Freitag, 29. September 2017

DGPhil-Kongress 2017: Ein Bericht



In dieser Woche fand in Berlin von Sonntag bis zum gestrigen Donnerstag der 24. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Philosophie statt. Diese philosophische Gesellschaft ist die mit Abstand größte in Deutschland mit etwa 2.200 Mitgliedern, gefolgt von der GAP, der Gesellschaft für analytische Philosophie mit derzeit etwa 1.200 Mitgliedern. Die DGPhil ist allerdings zugleich ein Dachverband für verschiedene philosophische Fachgesellschaften. Der Kongress an der Berliner Humboldt Universität war alles in allem erfreulich, denn er hat gezeigt, dass der Neoaristotelismus vor allem bei jüngeren Philosophinnen und Philosophen allmählich Anklang findet.



Kolloquium: „Gott und die Natur abstrakter Objekte“

Dies zeigte sich besonders in zwei Kolloquien am Montag und Dienstag. Am Montag gab es unter anderem ein regionsphilosophisches Kolloquium, dass von dem Innsbrucker Philosophen Christian Tapp geleitet wurde. Thema waren „Gott und die Natur abstrakter Objekte“ mit Vorträgen von William Lane Craig (hier ein Beitrag über ihn in unserem Blog), Christian Kanzian, einem, im weiten Sinne, analytischen Thomisten aus Innsbruck und dem zum Naturalismus neigenden Bremer Philosophen Manfred Stöckler. 

Craig erläuterte das Problem abstrakter Objekte, die keine zeitliche Existenz besitzen, nicht räumlich sind und deshalb kausal unwirksam. Gemeint sind Objekte wie Zahlen, Mengen, Funktionen, Propositionen und ähnliches. Für Platoniker existieren solche Objekte in einem eigenen Bereich. Für Religionsphilosophen stellt dies ein Problem dar, weil es neben Gott noch andere „Dinge“ gibt, die ewig, unveränderlich und außerhalb von Raum und Zeit existieren. William Craig schlug daher zur Lösung dieses Problems einen „leichten Platonismus“ vor, nach dem solche Objekte nicht wirklich existieren, sondern nur Referenten von Aussagen sind. Gleichwohl sind solche Objekte notwendig, besonders auch für die Naturwissenschaften (z.B. Naturgesetze gehören zu diesen Objekten) und daher müssen sie irgendwie existieren. Diskutiert wurde hier, ob man einen theistischen Konzeptualismus verteidigen könne, nach dem diese Objekte nicht in einem eigenen Bereich, sondern im Geist Gottes existieren. Diese Lösung steht in der Nähe des Thomismus. Allerdings wurden auch hier Probleme diskutiert, die mit diesem Ansatz zusammenhängen, die meines Erachtens allerdings nicht entstehen, wenn man in diesem Punkt eine klar an Thomas orientierte Theorie übernimmt und keinen Konzeptualismus. Doch Craig vertrat die Auffassung, dass der zuvor skizzierte leichte Platonismus ausreicht, denn die bloße Referenz auf abstrakte Gegenstände könne ontologisch neutral aufgefasst werden. Diese Auffassung würde ich allerdings nicht teilen.

Professor Stöckler wies zurecht auf ein zentrales Problem bei Craig hin, dass ich im Blog bereits erwähnt habe und seine ganze Philosophie durchzieht: Craig redet von Gott und vom göttlichen Bewusstsein in einem univoken Sinne, anstatt in analoge Rede. Gottes Bewusstsein ist nicht so ähnlich wie unseres nur viel, viel umfassender, sondern vollkommen anders. Bestenfalls kann man sagen, dass wir bei Gott von Bewusstsein reden kann in dem Sinne, dass diesem etwas bei uns entspricht, doch dass die Unterschiede zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Bewusstsein unendlich größer sind als alle Gemeinsamkeiten.

Ich würde allerdings Stöckler widersprechen, wenn es behauptete, dass die aristotelische Position bezüglich der Rede, dass die Universalien bzw. die abstrakten Objekte in den Dingen sind, nicht genügend ausgearbeitet ist. Dieses In-Sein wurde nicht nur von David Oderberg ausführlich erläutert, sondern auch schon früher von verschiedenen Neothomisten analysiert. Es ist das Verhältnis von Form zu Materie. Abstrakte Objekte wie die Form eines Baumes ist so im Baum, dass die Form die Ursache – die Formursache – für die Materie ist und das bestimmende Prinzip für die Zusammensetzung des Baumes. Dazu finden Sie auch in diesem Blog zahlreiche Hinweise. Stöckler selbst schlug eine pragmatische Lösung für das Problem abstrakter Gegenstände vor, die jenseits von Naturalismus und Theismus liegt.

