Dienstag, 14. August 2018

Der ad hominem Trugschluss ist eine Sünde


Im Zeitalter des Internet 2.0 hat prinzipiell jeder die Möglichkeit, Artikel verschiedener Medien zu kommentieren. Gute Artikel stelle Argumente für oder gegen eine These bereit, die von Lesern kommentiert werden können. In sehr vielen Fällen werden solche Thesen oder Behauptungen nicht argumentativ angegriffen, sondern mit sogenannten ad hominem „Argumenten“, d.h. dem Autor oder der Autorin werden z.B. bestimmte Absichten unterstellt, er oder sie wird diffamiert („Nazi“, „Rechtsradikaler“, „Kommunist“ etc.), oder es wird ihm oder ihr „Hass“ unterstellt und zwar ohne jede Bezugnahme auf das Argument, dass der Gegner gegeben hat. Diese Unkultur wurde jüngst in einem Blogbeitrag von Edward Feser thematisiert. Scholastiker hat diesen Blogbeitrag übersetzt und er wird hier erstmals in deutsche Übersetzung veröffentlicht.



Ein argumentum ad hominem (oder ein „Argument über [an] den Menschen") ist der Trugschluss, wenn man, anstatt sich mit dem Inhalt eines Arguments zu befassen, die Person selbst angreift – seine Motive, seinen angeblichen Charakterfehler oder ähnliches.  Diese anrüchige Taktik war in öffentlichen Kontroversen natürlich schon immer üblich, aber der Rückgriff auf den Trugschluss scheint in jüngster Zeit den rationalen öffentlichen Diskurs fast in den Hintergrund gedrängt zu haben.  Ein großer Teil des Landes hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine politischen Gegner niemals auf der Ebene der Vernunft anzugreifen, sondern sie nur zu verteufeln und niederzuschreien.  Sogar in der Kirche haben die respektvollsten und gelehrtesten Kritiker von Papst Franziskus in den letzten Jahren das ad hominem routinemäßig erfahren müssen, Kritiker, die sich gegen doktrinär problematischen Aussagen bezüglich Scheidung und Wiederverheiratung, Todesstrafe und andere Dinge eingesetzt haben.

 

Das ist nicht nur eine Schwäche derjenigen, die dazu neigen, oder nur ein bedauerlicher ästhetischer Fehler in einem Gemeinwesen.  Es ist sündhaft, manchmal sogar schwerwiegend.



Was ist ein ad hominem Trugschluss (und was nicht)

 Um zu verstehen, warum dies so ist, ist es wichtig, zuerst zu verstehen, was ein ad hominem Trugschluss ist – und was er nicht ist.  Wie alle Logiker wissen, und wie ich [Edward Feser] vor einigen Jahren in einem Beitrag ausführlich erklärt habe, ist es kein ad hominem Trugschluss, jemanden lediglich einen Namen zu geben oder auf seine Charakterfehler aufmerksam zu machen, und dies ist auch nicht unbedingt moralisch bedenklich.  Manchmal verdient eine Person eine böse Beschreibung, und manchmal geht es genau um ihren moralischen Charakter.  Es ist kein ad hominem Trugschluss, wenn man jemanden als unehrlich, schwach oder inkompetent oder einfach als Drecksack beurteilt und das dann auch noch sagt.  Das können nur die Fakten sein, und es ist nicht unbedingt falsch, die Aufmerksamkeit auf solche Fakten zu lenken.



Ein ad hominem Trugschluss wird begangen, wenn es nicht um eine Person oder ihren Charakter geht, sondern um die Wahrheit oder Falschheit von etwas, das sie gesagt hat, oder um die Beweiskraft eines Arguments, das sie vorgebracht hat, und man sich anstatt sich damit zu befassen, die Person oder ihren Charakter angreift.  Wenn ich Charles Manson einen mörderischen, sadistischen und lügenden Drecksack nenne, habe ich keinen ad hominem Irrtum begangen, sondern nur die Fakten dargelegt.  Wenn Charles Manson mir ein Argument gibt um zu zeigen (zum Beispiel), dass Amoris Laetitia schwer mit der Lehre Christi über die Ehe zu vereinbaren ist, oder dass Einwanderungsgesetze durchgesetzt werden müssen, und als Antwort auf dieses Argument nenne ich ihn nur einen mörderischen, sadistischen und lügenden Drecksack, dann habe ich einen ad hominem Trugschluss begangen. 



