Unter gegenwärtigen thomistischen Philosophen gibt es eine
Diskussion über die Frage nach dem metaphysischen Status des Menschen nach dem
Tod. Leser, die ohnehin nicht an einem Leben nach dem Tod glauben und die
philosophischen Argumente dafür nicht ernst nehmen, können an dieser Stelle
aufhören zu lesen. Für die anderen, die sich für diese Debatte interessieren,
an der einige der bekanntesten Thomisten der Gegenwart teilnehmen, geht es um die
Frage, ob der Mensch selbst nach dem Tod weiter existiert oder nur ein Teil des
Menschen, die Seele. In allen wichtigen Grundlagen stimmen in dieser Frage die
Thomisten überein. So ist es unumstritten, dass die menschliche Seele die
substanzielle Form des lebenden Menschen ist, dass diese Seele auch nach dem
Tod weiterexistiert und das der Körper des Menschen nach der Auferstehung
wiederhergestellt wird (was natürlich eine theologische Aussage ist, keine
philosophische).
Umstritten ist hingegen, ob die menschliche Person nach dem
Tod weiter existiert oder ob sie aufhört zu existieren bis zur leiblichen
Wiederauferstehung. Welche Antwort auf diese Frage ergibt sich aus den
genannten Prämissen und was sagt Thomas von Aquin selbst zu dieser Frage? Dazu
hat Edward Feser einen Blogbeitrag verfasst,
der eine gekürzte Version eines Aufsatzes ist, der in Kürze in einer amerikanischen
Fachzeitschrift erscheinen soll.In meinem eigenen Beitrag beziehe ich mich auf Edward Feser's Beitrag.
Man könnte es sich jetzt natürlich leichtmachen und bei
Thomas selbst nach einer Antwort suchen. Doch gibt es bei Thomas zu dieser
Frage selbst keine eindeutige Antwort, weil er diese Frage sich nicht so
gestellt hat. Man kann allerdings aus den Prämissen eine Antwort erschließen.
Die beiden Positionen werden unter den Begriffen Survivalismus und
Korruptionalismus zusammengefasst. Erstere sind der Auffassung, dass der Mensch
selbst nach dem Tode weiterhin existiert, während die Korruptionalisten der
Auffassung sind, dass nur die Seele weiter existiert und man deshalb nicht
sagen kann, die menschliche Person selbst existiert nach dem Tode weiter. Die
Letzteren argumentieren für ihre Auffassung vor allem mit einer ausgiebigen
Thomas-Exegese, bei der sie verschiedene Stellen aus dem Werk Thomas von Aquins
für die Stützung ihrer Auffassung heranziehen. Dazu zählen so bekannte
Vertreter wie Brian Davies und Patrick Toner. Auf Seiten der Survivialisten
stehen Eleonore Stump, David Oderberg und auch Edward Feser selbst. Survivialisten
argumentieren auf Grundlage der Prämissen, aus denen sich ihrer Meinung nach
eine Bestätigung ihrer eigenen Auffassung ergibt, dass die menschliche Person
als solche nach dem Tod irgendwie weiterexistiert. Edward Feser meint, dass die
Texte Thomas von Aquins selbst nicht eindeutig für die eine oder andere
Auffassung sprechen. Aber selbst dann, wenn Thomas den Korruptionalismus verteidigt
haben sollte, würde sich diese Auffassung nicht mit den Prämissen vereinbaren
lassen, so die Auffassung z.B. von Edward Feser.
Thomas ist jedenfalls überzeugt, dass die Seele, als die substanzielle
Form des Menschen, keine Person ist, sondern nur die Zusammensetzung aus Form
und Materie, also beim Menschen die Zusammensetzung aus Seele und Leib. In
diesem Punkt sind sich übrigens auch Korruptionalisten und Survivialisten ebenfalls
einig und deshalb kann aus dieser Tatsache nicht folgen, dass der
Korruptionalismus richtig ist. Hier liegt übrigens auch ein bedeutsamer
Unterschied zum Platonismus und Kartesianismus, die beide der Auffassung sind,
dass die Seele allein den Menschen ausmacht.
Wie gesagt, beide Kontrahenten stimmen in allen wesentlichen
Prämissen überein, so auch darin, dass der Mensch nicht aus zwei Substanzen
besteht, Körper und Seele (gegen Descartes), dass die eine menschliche Substanz
sowohl körperliche als auch seelischen Vermögen besitzt und dass die Seele, d.h.
die substanzielle Form, nur dann existiert, wenn sie eine Materie, den Körper,
informiert. Für sich bestehende
Formen werden von Aristotelikern strikt abgelehnt. Beiden Seiten stimmen auch
darin überein, dass die Seele den Tod des Körpers überlebt. Das aber bedeutet nicht,
dass nach dem Tod die menschliche Person aufhört zu existieren und nur eine
sehr rudimentäre Seele weiterexistiert, die von einem Körper getrennt ist. Im
Gegenteil.
Wenn man alle diese zuvor genannten Prämissen zusammennimmt,
muss man zu dem Schluss kommen, dass es die menschliche Person selbst ist, die
den Tod überlebt. Die Frage ist allerdings: Wie kann der Mensch überleben, wenn
der Körper, der ein integraler Teil des Menschen ist und auf den die Seele
hingeordnet ist, zerstört wurde? Dier Antwort der Survivialisten auf diese
Frage lautet: Der Mensch existiert ebenso weiter, wie wenn er seine Arme, seine
Beine, seine Ohren oder seine Zunge verliert, nämlich in einem extrem
verminderten und abnormalen Zustand. Aber er existiert weiterhin. Und ähnlich
verhält es sich bei einem Menschen, der alle seine körperlichen Vermögen
verloren hat, nicht „nur“ die Arme, Beine, Zunge, Ohren usw., sondern seinen
gesamten Körper, der aber seine nichtkörperlichen, seine seelischen Vermögen
weiterhin besitzt. Er existiert weiterhin, wenn auch in einem sehr verminderten
Zustand. Dies genau ist die Art und Weise, wie die Seele nach dem Tod
weiterbesteht und zwar trotz dessen, dass sie die Form des Körpers ist. Die
Seele existiert weiterhin, weil sie die Form der Substanz ist, die weiterhin
besteht, wenn auch in einem extrem abnormalen Zustand.
Der Korruptionalist behauptet hingegen, dass die Seele nach
dem Tod weiter existiert, aber ohne die Substanz, von der sie die Form ist.
Dies aber widerspricht den Voraussetzungen, die von beiden Kontrahenten
anerkannt werden, dass nämlich die Form nicht ohne die Substanz, von der sie
die Form ist, existieren kann.
Es gibt auch noch theologische Argumente, die gegen die
Auffassung der Korruptionalisten sprechen. Dies betrifft z.B. die Belohnung und
Bestrafung des Menschen nach dem Tod, aber vor der Auferstehung, was gemeinhin
als „Fegefeuer“ bezeichnet wird. Belohnen und bestrafen kann man nur wirkliche
Menschen.
Ich bin also von den Argumenten der Survivialisten eher
überzeugt als von denen der Korruptionalisten.
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