Im ersten Teil des Blogbeitrags über den Unterschied
zwischen der traditionellen, aristotelischen Logik und der modernen
mathematischen Logik habe ich versucht zu zeigen, dass sich beide Arten der
Logik in verschiedenen Hinsichten unterscheiden. Beide Systeme der Logik
beruhen auf unterschiedlichen Hintergrundannahmen, sie unterscheiden sich
weiterhin durch die Struktur der Systeme und drittens hinsichtlich des Zwecks.
Grundlegend ist bei allen drei Hinsichten die zugrundeliegende Metaphysik. In
diesem zweiten Teil möchte ich die Unterschiede deutlicher herausarbeiten und zwar
anhand der für die moderne Logik typischen Wahrheitstafeln
Wahrheitstafeln
Die Wahrheitstabellen wurden von dem Philosophen Ludwig
Wittgenstein in der Logik eingeführt. Er führte sie zum Zweck der Flankierung
des Kalküls ein, in das die moderne Logik verwandelt wurde. Die moderne Logik
ist durchgängig nach dem Modell des mathematischen Kalküls entwickelt worden
und hierzu wurden die Wahrheitstafeln hinzugefügt, um schnell die Wahrheit
eines Kalküls von einfachen und insbesondere von komplexen logischen Propositionen
bzw. Formeln prüfen zu können.
Nehmen wir zur Demonstration eine einfache Aussage:
Eine Woche hat sieben
Tage und ein Tag hat 24 Stunden.
Aussagenlogisch können wir die beiden Teilsätze mit
beliebigen großen Buchstaben formalisieren. Die Verbindung der beiden Teilsätze
mit dem Wort „und“ kann durch das Symbol „&“ dargestellt werden. Dann
ergibt sich die folgende Formalisierung des Satzes:
A & B
Nun stellt sich die Frage, wie wir die Wahrheit dieses
Satzes herausfinden können. In der modernen Logik gibt es hierzu ein einfaches
Verfahren. Der „Wahrheitswert“, also „wahr“ oder „falsch“, wird bestimmt durch
die Elemente, durch die der Satz gebildet wird, also in unserem Beispiel durch A
und B. Wir wissen ohne viel darüber nachdenken zu müssen, dass der Satz „A
& B“ nur dann wahr ist, wenn die beiden Teilsätze wahr sind. Wenn es
zutrifft, dass die Woche aus sieben Tagen besteht und wenn es ebenso wahr ist,
dass ein Tag aus 24 Stunden besteht, dann ist der ganze Satz wahr. Wenn
hingegen eine der beiden Teilsätze falsch ist, dann ist die Aussage als ganze
falsch.
Dies lässt sich nun in einer Wahrheitstabelle darstellen.
Dazu werden alle Möglichkeiten der Wahrheit der Teilsätze aufgelistet:
A B A & B
W W W
W F F
F W F
F F
F
Zur Erläuterung: Wir haben zwei Sätze, nämlich die Sätze A
und B. Entweder sind beide Sätze wahr, oder beide Sätze sind falsch oder ein
Satz ist wahr und der andere ist falsch. Außer in dem Fall, wo beide Teilsätze
wahr sind, ist in allen drei anderen Fällen der „und“-Satz falsch. Daraus
ergibt sich die Definition für die Konjunktion: Eine Konjunktion ist genau dann
wahr, wenn beide Teilsätze wahr sind.
Diese Einsicht leuchtet uns intuitiv ein und es ist
eigentlich nicht nötig in solchen einfachen Fällen Wahrheitstabellen
einzuführen. Schwieriger wird dies allerdings bei komplexeren Aussagen wie z.B.
der Aussage: „A und [B oder (wenn C, dann E)]. Bei solchen komplexen Sätzen
können Wahrheitstafeln tatsächlich auf einfache Weise den Wahrheitswert der
Aussage kalkulieren.
Wenn dem so ist, dann stellt sich die Frage, warum die
traditionelle Logik keine Wahrheitstafeln verwendet. Darauf gibt es sowohl eine
praktische, als auch eine theoretische Antwort und Letztere ist entscheidend.
Beginnen wir mit dem praktischen Grund, warum in der
aristotelischen Logik keine Wahrheitstabellen angewandt werden.