Christian Kanzian stellte anti-platonische Strategien vor und nannte deren Chancen und Risiken. Im großen und ganzen stimmte er den Ausführungen von Craig zu, betonte aber ebenfalls gleich am Anfang, dass eine angemessene Rede von Gott nur in analoger Rede möglich ist und dass dies auch auf die Behauptung von Craig zutrifft, Gott sei ein „konkreter Gegenstand“. Weiter diskutierte Kanzian den Begriff „unabhängig vom Bewusstsein“ in Bezug auf abstrakte Gegenstände, der nur in Bezug auf das menschliche Bewusstsein zutreffen kann, wenn man dafür plädiert, dass abstrakte Gegenstände im göttlichen Bewusstsein sind. Einig war man sich, dass der „Hyperplatonismus“ philosophisch widerlegt ist und nicht verteidigt werden kann.

Kolloquium: Essentialismus – Alt und Neu

Dieses Kolloquium am Dienstag wurde geleitet von dem Aristoteliker Christof Rapp, der früher Professor an der Humboldt-Universität in Berlin war, inzwischen aber einen Lehrstuhl in München einnimmt. Rapp hat einige lehrreiche Studien zu Aristoteles verfasst, die ich empfehlen kann. Von den Vorträgen von Fabrice Correia (Genf, Schweiz), Marko Malik (New York, USA) und Kathrin Koslicki möchte ich nur Letztere erwähnen, zumal ich sie bereits inmeinem Blog ausführlicher behandelt habe. Zudem war der Beitrag Correias sehr technisch. 

Koslicki hat mit ihrem Ansatz des „mereologischen Hylemorphismus“ im Bereich der analytischen Philosophie ein neues Interesse an der Theorie des Hylemorphismus bei Aristoteles geweckt. Allerdings ist ihre Position nicht aristotelisch, sondern eher quantitativ orientiert: verschiedene bereits existierende Teile – Mengen oder auch Atome oder deren Bausteine – werden durch eine „Form“ strukturiert. Das erinnert an die Sprache: Buchstaben werden zu Worten, Worte zu Sätzen zusammengesetzt, wobei die Form das „strukturierende Prinzip“ ist. Koslicki wendete in ihrem Vortrag diese Art des Hylemorphismus auf das sogenannte „Grounding-Problem“ an, ein Thema, das in der gegenwärtigen philosophischen Debatte häufig diskutiert wird und für das Koslicki eine Lösung mit Hilfe ihres „strukturellen Hylemorphismus“ vorschlug. Es geht dabei um die materielle Konstitution, z.B. einer Statue und einem Klumpen Marmor, aus dem eine Statue gebildet wird. Sind die Statue und der Marmorklumpen, aus dem die Statue besteht, identisch oder verschieden? 

Es hat mich gefreut, dass Frau Koslicki, die ich schon seit längerem kennenlerne wollte, zu dem Kongress eingeladen wurde. Wenn ihre Position nach meiner Meinung, bzw. nach Auffassung David Oderbergs und auch anderer nicht haltbar ist, so ist es doch ein Ansatz, der zu einem erneuten Studium des Hylemorphismus Aristoteles‘ führen kann.

Vorträge

Von den verschiedenen Vorträgen zumeist junger Philosophen und Philosophinnen, die alle auf einem hohen Niveau gehalten wurde möchte ich besonders zwei erwähnen. Falk Hamann aus Regensburg sprach über Aktualität und Aktivität: Zur Bedeutung der energeia bei Aristoteles. Energeia ist der griechische Begriff bei Aristoteles für Aktualität und Hamann zeigte die umfassende Bedeutung dieses Begriffs bei Aristoteles auf, denn energeia ist nicht nur ein Teil des Seienden, zusammen mit der dynamis (Potenz), sondern er ist zugleich die Einheit des Seienden. 

Ulricke Nack aus Leipzig hielt ebenfalls einen Vortrag über Aristoteles und zwar „Die traditionelle Lesart des aristotelischen Hylemorphismus (Kritik an John Ackrills Aristotle’s Definitions of ‚psyche‘)“. Nach dem von ihr kritisierten Philosophiehistoriker Ackrill wird die Materie bei Aristoteles kontingent geformt. Die Materie der Lebewesen ist nun wesentlich beseelt (die Seele ist die Form der Lebewesen), doch nach Ackrill geht aus der Physik des Aristoteles hervor, dass die Materie kontingent ist. Daher behauptet die „traditionelle Lesart“ des Aristoteles, dass der Hylemorphismus für Artefakte geeignet ist, aber nicht für Lebewesen zutrifft. Dies wurde von Ulrike Nack mit starken Argumenten zurückgewiesen.

In der Ethik-Sektion herrschte leider der Konsequenzialismus vor. Wie mir bekannt wurde, sind verschiedene eingereichte Beiträge, die eine andere Position als den Konsequenzialismus verteidigen wollten, nicht angenommen worden. Naturrechtliche Positionen, die im angelsächsischen Raum einen großen Zuspruch erfahren, werden in Deutschland offensichtlich ungern gesehen.

Insgesamt aber war der Kongress vielversprechend und macht Hoffnung auf eine positive Entwicklung der Philosophie in Deutschland in den kommenden Jahren.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen