Der erste der sogenannten „fünf Wege“, - der fünf
Gottesbeweise Thomas von Aquins – geht von einer Tatsache in unserer Erfahrung
aus, die von niemandem ernsthaft bestritten wird. Es gibt Veränderung, Bewegung
in der Welt. Es ist nicht nötig anzunehmen, dass sich alles verändert. Es reicht,
wenn wir davon überzeugt sind, dass es mindestens eine Entität gibt, die sich
verändert.
Nun bedeutet „etwas verändert sich“, dass etwas von einem
Zustand in einen anderen Zustand übergeht. Dieser Übergang besteht in der
Aktualisierung einer Potenz. Etwas, dass potenziell ist, das noch nicht
wirklich ist, wird verwirklicht, aktualisiert. Der Apfel hat die Möglichkeit
zerschnitten zu werden und anschließend verzehrt zu werden. Wenn er
zerschnitten wird, dann wird diese Möglichkeit des Apfels aktualisiert.
Jedes Ereignis setzt eine Substanz voraus, an der oder durch
die etwas geschieht. Es gibt kein Zerschneiden für sich, sondern jemanden oder etwas, dass
zerschneidet und zerschnitten wird. Es ist der Apfel, der zerschnitten wird und
es ist Jemand, der den Apfel zerschneidet. Es sind immer Substanzen, die tätig
sind oder etwas erleiden, an denen und mit denen etwas sich ereignet.
Die Existenz einer natürlichen Substanz wie eines Apfels
oder eines Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt setzt gleichzeitig die
Aktualisierung einer Potenz voraus. Nun kann aber keine Potenz sich selbst oder
eine andere Potenz aktualisieren. Die bloße Möglichkeit des Apfels zerschnitten
zu werden, kann sich nicht selbst zerschneiden oder den Apfel zerschneiden. Es
muss etwas oder jemanden geben, der den Apfel zerschneidet und dieses Etwas
oder dieser Jemand muss wirklich, aktual sein. Nur etwas, das bereits aktual
ist, kann etwas Potenzielles aktualisieren.
Hinsichtlich einer aktualen Substanz bedeutet dies, dass die
Existenz derselben, also eines Apfels oder einer Person, dass die Existenz dieser
aktualen Substanz, entweder die gleichzeitige Aktualisierung durch eine weitere aktuale
Substanz voraussetzt, oder dass diese Substanz reine Aktualität ist. Der Apfel
oder die Person existieren nicht aus sich selbst, sie haben sich weder selbst
hervorgebracht, noch erhalten sie sich selbständig in der Existenz. Also muss
es eine andere aktuale Substanz geben, die den Apfel hervorgebracht hat und ihn
in der Existenz erhält. Diese andere Substanz muss aber ihrerseits entweder
hervorgebracht worden sein, d.h. sie setzt die Aktualisierung einer Potenz
voraus, oder sie ist reine Aktualität.
Für den Fall, dass der Apfel durch eine andere Substanz
hervorgebracht wurde, die ihrerseits von einer anderen Substanz aktualisiert
wurde, ergibt sich ein Regress von gleichzeitig existierenden „Aktualisierern“
und dieser Regress ist entweder unendlich oder er endet in einem rein aktualen
Aktualisierer.
Ein Regress gleichzeitiger Aktualisierer würde aber zu einer
per se geordneten Kausalreihe führen.
Die klassische Kausaltheorie unterscheidet zwischen zwei verschiedenen Kausalreihen:
einer causa per accidens und einer causa per se. Eine akzidentelle Kausalreihe kann grundsätzlich unendlich sein, eine
Kausalreihe per se endet in einer
letzten Ursache.
Entweder ist die Substanz die eine andere Substanz
aktualisiert selbst rein aktual, oder es gibt einen rein aktualen Aktualisierer,
der den Regress gleichzeitiger Aktualisierer beendet. Damit kommen wir nun zu
der zu Beginn erwähnten Veränderung zurück: Das Bestehen einer Veränderung,
also z.B. das Zerschneiden eines Apfels oder die Bewegung einer Person von A
nach B zu einem bestimmten Zeitpunkt, setzt die Existenz eines rein aktualen
Aktualisierers voraus und „dies nennen alle Gott“, wie Thomas seine fünf Wege
zumeist beschließt.
Kurz und knapp zusammengefasst: Jede Veränderung, d.i. die
Aktualisierung einer Potenz, setzt etwas voraus, dass selbst aktual ist. Dessen
Aktualität ist nun selbst wieder aktualisiert oder es ist reine Aktualität.
Wenn die Aktualität selbst wieder aktualisiert ist, dann muss diese Aktualität
ihrerseits wieder aktualisiert worden sein und zwar durch eine aktuale
Entität, die selbst aktualisiert wurde oder durch eine reine Aktualität. Da nun
aber die Aktualität jeder Substanz in der Kausalreihe gleichzeitig mit jeder anderen aktualen Substanz bestehen muss,
kann diese Kausalreihe keine akzidentelle sein. Es muss eine Kausalreihe per se
sein und eine solche endet mit einem rein aktualen Aktualisierer. Dieser ist
der unbewegte Beweger, wie er schon bei Aristoteles genannt wird.
Natürlich lässt sich in einem Blogbeitrag kein Gottesbeweis
in seiner ganzen Breite darstellen, geschweige die philosophischen
Hintergründe, wie die Akt-Potenz-Theorie und die klassische Kausaltheorie
erläutern. Aber zu all diesen Punkten gibt es bereits Beiträge im Blog, die die
Einwände aufgreifen und entkräften.
Lieber Scholastiker,
AntwortenLöschendanke für die neuerlichen Beiträge zu den Gottesbeweisen! Zu dem obigen Artikel habe ich eine Frage und eine Anmerkung:
1. Wie kann man begründen, dass auch die Existenz eines Dings eine Veränderung im aristotelischen Sinne, d.h. die Aktualisierung eines Potentials ist?
2. Ein häufiger Einwand der (neuen?) Atheisten gegen das obige Argument ist ja, dass es überhaupt keinen Grund dafür gäbe, weshalb man annehmen sollte, dass der rein aktuale Aktualisierer auch Gott, d.h. personal, allwissend, allgütig etc. ist. Das ist zwar falsch, aber um diesem populären Einwand vorzubeugen, würde ich bei der Vorstellung der fünf Wege immer darauf hinweisen, dass diese nicht einfach mit dem Satz "und diese nennen alle Gott" enden, sondern dass Thomas dieses Ergebnis anschließend auf mehreren hundert Seiten ausführlich begründet und verteidigt.
Schließlich möchte ich auf folgende kurze Zusammenfassung des ersten Weges aufmerksam machen, die ich erst vor einigen Monaten entdeckt habe und die meiner Meinung nach ganz hervorragend gelungen ist: https://www.reddit.com/r/cosmologicalargument/comments/3c3oys/aquinas_first_way_index/ (Der Text ist in 7 kleine Beiträge aufgeteilt, die dort verlinkt sind.) Autor ist der Redditor "u/hammiesink", der das kleine Forum https://www.reddit.com/r/cosmologicalargument/ moderiert.
Um meine Frage 1 selbst zu beantworten: Eine Erklärung dafür findet man in "Principles of Natural Theology" von George Hayward Joyce, S.J.:
AntwortenLöschenhttps://www3.nd.edu/~maritain/jmc/etext/pnt03.htm (Ab "The other point which calls for notice is this: that whatever demands a cause in fieri demands also a cause in esse.")