Im Zeitalter des Internet 2.0 hat prinzipiell jeder die
Möglichkeit, Artikel verschiedener Medien zu kommentieren. Gute Artikel stelle
Argumente für oder gegen eine These bereit, die von Lesern kommentiert werden
können. In sehr vielen Fällen werden solche Thesen oder Behauptungen nicht
argumentativ angegriffen, sondern mit sogenannten ad hominem „Argumenten“, d.h. dem Autor oder der Autorin werden z.B.
bestimmte Absichten unterstellt, er oder sie wird diffamiert („Nazi“, „Rechtsradikaler“,
„Kommunist“ etc.), oder es wird ihm oder ihr „Hass“ unterstellt und zwar ohne
jede Bezugnahme auf das Argument, dass der Gegner gegeben hat. Diese Unkultur
wurde jüngst in einem Blogbeitrag von Edward Feser thematisiert. Scholastiker
hat diesen Blogbeitrag übersetzt und er wird hier erstmals in deutsche
Übersetzung veröffentlicht.
Ein argumentum ad
hominem (oder ein „Argument über [an] den Menschen") ist der
Trugschluss, wenn man, anstatt sich mit dem Inhalt eines Arguments zu befassen,
die Person selbst angreift – seine Motive, seinen angeblichen Charakterfehler
oder ähnliches. Diese anrüchige Taktik
war in öffentlichen Kontroversen natürlich schon immer üblich, aber der
Rückgriff auf den Trugschluss scheint in jüngster Zeit den rationalen
öffentlichen Diskurs fast in den Hintergrund gedrängt zu haben. Ein großer Teil des Landes hat es sich zur
Aufgabe gemacht, seine politischen Gegner niemals auf der Ebene der Vernunft anzugreifen,
sondern sie nur zu verteufeln und niederzuschreien. Sogar in der Kirche haben die respektvollsten
und gelehrtesten Kritiker von Papst Franziskus in den letzten Jahren das ad hominem routinemäßig erfahren müssen,
Kritiker, die sich gegen doktrinär problematischen Aussagen bezüglich Scheidung
und Wiederverheiratung, Todesstrafe und andere Dinge eingesetzt haben.
Das ist nicht nur eine Schwäche derjenigen, die dazu neigen,
oder nur ein bedauerlicher ästhetischer Fehler in einem Gemeinwesen. Es ist sündhaft, manchmal sogar schwerwiegend.
Was ist ein ad hominem Trugschluss (und was nicht)
Um zu verstehen, warum
dies so ist, ist es wichtig, zuerst zu verstehen, was ein ad hominem Trugschluss ist – und was er nicht ist. Wie alle Logiker wissen, und wie ich [Edward
Feser] vor einigen Jahren in einem Beitrag ausführlich erklärt habe, ist es
kein ad hominem Trugschluss, jemanden
lediglich einen Namen zu geben oder auf seine Charakterfehler aufmerksam zu
machen, und dies ist auch nicht unbedingt moralisch bedenklich. Manchmal verdient eine Person eine böse
Beschreibung, und manchmal geht es genau um ihren moralischen Charakter. Es ist kein ad hominem Trugschluss, wenn man jemanden als unehrlich, schwach
oder inkompetent oder einfach als Drecksack beurteilt und das dann auch noch
sagt. Das können nur die Fakten sein,
und es ist nicht unbedingt falsch, die Aufmerksamkeit auf solche Fakten zu
lenken.
Ein ad hominem
Trugschluss wird begangen, wenn es nicht um eine Person oder ihren Charakter
geht, sondern um die Wahrheit oder Falschheit von etwas, das sie gesagt hat,
oder um die Beweiskraft eines Arguments, das sie vorgebracht hat, und man sich
anstatt sich damit zu befassen, die Person oder ihren Charakter angreift. Wenn ich Charles Manson einen mörderischen,
sadistischen und lügenden Drecksack nenne, habe ich keinen ad hominem Irrtum begangen, sondern nur die Fakten dargelegt. Wenn Charles Manson mir ein Argument gibt um
zu zeigen (zum Beispiel), dass Amoris
Laetitia schwer mit der Lehre Christi über die Ehe zu vereinbaren ist, oder
dass Einwanderungsgesetze durchgesetzt werden müssen, und als Antwort auf
dieses Argument nenne ich ihn nur einen mörderischen, sadistischen und lügenden
Drecksack, dann habe ich einen ad hominem
Trugschluss begangen.
Der ad hominem
Trugschluss kann verschiedene Formen annehmen.
Die bekannteste Form ist das missbräuchliche ad hominem, das einfach Beschimpfungen auf jemanden schleudert,
anstatt die Inhalte seiner Behauptung oder seines Arguments zu thematisieren. Auch hier ist es nicht die Beschimpfung per se, die trügerisch ist. Die Beschimpfung kann angebracht sein oder nicht,
und selbst wenn sie falsch ist, ist der Grund manchmal nicht, dass es sich um
einen ad hominem Trugschluss handelt,
sondern eher um einen Mangel an Nächstenliebe oder Diskretion oder was auch
immer. Was trügerisch ist, ist der
Ersatz mit Beschimpfungen, wenn rationale Analyse und Argumentation gefragt
sind. Wenn also jemand versucht, Ihnen
ein Argument für eine Behauptung zu liefern und Sie ihn als Antwort lediglich
mit einem Beinamen wie „bigott", „faschistisch", „Nazi", „rassistisch",
„homophob", „sexistisch", „Roter", „Neocon" usw. betiteln
und vorgeben, dass die angebliche Angemessenheit des Etiketts ausreicht, um zu
zeigen, dass sein Argument beiseitegelassen werden kann, dann sind Sie schuldig
an einem Lehrbuchbeispiel des missbräuchlichen ad hominem.
Manchmal versuchen Menschen, die sich der Natur des Irrtums
bewusst sind, dies zu rationalisieren, indem sie nach juristischen
Schlupflöchern suchen. Akademische
Philosophen und andere Intellektuelle tun dies manchmal, wenn sie Gegner in
nicht-akademischen Kontexten wie Facebook-Konversationen, Combox-Diskussionen,
Blog-Posts usw. antworten. Angenommen,
ich dämonisiere routinemäßig einen bestimmten Gegner oder eine Gruppe von
Gegnern, ohne jemals die Substanz ihrer Argumente anzusprechen, und Sie
beschuldigen mich, einen ad hominem
Irrtum zu begehen. Angenommen, ich
antworte, indem ich sage: „Aber ich habe nicht einmal versucht, die Argumente
anzusprechen, also bin ich des Irrtums nicht schuldig. Ich drücke nur meine geringe Meinung über
diese Leute aus.“ Das Problem dabei ist,
dass, selbst wenn ich nicht ausdrücklich behaupte, die Argumente anzusprechen,
mein Verhalten eine Implikation dahingehend hat, dass die Argumente irgendwie
schlecht sind. Ich „sende die
Botschaft", dass die Argumente der Menschen, die ich verteufele, nicht
gehört werden sollten, obwohl ich sie nur missbraucht habe, anstatt zu
erklären, was an diesen Argumenten falsch ist.
So bin ich immer noch schuldig an einem ad hominem Trugschluss, auch wenn ich ihn nicht in eklatanter Weise
begangen habe, indem ich ausdrücklich etwas in der Form gesagt habe wie: „Du
bist ein [Fanatiker, Nazi, Kommunist, etc.], deshalb ist dein Argument nicht
gut.“
Eine andere Form, die das
ad hominem annehmen kann, ist der tu
quoque Trugschluss, der darin besteht, die Behauptung oder die
Argumentation von jemandem abzulehnen, nur weil er sich selbst nicht in einer
Weise verhält, die mit dem Argument vereinbar ist. Eine große Anzahl von Online-Debatten ist
nichts anderes als dieses endlose, triste Hin und Her von
Heuchelei-Vorwürfen. Nun, jemanden der
Heuchelei zu beschuldigen, ist an sich kein Trugschluss. Was allerdings trügerisch ist, ist der
Vorwand, dass eine solche Anschuldigung ausreicht, um eine Behauptung oder ein
Argument der Person zu widerlegen. Wenn
Sie behaupten, dass p wahr ist, und
als Antwort darauf weise ich darauf hin, dass Sie sich aber in einer Weise
verhalten, die scheinbar nicht-p
impliziert, zeigt das nicht von selbst, dass Sie falsch liegen. Es kann sein, dass p wirklich wahr ist, und dass das Problem nicht darin besteht, dass
Sie dieses p glauben, sondern dass Sie
nicht praktizieren, was Sie predigen.
Oder es kann sein, dass es einen anderen Weg gibt, Ihr Verhalten so zu
interpretieren, dass es mit Ihrer Überzeugung vereinbar ist, dass p, und dass Sie in der Tat nicht der
Inkonsistenz schuldig sind. Ich müsste
Argumente vorbringen, um diese Alternativen auszuschließen, bevor ich behaupten
könnte, Sie widerlegt zu haben. Nur
einen Vorwurf der Heuchelei zu erheben, reicht nicht aus.
Eine dritte Form, die das ad hominem annehmen kann, und eine, die auch in der
Online-Diskussion deprimierend üblich ist, ist der Brunnenvergiftungs-Trugschluss. Dies ist dann der Fall, wenn Sie nicht die
Vorzüge der Behauptung oder des Arguments eines Gegners ansprechen, sondern die
Motivation, die jemand für das in Frage stehende Argument hat. Der Grund dafür ist, dass die Wahrheit oder
Falschheit einer Behauptung und die Beweiskraft eines Arguments an sich nichts
mit den Motiven der Person zu tun hat, die das Argument vorbringt. Eine Person, deren Motive schlecht sind, kann
dennoch ein gutes Argument liefern, und eine Person, deren Motive gut sind,
kann dennoch ein schlechtes Argument liefern.
Auch hier ist es wichtig, die Natur des Trugschlusses
richtig zu verstehen. Die Aufmerksamkeit
auf die Motive von jemandem zu lenken, ist an sich nicht trügerisch. Manchmal sollten wir über die Motive von
jemandem nachdenken. Zum Beispiel, wenn
unser einziger Grund zu glauben, dass Schmidt ein bestimmtes Verbrechen begangen
hat, ist, dass Johannes das gesagt hat, und wir wissen, dass Johannes schon
lange eine Vendetta gegen Schmidt hatte, dann haben wir guten Grund, an Johannes
Aussage zu zweifeln. In diesem Fall geht
es genau um Johannes Wahrhaftigkeit, so dass die Berücksichtigung seiner Motive
angemessen ist. Ein Trugschluss der Brunnenvergiftung
wird begangen, wenn es nicht um die Wahrhaftigkeit oder einen anderen Aspekt
seines Charakters geht, sondern um die Wahrheit oder Falschheit einer
Behauptung, die er aufstellt, oder um die Beweiskraft eines Arguments, das er
vorbringt, und anstatt das anzusprechen, ändern wir das Thema, indem wir ihn
beschuldigen, schlechte Motive zu haben.
Eine Version des heute weit verbreiteten Brunnenvergiftungstrugschlusses
ist die Taktik, die Argumente eines Gegners mit der Begründung abzulehnen, dass
sie angeblich durch „Hass" motiviert seien. Sie denken, Amoris Laetitia ist problematisch?
Sie müssen durch den Hass auf Papst Franziskus motiviert sein! Sie missbilligen homosexuelles
Verhalten? Sie müssen vom Hass auf
Homosexuelle motiviert sein! Sie verteidigen
die Grenzüberwachung? Sie müssen vom
Hass auf Immigranten motiviert sein! Und
so weiter. Ein Teil des Problems dabei
ist natürlich, dass Hass nicht unbedingt das Motiv in jedem dieser Fälle
ist. Aber der Grund dafür, dass die
Vergiftung des Brunnens trügerisch ist, besteht darin, dass, selbst wenn Hass
die Motivation einer Person wäre, dies völlig irrelevant ist hinsichtlich der
Frage, ob seine Behauptungen wahr und seine Argumente stichhaltig sind. Logisch betrachtet spielen Motive keine Rolle.
Warum der Trugschluss
sündhaft ist
Ein Grund, warum das ad
hominem Argument moralisch problematisch ist, ist, dass es eine Sünde gegen
die Wahrheit ist. Es kann sich
herausstellen, dass ein Gegner Recht hat, so dass Sie sich selbst und andere
(soweit sie von Ihren ad-hominem-Angriffen
beeinflussen lassen) für die Wahrheiten blind machen, die sonst vielleicht
gesehen worden wäre. Wenn die Tendenz, auf den ad hominem Trugschluss zurückzugreifen, zur Gewohnheit wird, ist
die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige, der ihn begeht, in einen Fehler
verfällt, natürlich deutlich erhöht.
Bedenken Sie auch daran, dass ad hominem Trugschlüsse oft begangen werden, wenn man wütend auf
einen Gegner ist. Wer also das Laster
des Zorns – eine gewohnheitsmäßige Tendenz zur Wut, die entweder in ihrer
Intensität oder in ihrem Gegenstand ungeordnet ist – zeigt, wird ziemlich oft
in den ad hominem Trugschluss fallen
und deshalb oft in einen Irrtum verfallen.
Kurz gesagt, eine Person, die ständig wütend ist und ständig
verunglimpfend zu ihren Gegnern ist, liegt wahrscheinlich häufig falsch, aber
gerade deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass sie häufig sieht, dass sie
falsch liegt. Spirituell und kognitiv
ist dies ein sehr gefährlicher Zustand.
Ein zweiter Grund, warum das ad hominem Argument moralisch problematisch ist, besteht darin,
dass es sich um eine sündhafte Mutmaßung handeln kann. Kein Mensch kann die Motive oder den
geistigen Zustand eines anderen Menschen unfehlbar kennen. Natürlich können wir uns oft plausible
Meinungen über solche Dinge bilden.