Der ad hominem Trugschluss kann verschiedene Formen annehmen.  Die bekannteste Form ist das missbräuchliche ad hominem, das einfach Beschimpfungen auf jemanden schleudert, anstatt die Inhalte seiner Behauptung oder seines Arguments zu thematisieren.  Auch hier ist es nicht die Beschimpfung per se, die trügerisch ist.  Die Beschimpfung kann angebracht sein oder nicht, und selbst wenn sie falsch ist, ist der Grund manchmal nicht, dass es sich um einen ad hominem Trugschluss handelt, sondern eher um einen Mangel an Nächstenliebe oder Diskretion oder was auch immer.  Was trügerisch ist, ist der Ersatz mit Beschimpfungen, wenn rationale Analyse und Argumentation gefragt sind.  Wenn also jemand versucht, Ihnen ein Argument für eine Behauptung zu liefern und Sie ihn als Antwort lediglich mit einem Beinamen wie „bigott", „faschistisch", „Nazi", „rassistisch", „homophob", „sexistisch", „Roter", „Neocon" usw. betiteln und vorgeben, dass die angebliche Angemessenheit des Etiketts ausreicht, um zu zeigen, dass sein Argument beiseitegelassen werden kann, dann sind Sie schuldig an einem Lehrbuchbeispiel des missbräuchlichen ad hominem.



Manchmal versuchen Menschen, die sich der Natur des Irrtums bewusst sind, dies zu rationalisieren, indem sie nach juristischen Schlupflöchern suchen.  Akademische Philosophen und andere Intellektuelle tun dies manchmal, wenn sie Gegner in nicht-akademischen Kontexten wie Facebook-Konversationen, Combox-Diskussionen, Blog-Posts usw. antworten.  Angenommen, ich dämonisiere routinemäßig einen bestimmten Gegner oder eine Gruppe von Gegnern, ohne jemals die Substanz ihrer Argumente anzusprechen, und Sie beschuldigen mich, einen ad hominem Irrtum zu begehen.  Angenommen, ich antworte, indem ich sage: „Aber ich habe nicht einmal versucht, die Argumente anzusprechen, also bin ich des Irrtums nicht schuldig.  Ich drücke nur meine geringe Meinung über diese Leute aus.“  Das Problem dabei ist, dass, selbst wenn ich nicht ausdrücklich behaupte, die Argumente anzusprechen, mein Verhalten eine Implikation dahingehend hat, dass die Argumente irgendwie schlecht sind.  Ich „sende die Botschaft", dass die Argumente der Menschen, die ich verteufele, nicht gehört werden sollten, obwohl ich sie nur missbraucht habe, anstatt zu erklären, was an diesen Argumenten falsch ist.  So bin ich immer noch schuldig an einem ad hominem Trugschluss, auch wenn ich ihn nicht in eklatanter Weise begangen habe, indem ich ausdrücklich etwas in der Form gesagt habe wie: „Du bist ein [Fanatiker, Nazi, Kommunist, etc.], deshalb ist dein Argument nicht gut.“



Eine andere Form, die das ad hominem annehmen kann, ist der tu quoque Trugschluss, der darin besteht, die Behauptung oder die Argumentation von jemandem abzulehnen, nur weil er sich selbst nicht in einer Weise verhält, die mit dem Argument vereinbar ist.  Eine große Anzahl von Online-Debatten ist nichts anderes als dieses endlose, triste Hin und Her von Heuchelei-Vorwürfen.  Nun, jemanden der Heuchelei zu beschuldigen, ist an sich kein Trugschluss.  Was allerdings trügerisch ist, ist der Vorwand, dass eine solche Anschuldigung ausreicht, um eine Behauptung oder ein Argument der Person zu widerlegen.  Wenn Sie behaupten, dass p wahr ist, und als Antwort darauf weise ich darauf hin, dass Sie sich aber in einer Weise verhalten, die scheinbar nicht-p impliziert, zeigt das nicht von selbst, dass Sie falsch liegen.  Es kann sein, dass p wirklich wahr ist, und dass das Problem nicht darin besteht, dass Sie dieses p glauben, sondern dass Sie nicht praktizieren, was Sie predigen.  Oder es kann sein, dass es einen anderen Weg gibt, Ihr Verhalten so zu interpretieren, dass es mit Ihrer Überzeugung vereinbar ist, dass p, und dass Sie in der Tat nicht der Inkonsistenz schuldig sind.  Ich müsste Argumente vorbringen, um diese Alternativen auszuschließen, bevor ich behaupten könnte, Sie widerlegt zu haben.  Nur einen Vorwurf der Heuchelei zu erheben, reicht nicht aus.



Eine dritte Form, die das ad hominem annehmen kann, und eine, die auch in der Online-Diskussion deprimierend üblich ist, ist der Brunnenvergiftungs-Trugschluss.  Dies ist dann der Fall, wenn Sie nicht die Vorzüge der Behauptung oder des Arguments eines Gegners ansprechen, sondern die Motivation, die jemand für das in Frage stehende Argument hat.  Der Grund dafür ist, dass die Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung und die Beweiskraft eines Arguments an sich nichts mit den Motiven der Person zu tun hat, die das Argument vorbringt.  Eine Person, deren Motive schlecht sind, kann dennoch ein gutes Argument liefern, und eine Person, deren Motive gut sind, kann dennoch ein schlechtes Argument liefern.



Auch hier ist es wichtig, die Natur des Trugschlusses richtig zu verstehen.  Die Aufmerksamkeit auf die Motive von jemandem zu lenken, ist an sich nicht trügerisch.  Manchmal sollten wir über die Motive von jemandem nachdenken.  Zum Beispiel, wenn unser einziger Grund zu glauben, dass Schmidt ein bestimmtes Verbrechen begangen hat, ist, dass Johannes das gesagt hat, und wir wissen, dass Johannes schon lange eine Vendetta gegen Schmidt hatte, dann haben wir guten Grund, an Johannes Aussage zu zweifeln.  In diesem Fall geht es genau um Johannes Wahrhaftigkeit, so dass die Berücksichtigung seiner Motive angemessen ist.  Ein Trugschluss der Brunnenvergiftung wird begangen, wenn es nicht um die Wahrhaftigkeit oder einen anderen Aspekt seines Charakters geht, sondern um die Wahrheit oder Falschheit einer Behauptung, die er aufstellt, oder um die Beweiskraft eines Arguments, das er vorbringt, und anstatt das anzusprechen, ändern wir das Thema, indem wir ihn beschuldigen, schlechte Motive zu haben. 



Eine Version des heute weit verbreiteten Brunnenvergiftungstrugschlusses ist die Taktik, die Argumente eines Gegners mit der Begründung abzulehnen, dass sie angeblich durch „Hass" motiviert seien.  Sie denken, Amoris Laetitia ist problematisch?  Sie müssen durch den Hass auf Papst Franziskus motiviert sein!  Sie missbilligen homosexuelles Verhalten?  Sie müssen vom Hass auf Homosexuelle motiviert sein!  Sie verteidigen die Grenzüberwachung?  Sie müssen vom Hass auf Immigranten motiviert sein!  Und so weiter.  Ein Teil des Problems dabei ist natürlich, dass Hass nicht unbedingt das Motiv in jedem dieser Fälle ist.  Aber der Grund dafür, dass die Vergiftung des Brunnens trügerisch ist, besteht darin, dass, selbst wenn Hass die Motivation einer Person wäre, dies völlig irrelevant ist hinsichtlich der Frage, ob seine Behauptungen wahr und seine Argumente stichhaltig sind.  Logisch betrachtet spielen Motive keine Rolle.



Warum der Trugschluss sündhaft ist

Ein Grund, warum das ad hominem Argument moralisch problematisch ist, ist, dass es eine Sünde gegen die Wahrheit ist.  Es kann sich herausstellen, dass ein Gegner Recht hat, so dass Sie sich selbst und andere (soweit sie von Ihren ad-hominem-Angriffen beeinflussen lassen) für die Wahrheiten blind machen, die sonst vielleicht gesehen worden wäre. Wenn die Tendenz, auf den ad hominem Trugschluss zurückzugreifen, zur Gewohnheit wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige, der ihn begeht, in einen Fehler verfällt, natürlich deutlich erhöht.



Bedenken Sie auch daran, dass ad hominem Trugschlüsse oft begangen werden, wenn man wütend auf einen Gegner ist.  Wer also das Laster des Zorns – eine gewohnheitsmäßige Tendenz zur Wut, die entweder in ihrer Intensität oder in ihrem Gegenstand ungeordnet ist – zeigt, wird ziemlich oft in den ad hominem Trugschluss fallen und deshalb oft in einen Irrtum verfallen.  Kurz gesagt, eine Person, die ständig wütend ist und ständig verunglimpfend zu ihren Gegnern ist, liegt wahrscheinlich häufig falsch, aber gerade deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass sie häufig sieht, dass sie falsch liegt.  Spirituell und kognitiv ist dies ein sehr gefährlicher Zustand.