Wahrheitstafeln
spielen für die philosophische Logik kaum eine Rolle
Obwohl Wahrheitstabellen in bestimmten Kontexten durchaus
einen gewissen praktischen, d.h. technischen Nutzen haben, sind sie für
tatsächliche Argumentation in der Philosophie oder auch in anderen Bereichen,
wo argumentiert wird, wenig nützlich. Die meisten Aussagen, die im alltäglichen
Reden oder auch in akademischen Diskussionen verwendet werden, haben wohl kaum
die Komplexität, die die Einführung von Wahrheitstafeln erfordert. In
bestimmten wissenschaftlichen Anwendungen, wie in der Mathematik oder auch in der
Computerprogrammierung, die das hauptsächliche Anwendungsgebiet der modernen
Logik ist, sind Wahrheitstafeln durchaus hilfreich, selten jedoch in
alltäglicher oder wissenschaftlicher Argumentation.
Die 19 gültigen Syllogismen der traditionellen aristotelischen
Logik kann man lernen, ohne jede Bezugnahme auf Wahrheitstafeln und diese
Syllogismen reichen aus, um alle alltäglichen und akademischen Diskussionen zu
bestreiten. Wirkliche Argumente im akademischen Bereich werden geleitet oder
sind reduzierbar auf eine kategoriale Argumentation. In einer solchen
kategorialen Argumentation geht es vor allem um die Begriffe, man argumentiert auf
der Grundlage von Beziehungen zwischen individuellen Begriffen. Begriffe sind
aber weder wahr noch falsch. Wahrheitstafeln sind nur anwendbar bei
hypothetischer Argumentation, die ihr Fundament nicht in Begriffen, sondern in
Beziehungen zwischen Aussagen (Propositionen) hat.
Soviel zum praktischen Nutzen der Wahrheitstafeln. Kommen
wir nun zum eigentlichen Kern der Kritik an den Wahrheitstafeln.
Wahrheitsfunktionalität
Warum die Wahrheitstafeln nicht in der traditionellen Logik
verwendet werden, hat mit der sogenannten „Wahrheitsfunktionalität“ zu tun.
Darunter versteht man, dass der Wahrheitswert eines zusammengesetzten Satzes
eindeutig durch die Wahrheitswerte seiner Teilsätze bestimmt ist. Mit anderen
Worten: Die Wahrheit oder Falschheit der Teilsätze sagt uns, ob der ganze Satz
wahr oder falsch ist.
Am Beispiel unseres obigen Satzes erläutert: Die Wahrheit
des Satzes „A & B“ hängt ab von der Wahrheit des Satzes „A“ und des Satzes „B“,
d.h. von den Komponenten, aus denen der Satz besteht. Der Satz „A & B“ wird
als „konjunktive Aussage“ bezeichnet, denn die Aussage verbindet A und B.
Traditionelle Logiker sind der Auffassung, dass konjunktive Aussagen die
einzige Art von Aussagen sind, deren Wahrheit in Wahrheitstafeln aufgelöst
werden kann, d.h. die einzige Art von Sätzen, die wahrheitsfunktional sind. Keine andere Art von Sätzen, wie Satzverbindungen
mit „oder“, „wenn, dann“ usw. ist in diesem Sinne wahrheitsfunktional.
Diese Auffassung der traditionellen Logiker beruht auf einer
anderen Theorie über Sprache und Wirklichkeit. Um dies verständlich zu machen,
nehmen wir als Beispiel einen Konditionalsatz:
Wenn es regnet, dann
wird die Straße nass.
Dieser Satz lässt sich in formaler Ausdrucksweise
folgendermaßen darstellen (wobei --> für „wenn – dann“ steht):
A --> B
Wenden wir hier wieder die Wahrheitstabelle an, dann ergibt
sich folgendes Schema:
A --> B
W W W
W F F
F W W
F W F
Das bedeutet, dass dieser Satz immer wahr ist, außer in dem
Fall, dass der Vordersatz (Antezedens) wahr und der Nachsatz (Konsequenz) falsch
ist. Nehmen wir an, es regnet draußen und die Straße ist nass. In diesem Fall
(erste Zeile) ist der ganze Satz wahr. Doch nehmen wir an, dass es regnet und
die Straße ist durch irgendetwas abgedeckt – eine Plane liegt über der Straße
oder ähnliches – und die Straße ist nicht nass. In diesem Fall ist es richtig
zu sagen, dass es regnet, aber es wäre falsch zu sagen, dass die Straße nass
ist. Daher wäre der Satz als Ganzes falsch.
Doch wie verhält es sich nun mit den beiden anderen
Möglichkeiten? Wenn es nicht regnet und die Straße ist trotzdem nass (in der
dritten Zeile wird der Satz A = Es regnet, als falsch angenommen, also regnet
es nicht)? Warum ist der Satz in
diesem Fall wahr? Eine gute Erklärung dafür gibt es nicht und wenn man Logik
unterrichtet, stößt man immer wieder auf Einwände von Seiten der Studierenden,
die dies nicht verstehen.
Dieses Unverständnis hängt weniger damit zusammen, dass
solche Sätze besonders kompliziert sind, sondern weil die Behandlung solcher
Konditionalsätze in der modernen Logik selbst problematisch ist. Dies verhält
sich in der traditionellen Logik anders.
In der aristotelischen Logik werden Konditionalsätze nur
dann als wahr behandelt, wenn die Tatsache, dass die Straße nass ist, wirklich
besteht und zwar deshalb, weil es regnet. Nur dann, wenn eine logische Beziehung besteht zwischen den
Regen und der nassen Straße, ist der Satz wahr. Die Tatsache, dass es regnet,
muss gewissermaßen materiell
beinhalten, dass die Straße nass ist.
Und hier zeigt sich ein zentraler Unterschied zwischen
traditioneller und moderner Logik. In modernen logischen Systemen ist eine
reale, wirkliche Beziehung zwischen A und B nicht erforderlich. Das einzige was
erforderlich ist, ist das der Nachsatz (Konsequenz) nicht falsch ist, wenn das
Antezedens wahr ist. Außer in diesen Fall ist der Satz immer wahr. Dies ist so
unabhängig von allen realen Verhältnissen in der Welt. Deshalb kann man in der
modernen Logik auch völlig sinnlose konditionale Sätze verwenden, die gleichwohl
wahr sind, weil es bei der Beziehung zwischen den Teilsätzen nicht um eine
reale oder genauer gesagt, nicht um eine kausale Beziehung geht. So ist der
Satz:
Wenn der Mond aus Käse
besteht, dann können Vögel fliegen
ein logisch wahrer Satz, denn das Antezedens ist falsch und
das Konsequenz ist wahr und somit ist der Satz als Ganzes wahr, obwohl es
keinerlei logische oder reale Beziehung zwischen den beiden Teilsätzen gibt.
Das Gleiche gilt natürlich auch für alle anderen Sätze bzw.
Satzverbindung, wie
Peter fährt mit dem
Fahrrad und in China fällt ein Sack Reis um
ein Satz, bei dem zwischen den beiden konjunktiven Gliedern
kein logischer, realer oder materialer Zusammenhang besteht.
In der traditionellen Logik sind hingegen nur solche Sätze
gültig und logisch wahr, bei denen ein logischer oder sonstiger Zusammenhang
zwischen den Satzgliedern besteht. Bei Konditionalsätzen ist dieser
Zusammenhang ein notwendiger. Der
Zusammenhang muss hier entweder ein solcher von Ursache und Wirkung sein oder von Grund und Folge. Zwischen dem Regen und die nasse Straße besteht
eine fundamentale metaphysische Relation, nämlich die von Ursache und Wirkung.
Die Annahme im Hintergrund der modernen Logik ist, dass es entweder solche
Beziehungen nicht gibt oder dass sie zumindest in einem System der Logik keine
Rolle spielen dürfen. Über die moderne, durch Hume und Kant beeinflusste
Auffassung über Kausalität habe ich in diesem Blog bereits häufiger
geschrieben.
Die moderne Logik
beruht auf einer falschen Metaphysik
Der metaphysische Background der modernen Logik ist, dass es
ihr um die Quantifizierung der Realität geht. Moderne und traditionelle Logik
haben einen völlig verschiedenen philosophischen Hintergrund. Während der
aristotelische Logik ihre metaphysische Grundlage in einem echten Essentialismus
hat, beruht die moderne Logik auf einer Metaphysik, die auf die mechanistische,
rein quantitativ-mathematischen Philosophie der Neuzeit zurückgeht (René Descartes,
Galilei, Newton etc.) und zur Grundlage der modernen Naturwissenschaften wurde.
Daher versucht die moderne Logik auch, die gesamte Logik in ein Kalkül zu
verwandeln. Dies war bereits der Traum von Leibniz, dem dies aber noch nicht in
der Praxis gelang, was dann von Frege, Russell, Whitehead, Wittgenstein und
anderen realisiert wurde.
Die traditionelle Logik versucht hingegen nicht die Logik in
ein quantitatives, mathematisches Kalkül zu verwandeln, besonders deshalb
nicht, weil sie die Logik als eine linguistische und metaphysische Kunst
betrachtet und nicht als ein technisch-mathematisches Kalkül. Während die
moderne Logik eine rein extensionale
Logik ist, verbindet die traditionelle Logik extensionale und intensionale Aspekte,
quantitative und qualitative Aspekte der menschlichen Sprache.
Deshalb weist die traditionelle Logik die Versuche der
modernen Logik zurück, die Sprache zu quantifizieren. Logik ist nach
traditioneller Auffassung wesentlich qualitativ und am Wort orientiert und die
Versuche zur Quantifizierung der Sprache führen nur zu einer Verzerrung des
Argumentationsprozesses.
Der einzige Weg um die Logik in ein mathematisches Kalkül zu
verwandeln besteht in der Bestreitung der wesentlichen metaphysischen Natur der
Welt, die von der Logik widergespielt werden muss. Man muss bestreiten, dass es
Wesenheiten gibt, die die Grundlage
der gesamten Realität darstellen. Diese Verneinung der Realität von Wesenheiten
geht natürlich nicht auf die modernen Logiker zurück, sondern hat ihr Fundament
bereits im spätmittelalterlichen Nominalismus (William von Occam) und dann in
der neuzeitlichen Philosophie, die entweder empiristisch oder rationalistisch
geprägt ist.
Quantifizierung in
der Prädikatenlogik
Ein letztes Problem, dass ich zumindest noch erwähnen
möchte, besteht in der sogenannten Quantifizierung in der Prädikatenlogik. Sätze
wie
Menschen haben 32
Zähne
können in der modernen Logik nicht in ihrem Sinngehalt
wiedergegeben werden. Denn für die Prädikatenlogik gibt es hier nur zwei
Möglichkeiten diesen Satz auszudrücken:
Für alle x: Wenn x ein
Mensch ist, dann hat x 32 Zähne.
Dieser Satz ist eindeutig falsch, denn ich und viele meiner
Leser haben keine 32 Zähne mehr und sind dennoch Menschen. Die andere Form der
Formalisierung lautet:
Für mindestens ein x:
x hat 32 Zähne
Auch dieser Satz gibt nicht das wieder, was man sagen will,
wenn man behauptet, dass Menschen 32 Zähne haben. Mit diesem Satz will man
nämlich eine wesentliche Eigenschaft
von Menschen im Sinne der Gattung Mensch aussagen. Auch wenn ein Mensch nur
noch drei Zähne hat, ist der Satz, dass Menschen 32 Zähne haben nicht falsch.
Es gibt noch zahlreiche weitere Schwächen der modernen
Logik, doch diese hängen letztlich alle mit einer falschen Metaphysik zusammen.
Alles dies bedeutet freilich nicht, dass man die moderne Logik nicht studieren und
nicht in philosophischen Debatten anwenden sollte. Doch man sollte sich des metaphysischen
Hintergrunds stets bewusst sein um Fehler zu vermeiden.
Muss es im Abschnitt "Wahrheitsfunktionalität" in der Wahrheitstafel nicht "A à B" heißen (statt "A & B")?
AntwortenLöschenEs gibt verschiedene Symbole für "und". Üblich sind insbesondere "&" und das Symbol ^ das wie ein Hütchen aussieht, allerdings mit längeren Linien als hier dargestellt Ihr Symbol "à" gibt es in der modernen Logik nicht.
AntwortenLöschenEs handelte sich um einen technischen Fehler und dies auch in Ihrem Text. Sie haben natürlich recht: Es muss --> für die Implikation heißen. Sonderzeichen führen im Blog zu Problem.
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