Nochmals, es ist nichts falsch daran zu beurteilen, dass Charles Manson
ein böser Mensch war, weil sein Verhalten ganz klar und konsequent in diese
Richtung weist. Wenn jedoch jemand
aufrichtig versucht, sich mit Ihnen auf der Ebene der nüchternen rationalen
Argumentation auseinanderzusetzen, ist es moralisch und geistig sehr
gefährlich, dies als Deckmantel für ein verstecktes böses Motiv abzutun. Daher ist es besonders bedauerlich, dass eine
solche „Brunnenvergiftung" heute in bestimmten katholischen Kreisen zur
Routine geworden ist. Was könnte ein
klarerer Verstoß gegen das Gebot Christi sein: „Richte nicht, damit du nicht
gerichtet wirst"?
Dies bringt uns zu einem dritten Grund, warum der ad hominem Trugschluss moralisch
problematisch ist, nämlich dass er die Gegner entmenschlicht.
Menschen sind von Natur aus rationale Sinneswesen. Was uns von anderen Sinneswesen unterscheidet,
ist, dass unsere Tätigkeit letztlich vom Intellekt und nicht nur von der Sinnlichkeit,
der Begierde oder den Leidenschaften geleitet wird. Selbst wenn wir etwas verfolgen, das diesen Vermögen
gefällt, dann nur, weil unser Verstand es als solches erfasst. Auch wenn wir irrational handeln, handeln wir
nicht nicht-rational. Der Verstand
funktioniert nicht richtig, aber das ist etwas anderes als überhaupt nicht zu
funktionieren.
Das ist nicht nur die Lehre des Aristoteles. Es ist die Lehre der katholischen Kirche, und
der Grund, warum die Kirche Fideismus, Voluntarismus und andere Formen des
Irrationalismus ablehnt. In Libertas Praestantissimum schreibt Papst
Leo XIII:
Wenn andere Lebewesen
ihren Sinnen folgen, das Gute suchen und das Böse nur durch den Instinkt
vermeiden, hat der Mensch den Verstand, der ihn in jedem einzelnen Akt seines
Lebens leitet....
Der Wille kann erst
handeln, wenn er durch das Wissen des Verstandes erleuchtet ist. Mit anderen Worten, das vom Willen gewünschte
Gut ist notwendigerweise gut, soweit es dem Verstand bekannt ist; und dies umso
mehr, als bei allen freiwilligen Handlungen die Wahl auf ein Urteil über die
Wahrheit des dargebotenen Gutes folgt, in dem erklärt wird, welchem Gut der Vorzug
gegeben werden sollte. Kein vernünftiger
Mensch kann daran zweifeln, dass das Urteil ein Akt der Vernunft und nicht des
Willens ist. (Abschnitte 3 und 5).
Ebenso zitiert Papst Benedikt XVI. in seiner berühmten
Regensburger Rede zustimmend die Bemerkung des byzantinischen Kaisers Manuel
II. Palaeologus, dass „wer jemanden zum Glauben führen will, die Fähigkeit braucht,
gut zu reden und richtig zu denken", und unterstützt die Auffassung des
Kaisers, dass (wie Benedikt Manuel paraphrasiert) „nicht nach der Vernunft zu
handeln, der Natur Gottes widerspricht".
Dementsprechend müssen wir im Umgang mit anderen Menschen
immer an ihre Vernunft appellieren, soweit wir können, denn dies nicht zu tun,
würde dem widersprechen, was für sie aufgrund ihrer Natur gut ist. Natürlich ist das manchmal nicht möglich –
zum Beispiel bei einer Person, die buchstäblich verrückt ist, oder bei einem
Angreifer, der uns Körperverletzung zufügen will. Aber es ist offensichtlich möglich mit einem
Gegner, der sich selbst um ein rationales Engagement bemüht.
Wenn wir als Antwort auf ein solches Engagement auf eine trügerische
ad hominem-Rhetorik zurückgreifen –
wenn wir die Versuche eines Gegners, mit uns zu reden, ignorieren, wenn wir auf
seine Argumente mit Spott und Verachtung reagieren, wenn wir versuchen, ihn
niederzuschreien und ihn zum Schweigen zu bringen, anstatt ihn zu überreden -
behandeln wir ihn als weniger als ein vernünftiges Sinneswesen, und daher als
weniger menschlich. Wir handeln gegen
seine Natur, gegen seine Menschenwürde.
Das kann nicht anders als sündhaft sein.
Und je mehr es dazu beiträgt, Zwietracht in der Gesellschaft oder in der
Kirche zu säen, desto schwerer ist es.
Quelle: edwardfeser.blogspot.com
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen