W.V.O. Quine hat weitere Argumente für seine Auffassung
geliefert, dass es keinerlei Modalitäten gibt, insbesondere dass es nichts gibt,
dass notwendig ist. Dies gilt selbst, nach Quine, für mathematische und
logische Wahrheiten. Seine Argumente gegen die Notwendigkeit sind aber immer
auch gegen die Theorie der Wesenheiten gerichtet, denn eine Entität hat ihre
Wesenheit notwendigerweise. Dass Sokrates ein Mensch ist, ist eine notwendige
Bestimmung Sokrates‘. Quine hingegen behauptet, dass irgendeine Proposition,
die wir für notwendig halten, nichts anderes bedeutet, als das wir eine solche
Proposition für wichtig erachten und dass dann, wenn wir sie als nicht notwendig
preisgeben, dies bedeutende Konsequenzen hätte. Doch im Prinzip könnten auch logische
Wahrheiten, wie der Satz vom Widerspruch als nicht-notwendig betrachtet werden.
Dass die Winkel eines Dreiecks zusammen 180° ausmachen
scheint eine notwendige Wahrheit zu sein, doch, so Quine, es wurde später in einer
nicht-euklidischen Geometrie gezeigt, dass dies nicht der Fall sein muss.
Allerdings ist dies kein starkes Argument, denn in einer
euklidischen Geometrie bleibt der Satz, dass die Winkelsumme eines Dreiecks
180° beträgt, dennoch eine notwendige Wahrheit. Man könnte höchstens behaupten,
dass der Begriff "Dreieck" durch die Entdeckung der nicht-euklidischen Geometrie
zweideutig geworden ist und daher verschiedene Bedeutungen haben kann, aber
innerhalb jedes der beiden Systeme ist die Definition eine notwendige
Bestimmung des Dreiecks.
In Einteilung der Dinge in natürliche Arten (und damit die
Einordnung der Dinge unter bestimmten gemeinsamen Wesenheit) wurde von Quine
als ein Ergebnis der evolutionären natürlichen Selektion bezeichnet. Damit
wären Arten und Gattungen (und damit Wesenheiten) nur subjektive Entitäten bzw.
von unserem Verstand abhängig. Eine solche Theorie stellt eine darwinistische Variante
des Konventionalismus dar.
Wenn dies zutrifft, wenn es zutrifft, dass wir keinen Grund
haben, irgendeine Wahrheit der Logik oder Mathematik als objektiv notwendig zu
betrachten, dann haben wir auch keinen Grund irgendeines unserer Argumente,
seien diese philosophischer oder naturwissenschaftlicher Art, als formal gültig
zu bezeichnen, d.h. Beweise als wahre Schlussfolgerungen zu verstehen. Und
damit müssten wir an allen wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen
zweifeln, selbstverständlich auch an denen von Quine und anderen radikalen
Empiristen.
Ein weiterer Anti-Essentialist, der auch in Deutschland
Bedeutung erlangt hat, war Karl Popper. Allerdings richten sich seine Argumente
gegen einen Essentialismus, den es zumindest in Bezug zum aristotelisch-scholastischen
Begriff der Wesenheit nicht gibt. Am ehesten könnte sich Poppers Angriff gegen Wesenheiten gegen die Phänomenologie richten, aber nicht gegen Aristoteles oder Thomas von Aquin. So schreibt Popper, dass Aristoteles
und Platon der Auffassung gewesen seien, dass wir ein bestimmtes Vermögen
besitzen, eine intellektuelle Intuition, durch die wir Wesenheiten
visualisieren bzw. vorstellen können und so deren Definition herausfinden
können. Popper sagt nun, dass ein solches Vermögen nach Auffassung Platons und
Aristoteles‘ „unfehlbar und unbezweifelbar“ sei. Allerdings ist dies eine
Karikatur Platons und Aristoteles und das Argument hat keinerlei Bedeutung in
Bezug zur scholastischen Auffassung der Wesenheiten.
Zunächst muss man unterscheiden zwischen der Frage, ob Dinge
Wesenheiten haben und der Frage, welche Wesenheit dieses bestimmte Ding hat.
Ich habe mit Bezugnahme auf verschiedene Autoren, insbesondere aber auf Edward
Fesers „Scholastic Metaphysics“ die zahlreichen Argumente für eine positive
Beantwortung der ersten Frage in diesem Blog dargestellt. Keines dieser
Argumente hat sich in irgendeiner Weise auf eine bestimmte „intellektuelle
Intuition“ bezogen, die erforderlich ist, um Wesenheiten zu erkennen. Man kann
durchaus dafür argumentieren – und ich habe dies wiederholt getan – dass die
Existenz von Wesenheiten unbestreitbar ist und selbst von denen, die sie bestreiten,
vorausgesetzt werden. Doch diese Behauptung beruht auf Argumenten, von denen
Sie viele in diesem Blog finden und nicht auf eine „intellektuelle Anschauung
oder Intuition“.
In Bezug zur zweiten Frage, was die Wesenheit dieses
bestimmten Dinges ist, sind die Scholastiker der Auffassung, dass die Frage
durch empirische Untersuchung beantwortet werden muss, dass also auch dazu
keine „Intuition“ erforderlich ist. Die Erkenntnis von Wesenheiten erfordert
insbesondere sinnliche Wahrnehmung und kann unter Umständen aufwändig und nicht
einfach sein. Hinzu kommt, dass wir keine einzige Wesenheit vollständig oder
auch nur annähernd vollständig erkennen können und dass unsere Erkenntnisse
bestimmter Wesenheiten sich auch verbessern, vertiefen oder erweitern. Unsere
Ur-ur-ur-ur-Großeltern wussten, was Wasser ist, d.h. sie kannten die Wesenheit
von Wasser. Durch die Entdeckung der atomaren Struktur des Wassers als H2O
wurde diese Erkenntnis allerdings erheblich erweitert und vertieft. Insofern
trägt wissenschaftliche Forschung ganz wesentlich zur Erkenntnis der
Wesenheiten bei, eine Behauptung, die von Popper übrigens vehement bestritten
wird.
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