dürfte der wohl nicht zu leugnende
enorme Fortschritt der Wissenschaften in den vergangenen 100 Jahren sein. Von
Szientisten wird deshalb auch dieser Fortschritt der Wissenschaft als das
entscheidende Argument für die Wahrheit des Szientismus ins Feld geführt und
dafür argumentiert, dass die wissenschaftliche Methode die Einzige ist, die zu
zuverlässigen und wahren Ergebnissen führt.
Die moderne szientistische Weltanschauung unterscheidet sich
von der szientistischen Weltanschauung die vor etwa 100 Jahren im Umfeld des
Wiener Kreises entstanden ist, also dem Szientismus, der unter dem Namen des
Logischen Empirismus nicht nur in der Philosophie, sondern auch in den Natur-
und Sozialwissenschaften großen Einfluss ausgeübt hat. Die wichtigsten
Vertreter dieser Strömung waren Rudolph Carnap, Otto Neurath, Herbert Feigl,
Moritz Schlick und in einem weiteren Sinne auch Philosophen wie Ludwig Wittgenstein
und Willard van Orman Quine. Es ist heute in der Philosophie allgemein
anerkannt, dass der ursprüngliche Ansatz dieser philosophischen Richtung
bereits nach kurzer Zeit gescheitert ist. Gleichwohl ist der Einfluss dieser
streng szientistischen Richtung der Philosophie auf die weitere Entwicklung der
Philosophie in Europa und den USA nicht zu unterschätzen. Insbesondere die
sogenannte analytische Philosophie hat den szientistischen Ansatz des Wiener
Kreises übernommen und beständig weiterentwickelt. Während die Vertreter des
Wiener Kreises und auch noch die ersten analytischen Philosophen Philosophie
auf den engen Bereich der Wissenschaftstheorie beschränkten, wurde später, ab
etwa Ende der 1950er Jahre, allmählich die analytische Philosophie auf nahezu
alle philosophischen Gebiete ausgeweitet, so z.B. auf die Erkenntnistheorie,
die Ontologie und Metaphysik, Religionsphilosophie, die Ethik bis hin zur
Ästhetik. Im Hintergrund dieser Entwicklung war aber stets eine szientistische
Weltanschauung mit der dazu gehörenden empiristischen Methodik vorherrschend.[1]
Im Folgenden möchte ich die szientistische Weltanschauung
allgemein charakterisieren und die von Edward Feser (2014) herausgestellten
vier grundsätzlichen Probleme des Szientismus vorstellen. Ich werde dann die
Grundlagen und Methoden der wissenschaftlichen Erkenntnis analysieren und zu
zeigen versuchen, dass die Wissenschaften grundsätzlich keine vollständige
Erkenntnis der Welt liefern können, sondern durch ihre Methodik auf einen engen
Bereich der Wirklichkeit beschränkt sind. Zudem werde ich auf der Grundlage der
Analyse von Edward Feser deutlich zu machen versuchen, dass auch die sogenannte
„Begriffsanalyse“ der rationalistischen Strömung der analytischen Philosophie
keine Alternative darstellt.
Was ist Szientismus?
Unter Szientismus verstehe ich hier und im Folgenden die
Auffassung, dass allein die empirischen Wissenschaften und insbesondere die
Naturwissenschaften bzw. deren Methoden uns eine objektive Erkenntnis der
Wirklichkeit geben und grundsätzlich alle sinnvollen Fragen beantworten können.
Philosophie und insbesondere Metaphysik sind dabei gewissenmaßen ‚Mägde‘ der
empirischen Wissenschaften. Sie stehen in einer Dienstfunktion für die
empirischen Wissenschaften, indem sie z.B. deren Methoden analysieren. Was
darüber hinaus geht, insbesondere Fragen der Metaphysik, wird als „sinnlos“
beurteilt. Dies bedeutet für die Wahrheitsfrage, dass allein wissenschaftliche
Aussagen einen Anspruch auf Wahrheit erheben dürfen, also Aussagen, die sich
empirisch falsifizieren lassen. Bekannte radikale Vertreter des Szientismus in
der Gegenwartsphilosophie sind z.B. Alex Rosenberg (2011) Daniel Dennett (1995)
und die Eheleute Churchland (32013). Außer bei Philosophen findet
sich eine szientistische Weltanschauung nicht selten auch bei
Naturwissenschaftlern, die die Grenze zwischen empirischer Wissenschaft und
Philosophie nicht beachten. Am bekanntesten und auch repräsentativsten dürfte
hier der schon erwähnte Stephen Hawkins sein. In seinem Lebenslauf schrieb er
„Es gibt keine Singularität und kein einziges Ereignis, das als Schöpfung
identifiziert werden könnte.“ (vgl. DIE ZEIT Nr. 13/2018). Wie viele
Szientisten führt auch Hawkins die Entstehung und den Bestand des Universums
auf die Naturgesetze zurück, allerdings ohne die Frage zu beantworten, was denn
ein Naturgesetz ist. Naturgesetze werden so gewissermaßen als Gottesersatz
behandelt oder als freischwebende platonische Entitäten, die selbst wirksam
sind. Doch kein Naturgesetz bewirkt irgendetwas. Naturgesetze sind mathematisch
formulierte Abkürzungen und Beschreibungen von etwas, das in der Realität
geschieht. Naturgesetze sind Gesetze der Naturen, der Wesenheiten der Dinge (D.
Oderberg 2007). Gesetze sind Abstraktionen von Regularitäten, die sich aus der
Natur der Entitäten ergeben und keine freischwebenden platonischen Ideen. Und
selbst dann, wenn sie Letzteres wären, könnten sie keinerlei Wirkungen in der
Realität hervorbringen. Daher sind Sätze wie: „Da es ein Gesetz wie das der
Gravitation gibt, kann und wird sich das Universum (…) aus dem Nichts erzeugen“
(S. Hawkins 2010, 177) grober Unfug. Wenn es ein Gesetz gibt, dann gibt es
bereits Etwas und nicht Nichts. Gesetze sind aber Gesetze von Etwas. Ohne dass Etwas
existiert, gibt es auch keine Gesetze.
Neben diesen radikalen Vertretern des Szientismus, die auch
unter Gegenwartsphilosophen als umstritten gelten, ist ein Großteil der
heutigen analytischen Philosophen von einer szientistischen Weltanschauung
beeinflusst, wenn auch nicht bestritten werden soll, dass sich in den
vergangenen Jahrzehnten eine Entwicklung angebahnt hat, die sich von dieser
Weltanschauung entfernt. Das bekannteste Beispiel dafür dürfte der sehr
einflussreiche Philosoph Thomas Nagel (2012) sein, der mit seinem letzten Buch Geist und Kosmos. Warum die
materialistische, neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher
falsch ist, nicht nur in den USA für großes Aufsehen sorgte. Der
Szientismus ist eine Variante des Naturalismus bzw. des Materialismus, wobei
die Unterschiede für unseren Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung sind. Naturalisten
anerkennen im Allgemeinen eine Eigenständigkeit der Philosophie für bestimmte
Fragestellungen. So versteht sich z.B. Thomas Nagel auch weiterhin als
Naturalist, sieht aber auch die Notwendigkeit, teleologische Aspekte im Sinne
des Aristoteles in die Philosophie zu integrieren, was für eine streng
szientistische Philosophie undenkbar ist.
Der Szientismus ist mit vier grundsätzlichen Problemen
konfrontiert, die ich im Weiteren diskutieren möchte. Zunächst (1) zerstört
sich der Szientismus selbst und er kann diese Selbstzerstörung nur dadurch aus
dem Weg gehen, dass er trivial und philosophisch uninteressant wird. (2) Es
lässt sich zeigen, dass die naturwissenschaftliche Methode prinzipiell nicht in
der Lage ist, eine vollständige Beschreibung der Natur zu geben. (3) Damit
hängt zusammen, dass die sogenannten Naturgesetze, mit deren Hilfe der
Szientismus und die Naturwissenschaften Phänomene erklären, prinzipiell nicht
in der Lage sind, eine vollständige Erklärung dieser Phänomene und der Natur zu
geben. Und viertens ist das Hauptargument für den Szientismus, nämlich das
bereits erwähnte Argument, dass auf den großen Erfolg der Naturwissenschaft bei
der Vorhersage von Ereignissen und den technologischen Fortschritt verweist,
kraftlos. (Edward Feser 2014, 10).