Ein zweiter Grund, warum das ad hominem Argument moralisch problematisch ist, besteht darin, dass es sich um eine sündhafte Mutmaßung handeln kann.  Kein Mensch kann die Motive oder den geistigen Zustand eines anderen Menschen unfehlbar kennen.  Natürlich können wir uns oft plausible Meinungen über solche Dinge bilden.  Nochmals, es ist nichts falsch daran zu beurteilen, dass Charles Manson ein böser Mensch war, weil sein Verhalten ganz klar und konsequent in diese Richtung weist.  Wenn jedoch jemand aufrichtig versucht, sich mit Ihnen auf der Ebene der nüchternen rationalen Argumentation auseinanderzusetzen, ist es moralisch und geistig sehr gefährlich, dies als Deckmantel für ein verstecktes böses Motiv abzutun.  Daher ist es besonders bedauerlich, dass eine solche „Brunnenvergiftung" heute in bestimmten katholischen Kreisen zur Routine geworden ist.  Was könnte ein klarerer Verstoß gegen das Gebot Christi sein: „Richte nicht, damit du nicht gerichtet wirst"? 



Dies bringt uns zu einem dritten Grund, warum der ad hominem Trugschluss moralisch problematisch ist, nämlich dass er die Gegner entmenschlicht.  



Menschen sind von Natur aus rationale Sinneswesen.  Was uns von anderen Sinneswesen unterscheidet, ist, dass unsere Tätigkeit letztlich vom Intellekt und nicht nur von der Sinnlichkeit, der Begierde oder den Leidenschaften geleitet wird.  Selbst wenn wir etwas verfolgen, das diesen Vermögen gefällt, dann nur, weil unser Verstand es als solches erfasst.  Auch wenn wir irrational handeln, handeln wir nicht nicht-rational.  Der Verstand funktioniert nicht richtig, aber das ist etwas anderes als überhaupt nicht zu funktionieren. 



Das ist nicht nur die Lehre des Aristoteles.  Es ist die Lehre der katholischen Kirche, und der Grund, warum die Kirche Fideismus, Voluntarismus und andere Formen des Irrationalismus ablehnt.  In Libertas Praestantissimum schreibt Papst Leo XIII:



Wenn andere Lebewesen ihren Sinnen folgen, das Gute suchen und das Böse nur durch den Instinkt vermeiden, hat der Mensch den Verstand, der ihn in jedem einzelnen Akt seines Lebens leitet....



Der Wille kann erst handeln, wenn er durch das Wissen des Verstandes erleuchtet ist.  Mit anderen Worten, das vom Willen gewünschte Gut ist notwendigerweise gut, soweit es dem Verstand bekannt ist; und dies umso mehr, als bei allen freiwilligen Handlungen die Wahl auf ein Urteil über die Wahrheit des dargebotenen Gutes folgt, in dem erklärt wird, welchem Gut der Vorzug gegeben werden sollte.  Kein vernünftiger Mensch kann daran zweifeln, dass das Urteil ein Akt der Vernunft und nicht des Willens ist. (Abschnitte 3 und 5).



Ebenso zitiert Papst Benedikt XVI. in seiner berühmten Regensburger Rede zustimmend die Bemerkung des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologus, dass „wer jemanden zum Glauben führen will, die Fähigkeit braucht, gut zu reden und richtig zu denken", und unterstützt die Auffassung des Kaisers, dass (wie Benedikt Manuel paraphrasiert) „nicht nach der Vernunft zu handeln, der Natur Gottes widerspricht". 



Dementsprechend müssen wir im Umgang mit anderen Menschen immer an ihre Vernunft appellieren, soweit wir können, denn dies nicht zu tun, würde dem widersprechen, was für sie aufgrund ihrer Natur gut ist.  Natürlich ist das manchmal nicht möglich – zum Beispiel bei einer Person, die buchstäblich verrückt ist, oder bei einem Angreifer, der uns Körperverletzung zufügen will.  Aber es ist offensichtlich möglich mit einem Gegner, der sich selbst um ein rationales Engagement bemüht.



Wenn wir als Antwort auf ein solches Engagement auf eine trügerische ad hominem-Rhetorik zurückgreifen – wenn wir die Versuche eines Gegners, mit uns zu reden, ignorieren, wenn wir auf seine Argumente mit Spott und Verachtung reagieren, wenn wir versuchen, ihn niederzuschreien und ihn zum Schweigen zu bringen, anstatt ihn zu überreden - behandeln wir ihn als weniger als ein vernünftiges Sinneswesen, und daher als weniger menschlich.  Wir handeln gegen seine Natur, gegen seine Menschenwürde.  Das kann nicht anders als sündhaft sein.  Und je mehr es dazu beiträgt, Zwietracht in der Gesellschaft oder in der Kirche zu säen, desto schwerer ist es.



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