Nach jahrhunderterlanger Abstinenz vom Essentialismus, also
der Theorie, dass es Wesenheiten gibt, die in der Realität selbst und nicht nur
im Bewusstsein existieren, gibt es seit einiger Zeit nun auch in der analytischen
Philosophie wieder ein neues Interesse an Wesenheiten. Allerdings unterscheidet
sich dieses neue Verständnis ganz erheblich vom klassischen Essentialismus der
aristotelisch-scholastischen Tradition. Die neuen Essentialisten stehen im
Zusammenhang mit den Weiterentwicklungen in der modernen Logik, insbesondere
der Modallogik, und gehen teilweise zurück auf Hilary Putnam und Saul Kripke.
Die Version des Essentialismus, die im Zusammenhang mit Saul
Kripke steht, wurde um seinen Begriff des sogenannten rigid designator gebildet, was man etwa mit starrer Designator oder
starrer Name bzw. Bezeichner übersetzen könnte. Kripke versteht darunter einen
solchen Namen oder Begriff, mit dem man sich in allen möglichen Welten auf den
gleichen Gegenstand bezieht. Dazu gehören echte Namen und natürliche Arten. So
sind Wasser und H2O natürliche Artbegriffe. Der Begriff H2O bezieht sich in
allen möglichen Welten auf Wasser. Solche Designatoren sind notwendigerweise
wahr, d.h. die Aussage, dass Wasser H2O ist, ist eine notwendige Wahrheit.
An dieser sehr verkürzten Darstellung erkennt man, dass der
Begriff der „möglichen Welten“ ganz zentral für diese Theorie ist. Die Theorie
ist nicht ganz einfach und es gibt zudem verschiedene Ansätze zur Theorie
möglicher Welten. Mit Hilfe dieses Begriffs werden Fragen beantwortet wie, was
möglich ist, was Wirklichkeit bedeutet oder was man unter Notwendigkeit verstehen
muss, also Fragen der Modalontologie. So ist etwas notwendig, wenn es in allen
möglichen Welten wahr ist und wirklich ist etwas, wenn es in mindestens einer
möglichen Welt wahr ist.
Im Unterschied zum klassischen Essentialismus werden im
neuen Essentialismus oftmals bestimmte Eigenschaftskomplexe mit einer Wesenheit
identifiziert und zwar mit genau den Eigenschaften, die ein Ding in jeder
möglichen Welt hat. Diese Eigenschaften, bzw. dieser Eigenschaftskomplex werden
weiterhin so beschrieben, dass sie die „innere Struktur“ (internal structure, Kripke)
einer Entität ausmachen. Putnam spricht hier auch von einer „verborgenen
Struktur“ (hidden structure). Diese Strukturen sind bestimmt durch die
Naturwissenschaften. So wird H2O als die interne Struktur und damit als „Wesen“
von Wasser beschrieben oder das „Wesen“ der Wärme (bzw. die verborgene
Struktur) wird als molekulare Bewegung verstanden.
Im Unterschied zum Wesensbegriff des Rationalismus und
Idealismus, der keine objektiven, unabhängig von unserem Bewusstsein
existierenden Wesenheiten anerkennt, verstehen die neuen Essentialisten diese
Wesenheiten durchaus objektiv und sie gehen davon aus, dass solche Wesenheiten
nur durch empirische Untersuchung der entsprechenden Gegenstände entdeckt werden
können. Mit diesen beiden Punkten stimmen die neuen Essentialisten mit dem
klassischen Essentialismus überein.
Allerdings gibt es schwerwiegende Unterschiede zum klassischen
Essentialismus. Erwähnt wurde bereits die falsche Auffassung, dass Wesenheiten
als Eigenschaftskomplexe verstanden werden. Für den klassischen Essentialismus
ist eine Eigenschaft fundamental verschieden von einer Wesenheit, denn
Eigenschaften sind Eigenschaften von Wesenheiten und folgen aus den
Wesenheiten.
Ein weiteres gravierendes Missverständnis des gegenwärtigen
Essentialismus besteht in der Bestimmung von Wesenheiten durch die Bezugnahme
auf mögliche Welten. Bei der Semantik möglicher Welten, die in der Logik ganz
brauchbar sein kann, handelt es sich nicht um „wirkliche Möglichkeiten“.
Mögliche Welten existieren nirgendwo außer im Kopf derjenigen, die daran
denken. Wesenheiten hingegen sind wirkliche, reale Entitäten. Es könnte
vielleicht sinnvoll sein zu fragen, wie sich eine bestimmte reale Wesenheit in
bestimmten möglichen Welten verhält, doch diese Frage setzt die Wesenheit
bereits voraus und erklärt nicht die Wesenheit selbst. Mögliche Welten sagen
uns nichts über die Wesenheiten von Entitäten.
Es gibt aber noch weitere Probleme mit diesem Ansatz.
Insbesondere sind diese Theorien zirkulär, denn sie erklären modale Begriffe
(möglich, notwendig, unmöglich) durch mögliche Welten, doch „möglich“ ist ja
selbst ein modaler Begriff. Daher setzen diese Theorien das voraus, was sie
vorgeben erklären zu wollen.
Und es gibt ein weiteres Problem mit der Erklärung von
Wesenheiten durch mögliche Welten. Es ist die Wesenheit von Wasser oder die
Wesenheit eines Baumes oder eines Menschen die bestimmt, was von diesen Dingen
in verschiedenen möglichen Welten wahr ist. Es ist nicht das, was in
verschiedenen möglichen Welten wahr ist, dass die Wesenheit dieser Dinge
bestimmt. Hier werden die Konsequenzen,
die Folgen der Wesenheit eines
Dinges, - das was aus der Wesenheit eines Dinges folgt – mit dem verwechselt,
was eine Wesenheit konstituiert.
Zudem hat Kit Fine
argumentiert, dass das Haben einer Wesenheit bzw. bestimmter notwendiger Eigenschaften
in jeder möglichen Welt eine Bedingung für die Existenz ein
wesentlichen Eigenschaft sein könnte, aber es ist keine zureichende Bedingung.
Das Beispiel Kit Fines zur Erläuterung: Wenn Sokrates existiert, dann gehört er
notwendigerweise zu einer einelementigen Menge. Es ist aber
nicht plausibel, dass dieses zu einer Menge gehören das Wesen oder die Natur
von Sokrates ist. Allerdings lässt sich dieses Argument widerlegen und ich
halte es nicht für ein starkes Argument gegen den modalen Essentialismus, wie
man ihn auch nennen könnte.
Wie dem auch sei, die neuen Essentialisten stehen auf
schwachen Beinen und ihre Theorie ist, wie gezeigt, falsch. Hinzu kommt, dass
die Wesenheiten der neuen Essentialisten auf eine „interne“ oder „verborgene“
Mikrostruktur reduziert werden, oder anders gesagt, dass die Wesenheit mit
bestimmten naturwissenschaftlichen Eigenschaften identifiziert werden. Für die
Bestimmung einer Wesenheit sind sicher die Erkenntnisse der Naturwissenschaften
und damit der atomaren oder subatomaren Struktur hilfreich, aber ebenso wichtig
ist die „Makrostruktur“; allein durch die genetische Struktur eines Menschen
lässt sich sicher das Wesen des Menschen nicht bestimmen.
Weiteres zu diesem Thema in: Edward Feser: Scholastic Metaphysics, S. 237ff.
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