Probleme des
Szientismus
Ein zentrales Problem des Szientismus, mit dem teilweise
bereits die Logischen Empiristen sich konfrontiert sah, ist seine eigene
Selbstwiderlegung. Der Szientismus behauptet nämlich, dass die
wissenschaftliche Methode die einzige zuverlässige Methode ist, um zu sicheren
wahren Erkenntnissen zu gelangen (z.B. A. Rosenberg 2011, 6). Allein diese Behauptung
lässt sich selbst nicht mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode, d.h.
empirisch beweisen, ja es lässt sich mit dieser Methode nicht einmal beweisen,
dass diese Methode überhaupt eine rationale Form der Forschung ist (E. Feser
2014, 10). Die wissenschaftliche Methode beruht nämlich auf einer Reihe von
philosophischen Annahmen, wie der Annahme, dass es eine objektive, von uns
unabhängige Wirklichkeit gibt oder dass die Welt von Regularitäten beherrscht
wird, die sich in bestimmten Gesetzen ausdrücken lassen. Auch dass der
menschliche Verstand durch seinen Wahrnehmungsapparat in der Lage ist, die Welt
um uns herum zu erfassen und zu beschreiben gehört zu den philosophischen
Annahmen, die üblicherweise von den Naturwissenschaften vorausgesetzt werden.
Da die Wissenschaften und die wissenschaftliche Methode diese Dinge voraussetzen,
können sie dies alles nicht rechtfertigen, ohne in eine zirkuläre Argumentation
zu geraten. Um diese zirkuläre Argumentation zu verlassen, müsste die
Wissenschaft gewissenmaßen aus sich selbst, bzw. aus ihrer Methode heraustreten
und von diesem außerwissenschaftlichen Standpunkt aus beweisen, dass sie ein
richtiges Bild der Wirklichkeit zu geben in der Lage ist. Doch dieser
außerwissenschaftliche Standpunkt ist der Standpunkt der Philosophie. Ein
solcher außerwissenschaftlicher Standpunkt würde zugleich die Behauptung des
Szientismus falsifizieren, dass die Wissenschaft allein in der Lage ist, uns
eine rationale und zuverlässige Beschreibung der Welt zu geben.
Die Philosophie untersucht nicht nur die philosophischen
Voraussetzungen der Naturwissenschaften (und anderer Wissenschaften), sondern
sie stellt auch die Frage, wie die Ergebnisse der Wissenschaften zu
interpretieren sind. Dazu gehören Fragen wie die, ob die Welt im Wesentlichen
aus Substanzen oder aus Ereignissen besteht oder was Kausalität ist.
Wissenschaftliche Gesetze setzen Universalien voraus, was die Frage aufwirft,
was Universalien sind, ob diese auch außerhalb der Einzeldinge vorkommen oder
nur in den Dingen. Selbstverständlich können wissenschaftliche Entdeckungen
metaphysische Fragen erhellen, aber sie können keine metaphysischen Fragen
beantworten. Wenn aber die Wissenschaften von der Philosophie abhängig sind,
sowohl hinsichtlich ihrer Rechtfertigung als auch bezüglich der Interpretation
wissenschaftlicher Ergebnisse, dann ist damit die zentrale Behauptung des
Szientismus widerlegt, dass die wissenschaftliche Methode allein in der Lage
ist, eine zuverlässige und wahre Erkenntnis der Welt zu geben.
Nun könnte der Szientist auf die Idee kommen, dieses Problem
dadurch zu lösen, dass er die Philosophie in die wissenschaftliche Methode
miteinbezieht und behauptet, die Philosophie sei ein Teil der Wissenschaften.
Doch in diesem Fall wird der Szientismus vollkommen trivial (E. Feser 2014,
11). Der Begriff der Wissenschaft würde dann jede rationale Untersuchung
einschließen und selbst das, was dem Szientismus widerspricht, wie z.B. die
Existenz Gottes, die mit Hilfe der Philosophie aus der Untersuchung der Natur
bewiesen werden kann, wie bei Aristoteles.
Die Wissenschaften
sind prinzipiell nicht in der Lage, eine vollständige Beschreibung der Welt zu
geben
Bei dem auch bei nicht philosophisch gebildeten Menschen
weit verbreiteten Szientismus, wonach uns die Wissenschaften zumindest
prinzipiell eine letzte Erklärung der Wirklichkeit liefert und damit letzte wahre
Erkenntnisse, wird oftmals nicht erkannt oder vergessen, worin die
wissenschaftliche Methode besteht. Die Methoden der Wissenschaften selbst sind
es, die eine vollständige Beschreibung der Realität unmöglich machen.
Insbesondere die Physik, die als Modell der wissenschaftlichen Methode gilt,
aber auch andere Naturwissenschaften, bestehen auf einer rein quantitativen
Beschreibung der Welt in der Sprache der Mathematik, in der das „Buch der
Natur“ geschrieben ist, wie bereits Galileo sagte. Mit Hilfe dieser Methode
kann die Physik, mehr als andere Wissenschaften, quantitative Phänomene der
Natur exakt vorhersagen und kontrollierbar machen. Und genau darin besteht der
große technologische Erfolg der Physik. Alles, was nicht dieser methodischen
Voraussetzung unterworfen werden kann, und dazu gehören alle qualitativen
Aspekte der Natur, wird unberücksichtigt gelassen. Gegen dieses methodische
Vorgehen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, da jede Wissenschaft ihr
Forschungsgebiet und ihre Methoden selbst bestimmt. Dies wird erst zum Problem,
wenn dann umgekehrt behauptet wird, es gäbe zumindest prinzipiell nichts
anderes in der Natur zu entdecken, als das, was die Naturwissenschaft mit Hilfe
ihrer quantitativen Methode entdecken kann. Edward Feser hat dieses Vorgehen an
verschiedenen Stellen mit einer Analogie beschrieben, wonach eine Person, die
mit einem Metalldetektor ein bestimmtes Gebiet absucht und dort verschiedene
metallische Gegenstände entdeckt, daraus schließt, dass es in diesem Gebiet
nichts anderes zu entdecken gibt, als metallische Gegenstände.
Unsere natürliche Erfahrung ist im Unterschied zur
Naturwissenschaft durch und durch qualitativ.
Was wir wahrnehmen sind Farben, Formen, Gerüche, Geschmack, Wärme und Kälte,
Ziele und Zwecke. Die Inhalte unserer Gedanken sind ebenso qualitativ bestimmt,
wie unsere Entscheidungen. All diese Inhalte haben Bedeutungen und Sinn. Die
Physik abstrahiert von all diesen qualitativen Bestimmungen und betrachtet
ausschließlich das, was quantitativ erfasst und dadurch möglichst in
mathematischen Formeln ausgedrückt werden kann. Natürlich sind all diese
physikalisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse im Allgemeinen wahr, aber sie
sind nicht alles, was man Wahres über die physische Welt wissen und sagen kann.
Durch die quantitative Methode wird genau das erfasst, was an der Natur kontrollierbar
ist und was deshalb präzise Vorhersagen über künftige physikalische Ereignisse
ermöglicht und genau dies ist für eine technologische Anwendung erforderlich.
Ob die technologische Naturbeherrschung der eigentliche Ursprung der modernen
Naturwissenschaften ist, wie Martin Heidegger meinte, sei dahingestellt. Jedenfalls
beruht der Erfolg der modernen Naturwissenschaften auf dieser quantitativen
Methode, die mit einer Abstraktion von allen, für unser Leben zentralen und
bestimmenden qualitativen Aspekten, verbunden ist. Weil uns die
Naturwissenschaften nichts über diese qualitativen Aspekte der Realität sagt,
bedeutet dies nicht, dass es diese Aspekte nicht gibt, oder dass sie bloß etwas
Subjektives sind. Auch der Erfolg der Naturwissenschaften für die
technologischen Entwicklung zeigt in keiner Weise, dass es keine anderen
Bestimmungen der Realität gibt, als die von den Wissenschaften entdeckten
quantitativen Merkmale.
Am Anfang der neuzeitlichen Philosophie und Wissenschaft
steht eine Unterscheidung, durch die alle qualitativen Aspekte der Wirklichkeit
in das Subjekt verlegt wurden und nur die quantitativen Bestimmungen als
objektiv und real betrachtet wurden. Ich meine die Unterscheidung zwischen primären
und sekundären Eigenschaften, eine Unterscheidung, die auch heute mit
bestimmten Veränderungen in szientistischen Philosophien beibehalten wird. Demnach
sind Farben, Töne, Geschmack, Gerüche usw. nicht in der realen Welt vorhanden,
sondern nur im Bewusstsein der Wahrnehmenden. In der realen Welt existieren
hingegen nur bestimmte Lichtreflexionseigenschaften, gewisse Schallwellen und
das, was uns die Physik über diese Eigenschaften sagt, also das, was an diesen
Eigenschaften physikalisch quantifizierbar ist. Wie Thomas Nagel (2013, 55f.) gezeigt
hat, macht dies aber die qualitativen Eigenschaften noch problematischer, denn
jetzt werden diese Eigenschaften in das menschliche Bewusstsein verlegt und das
Bewusstsein kann nicht mit den Methoden der Materie erklärt werden. Wenn
nämlich die Materie, einschließlich die Materie des Gehirns, keine qualitativen
Merkmale besitzt und das Bewusstsein gerade dadurch charakterisiert wird, dass
es qualitative Merkmale erfasst, kann das Bewusstsein nicht materiell erklärt
werden. Dies führt zu dem bekannten Dualismus Descartes mit all seinen
unlösbaren Problemen. Auch jede weitere Forschung bezüglich der qualitativen
Bestimmungen bzw. einer Erklärung des Bewusstseins ist prinzipiell nicht in der
Lage, diese qualitativen Bestimmungen anders als durch quantitative
Bestimmungen zu reduzieren und sie gerade dadurch ihrer Eigentümlichkeit zu berauben.
Es ist gerade die Methode der Wissenschaften, die jede Qualität ausschließt.
Wenn daher ein Wissenschaftler irgendeine physische Eigenschaft findet, die in
einer bestimmten Weise mit einem qualitativen Merkmal des Bewusstseins
korreliert und dann annimmt, dass er damit die Qualität erklärt hat, unterliegt
er einer Illusion. Er verwechselt dann die theoretische, quantitative
Beschreibung der Materie, die er an Stelle der Qualität gesetzt hat, mit der
Qualität selbst (Feser 2014, 17).
Naturgesetze erklären
nicht, sondern beschreiben
Naturgesetze sind prinzipiell nicht in der Lage eine
vollständige oder auch nur zureichende Erklärung
der Welt zu liefern und zwar deshalb nicht, weil ein Naturgesetz nichts erklärt, sondern nur beschreibt. Ein Naturgesetz ist eine
abstrakte, bzw. abgekürzte mathematische Beschreibung
einer natürlichen Regularität und keine Erklärung. Das Naturgesetz erklärt
nicht das in Frage stehende Phänomen. Weiter oben habe ich einen Satz des
Physikers Stephen Hawkins zitiert, wonach die Naturgesetze die Entstehung und
den Bestand des Universums erklären sollen. Ähnliches hat der amerikanische
Physiker Lawrence Krauss in seinem Buch A
Universe from Nothing (2012) behauptet. Dabei versucht der Autor zu zeigen,
wie die Energie in einem vollkommen leeren Universum zusammen mit den
Naturgesetzen das Universum hervorgebracht hat (Feser 2014, 18). Allerdings sind
Energie, leerer Raum und Naturgesetze nicht nichts, was Krauss zum Ende des
Buches auch selbst bemerkt. Deshalb schlägt er vor, dass allein die
Naturgesetze die Aufgabe übernehmen könnten, die Entstehung des Universums aus
dem Nichts zu erklären, aber auch Naturgesetze sind nicht Nichts. Wie bereits
Hawkins plädiert Krauss deshalb für ein Universum unendlich vieler Ebenen, bzw.
ein Blasenuniversum, ein sogenanntes Multiversum, bei dem sich die Erklärung
des Anfangs erledigt, weil dieses Multiversum keinen Anfang und kein Ende hat.
Abgesehen davon, dass die Theorie des Multiversums auch in
der Physik mehr als umstritten ist, der Verweis auf die Naturgesetze, die dies
alles „bewirkt“ haben sollen, erklärt
nichts. Es bleibt nämlich die Frage offen, was ein Naturgesetz ist, wie es irgendeine
Wirkung haben kann und woher das Naturgesetz kommt. Die Antworten auf diese
Fragen werden aber von der Naturwissenschaft vorausgesetzt und können mit ihren Methoden nicht beantwortet
werden.
Für die Beantwortung der Frage, was ein Naturgesetz ist,
gibt es zahlreiche und unterschiedliche Theorien, die ich hier nicht vorstellen
kann. Die aristotelisch-scholastische Antwort lautet, dass ein Naturgesetz, das
bestimmte materielle Dinge oder Systeme beherrscht, eine Kurzfassung für die
Beschreibung der Art und Weise ist, wie ein Ding oder ein System tätig ist und
zwar unter der Voraussetzung seiner Wesenheit. Trifft diese Bestimmung der
Naturgesetze zu, dann setzen
Naturgesetze die Existenz und Tätigkeit physischer Dinge voraus, die den Gesetzen folgen. Dies bedeutet, dass diese Gesetze
nicht die Existenz und Tätigkeit der Dinge erklären können. Naturgesetze sind
Gesetze der Naturen, der Wesenheiten. Sie folgen aus der Wesenheit der Dinge,
oder um es mit einem scholastischen Prinzip auszudrücken: agere sequitur esse.
Der Erfolg der
Wissenschaften als Argument für die Wahrheit der Wissenschaft
Obwohl der Szientismus, wie dargelegt, theoretisch kaum zu
verteidigen ist, gibt es zahlreiche intelligente Menschen, die diese Position
verteidigen, entweder explizit oder zumindest implizit. Der Grund dafür scheint
meines Erachtens der Erfolg der Wissenschaft für die technologische Entwicklung
zu sein. Wegen der Fähigkeit der Naturwissenschaften, bestimmte Ereignisse
präzise vorherzusagen und auf der Grundlage der naturwissenschaftlichen
Entdeckungen Maschinen und Geräte zu entwickeln, die sogar in der Lage sind,
unser Sonnensystem zu verlassen, schließen viele Menschen, dass der Szientismus
und alles was aus ihm folgt, wahr sein muss (Feser 2014, 21). Um einen
bekannten deutschen Vertreter des (biologistischen) Szientismus zu zitieren: „In
den Realwissenschaften gibt es […] einen nachweisbaren Erkenntnisfortschritt,
der auf objektiven Daten bzw. Fakten und der […] Theorienbildung basiert. Im
Gegensatz dazu geben viele ‚Geisteswissenschaftler‘ nur subjektive
Spekulationen von sich, denen nicht selten die faktische Grundlage fehlt.“ (Ulrich
Kutschera 2011, 241f.).
Das Argument kann wie folgt zusammengefasst werden (ibid.):
1.
Die prädikative Kraft und die technologische
Anwendbarkeit der Wissenschaften sind unvergleichbar mit anderen Quellen des
Wissens.
2.
Deshalb ist das, was die Wissenschaft entdeckt
vermutlich alles, was wirklich ist.
Dass dies ein schlechtes Argument ist, ist offensichtlich,
doch es ist genau das Argument, das den größten Erfolg bei der Vereidigung des
Szientismus hat und das von Szientisten wie Alex Rosenberg (2011, 23) ins Feld
geführt wird. Edward Feser (2014, 22) hat zur Verdeutlichung der Schwäche
dieses Arguments ein analoges Argument vorgestellt:
1.
Metalldetektoren haben mit weit größerem Erfolg Geldstücke
und andere metallische Gegenstände an mehr Orten entdeckt als alle anderen
Methoden.
2.
Deshalb ist das, was Metalldetektoren entdecken
(Geldstücke und andere metallische Gegenstände) vermutlich alles, was wirklich
ist.
Metalldetektoren wurden dafür entwickelt, metallische
Gegenstände zu entdecken, die im Erdreich verborgen sind. So vollkommen sie
diese Aufgabe auch erfüllen mögen, daraus folgt nicht, dass es im Erdreich
nichts anderes zu entdecken gibt, als metallische Gegenstände. In ähnlicher
Weise gilt, dass das, was die Physik oder andere Naturwissenschaften entdecken,
nicht alle Aspekte der Wirklichkeit oder auch nur der physischen Wirklichkeit
erfasst. Alles was die Naturwissenschaften und insbesondere die Physik erfasst,
beruht auf der Quantifizierung und mathematischen Modellierung, die zu präzisen
Vorhersagen und zur technologischen Anwendbarkeit der so gewonnenen
Erkenntnisse führt. Aber es folgt daraus ebenso wenig, wie aus dem Erfolg der
Metalldetektoren folgt, dass es nur metallische Gegenstände gibt, dass es keine
anderen Aspekte der Wirklichkeit gibt, als die von den Naturwissenschaften
entdeckten Aspekten der natürlichen Welt.
Verteidiger des Szientismus die dagegen einwenden, dass
Metalldetektoren nur dazu entwickelt wurden, metallische Gegenstände zu
entdecken, die nur ein Teil der Wirklichkeit sind, während die Wissenschaften
die gesamte Wirklichkeit erfasst, argumentieren zirkulär, denn genau das ist
es, was in Frage steht.
Auch der szientistische Einwand, dass Philosophie und
Theologie so gut wie keinerlei Vorhersagen und keinerlei technische
Anwendbarkeit ihrer Erkenntnisse vorweisen kann, ist ein non sequitur. Der Einwand ist ähnlich eindrucksvoll wie die
Forderung nach einer Liste der Erfolge von Metalldetektoren bei der
Gartenarbeit, beim Kochen und Malen, wobei dann aus der Tatsache, dass es keine
solche Liste gibt, gefolgert wird, dass Spaten, Spachtel und Pinsel nutzlos
sind, weggeworfen werden können und durch Metalldetektoren ersetzt werden
sollten (Feser 2014, 23). Aus der Tatsache, dass eine bestimmte Methode
besonders nützlich für bestimmte Zwecke ist, folgt nicht, dass sie auch für
alle anderen Zwecke angewandt werden sollte.
Begriffsanalyse
Zum Abschluss noch einige Worte zur sogenannten „Begriffsanalyse“,
die in der analytischen Philosophie als Alternative zum Szientismus entwickelt
wurde. Wenn der Szientismus keine Alternative zur Philosophie darstellt, so
wird argumentiert, dann bleibt für die Philosophie nur eine einzige Aufgabe
übrig, nämlich die Analyse von Begriffen und was im Weiteren daraus folgt. Bei
der Begriffsanalyse geht es darum, unsere vorphilosophischen intuitiven
Überzeugungen und Verständnisse von bestimmten philosophischen Problemen, z.B.
der Frage, was Wissen ist, bewusst zu machen, sprachlich zu formulieren und
kritisch zu untersuchen. Mit Hilfe dieser Methode sollen dann alle wesentlichen
Grundbegriffe geklärt und in einem sinnvollen und konsistenten System
zusammengestellt werden. „Man geht meist von typischen Fällen aus, auf die ein
philosophischer Begriff wie jener der Handlung angewendet wird und achtet
darauf, was sie alle gemeinsam haben. Wenn wir einen Begriff auf verschiedene
Fälle anwenden, unterstellen wir nämlich, dass sie eine gemeinsame Eigenschaft
haben. Mit dem Begriff bzw. mit dem sprachlichen Ausdruck des Begriffs, einem
Prädikat, beziehen wir uns auf diese gemeinsame Eigenschaft. Diese Eigenschaft
tritt wiederum unter bestimmten Bedingungen auf, sie ist mit anderen
Eigenschaften verknüpft. So beruhen etwa alle Fälle von Handlungen auf
Überlegungen und Entscheidungen, und sie entspringen dem Willen einer Person.“ (Christoph
Schamberger 2017, 36).
Die Voraussetzung, dass es außer der Wissenschaft nur noch
die Möglichkeit der Begriffsanalyse gibt, ist im Wesentlichen eine Variante von
„David Humes Fork“. Hume
schreibt dazu, dass „all the objects of human reason or inquiry may naturally
be divided into two kinds, to wit,
Relation of Ideas, and Matters of
Facts.” (Hume, Enquiry Concerning Human Understanding, Section IV, Part I;
zitiert nach E. Feser 2014, 26). Das dieser Satz sich selbst widerlegt
ist offensichtlich, denn der Satz Humes ist weder eine begriffliche Wahrheit
(was er mit „Relation of Ideas“ sagen will), noch empirisch zu überprüfen (dies
ist gemeint mit „Matters of Facts“). Dasselbe gilt aber auch von modernen Philosophen,
die der Auffassung sind, dass „alle Gegenstände des menschlichen Verstandes und
der Forschung“ entweder eine Angelegenheit der Naturwissenschaft oder der
Begriffsanalyse sind. Eine solche Aussage ist zutiefst metaphysisch und lässt
sich weder mit der Begriffsanalyse und noch viel weniger mit der
Naturwissenschaft beweisen. Zudem gibt es Wahrheiten, die nicht einmal zur
Philosophie gehören und gleichwohl keine Wahrheiten der Naturwissenschaften
oder der Begriffsanalyse sind, aber von beiden vorausgesetzt werden, nämlich
Logik und Mathematik. Die Wahrheiten der Logik und Mathematik haben z.B. eine
Notwendigkeit, die sich bei der Naturwissenschaft nicht finden lässt und eine
Objektivität, die der Begriffsanalyse mangelt. Es trifft somit nicht zu, dass
Naturwissenschaft und Begriffsanalyse alles abdecken, was an Wahrheiten erkannt
werden kann.
Schluss
Ich habe mit verschiedenen Argumenten deutlich zu machen
versucht, dass der Szientismus falsch ist, dass er keinen Wahrheitsanspruch
erheben kann. Zugleich bestreite ich nicht, dass die Wissenschaften zu wahren
Erkenntnissen gelangt, allerdings bestreite ich, dass die Erkenntnisse und
Wahrheiten der Wissenschaften die einzigen Wahrheiten sind, die es gibt. Die
empirischen Wissenschaften können auf Grund ihrer methodischen Begrenzung auf
quantifizierbare Inhalte nur einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit erfassen.
Die empirischen Wissenschaften beruhen auf Voraussetzungen, die sie mit ihren
eigenen Methoden nicht hinterfragen können, da diese Voraussetzungen die
Wissenschaften übersteigen und nur von einem Standpunkt außerhalb der
Wissenschaft beantwortet werden können. Dieser „außerwissenschaftliche“ aber
nicht unwissenschaftliche Standpunkt ist der Standpunkt der Philosophie. Die
Philosophie kann sicherlich nicht die empirischen Wissenschaften ersetzen, aber
ebenso wenig können die Wissenschaften die Philosophie ersetzen.
Bibliografie
Churchland,
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& Schuster) deutsch (1997): Darwins gefährliches Erbe. Die Evolution und
der Sinn des Lebens (Hoffmann & Campe).
Feser, Edward (2014): Scholastic
Metaphysics. A Contemporary Introduction, Heusenstamm 2014 (editiones
scholasticae).
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Stephen; Mlodinow, Leonard (2010): Der
große Entwurf, Reinbeck (Rowohlt).
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(Free Press).
Kutschera, Ulrich (2011): Darwiniana Nova. Verborgene Kunstformen der
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Nagel, Thomas
(2012): Mind & Cosmos: Why the
Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature is Almost Certainly False,
Oxford (Oxford University Press), deutsch (2013): Geist und Kosmos. Warum
die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher
falsch ist, Berlin (suhrkamp taschenbuch wissenschaft).
Oderberg, David
(2007): Real Essentialism, New York, Abingdon
(Routledge).
Rosenberg, Alex
(2011): The Atheist’s Guide to Reality,
New York (W.W. Norton and Company).
Schamberger, Christoph (2017): „Was
leistet die Begriffsanalyse?“, Stellungnahmen von Gottfried Gabriel, Joachim
Horvath, Christoph Schamberger und Frieder Vogelmann, Information Philosophie Heft 2.
[1]
Es sei erwähnt, dass sich neben der empiristischen Strömung in der analytischen
Philosophie auch eine rationalistische Strömung entwickelte, die Philosophie
auf Sprachanalyse beschränken wollte und sich im Verlauf ihrer weiteren
Entwicklung mehr und mehr für ontologische Fragestellungen und dem klassischen
Rationalismus öffnete.
Der Beitrag stammt von Dr. Rafael Hüntelmann und wurde zuerst 2019 veröffentlicht in: DIVINITAS. Rivista Internazionale di Ricerca e di Critica Teologica, Anno LIX, Numero unico 2016.
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