Um eine realistische Ethik begründen zu können, ist vor
allem eins nötig: ein objektiver Begriff des Guten. Was bedeutet objektiv?
Unter „objektiv“ in diesem Zusammenhang verstehe ich ein Begriff des Guten, der
nicht abhängig ist von irgendeiner Festlegung, sei diese nun individuell oder
sozial, d.h. über eine Mehrheit und sei diese Mehrheit auch 100%. Es kann eine
hundertprozentige Übereinstimmung in einer Sache geben, ohne dass diese Sache
deshalb auch objektiv den Tatsachen entspricht. Objektiv meint also unabhängig
von unseren persönlichen Vorlieben. Ob jemand gerne Grünkohl isst oder nicht,
ist ein subjektives Geschmacksurteil und nicht objektiv. Es gibt viele Dinge in
unserem Leben, die nicht objektiv feststellbar sind. Ob Grünkohl gut schmeckt
oder nicht gehört zu diesen subjektiven Angelegenheiten. Die meisten Menschen
aber auch die meisten Moralphilosophen werden auch der Auffassung sein, dass
moralische Urteile letztlich subjektiv sind, wobei diese Subjektivität nicht
individualistisch verstanden werden muss. Unsere Frage aber lautet, ob das, was
wir als „gut“ bezeichnen, objektiv, also unabhängig von uns, bestimmt werden
kann.
Meine These, die ich in diesem Beitrag verteidigen möchte,
lautet:
Es gibt einen
objektiven Begriff des Guten
Zum Beweis dieser These zunächst einige Beispiele: Nehmen
wir verschiedene Kreise. Ein Kreis wird mit einem Stück Kreide schnell an die
Tafel gezeichnet. Ein anderer Kreis wird freihändig, aber sorgsam, mit dem
Bleistift auf Papier gezeichnet, einen weiteren Kreis zeichnen wir mit einer
Schablone auf ein Blatt Papier und einen vierten Kreis konstruieren wir mit
einem Grafikprogramm am Computer. Wenn ich Sie nun frage, werden Sie vermutlich
übereinstimmend zu der Überzeugung kommen, dass der mit dem Grafikprogramm am
Computer konstruierte Kreis der beste Kreis ist. Es ist ein wirklich guter Kreis.
Worauf beruht diese Überzeugung? Ist sie nur subjektiv, von Ihrem Geschmack
abhängig, durch Gewohnheit angelernt etc. Nein! Wir halten diesen vierten Kreis
für gut, weil er objektiv gut ist. Doch worauf beruht es, dass dieser Kreis
unabhängig von unserer Überzeugung oder Meinung gut ist? Es beruht darauf, dass
dieser vierte, mit dem Computer konstruierte Kreis dem am meisten oder am
besten entspricht, was ein objektiver Kreis ist. Ein objektiver oder sozusagen „vollkommener“
Kreis ist ein solcher, wie er durch die Definition des Kreises bestimmt wird,
nämlich als eine geometrische Figur, deren Punkte einer Linie alle genau gleich
von einem Mittelpunkt entfernt sind. Der mit dem Computer konstruierte Kreis
kommt dieser Definition am nächsten. Wir bezeichnen einen Kreis nämlich als
gut, der dem Wesen, der Definition des Kreises am nächsten kommt.
Dies gilt nicht nur vom Kreis, sondern auch von anderen
Dingen. Ein guter Baum ist ein solcher Baum, der tief in der Erde wurzelt und
seine Nährstoffe auf größeren Tiefen auch dann erreicht, wenn es lange Zeit
trocken ist; der kräftige und starke Äste ausgebildet und der gerade nach oben
gewachsen ist und der im Frühjahr zahlreiche Blätter bildet und im Sommer oder
Herbst viele Früchte trägt, durch die er sich vermehrt. Ein solcher Baum
entspricht dem, was ein Baum objektiv ist, am meisten entspricht, er entspricht
dem Wesen des Baumes.
Ich könnte noch zahlreiche weitere Beispiele wählen – ein guter
Löwe, ein gutes Fahrrad oder ein gutes Auto – bei denen, wenn wir sie genau
bedenken, immer deutlich werden wird, dass wir die Qualität „gut“ diesen Dingen
genau dann zusprechen, wenn sie dem Wesen der jeweiligen Sache entsprechen. Dinge
können dem Wesen einer Sache weniger gut entsprechen. Ein Baum kann sehr
oberflächlich wurzeln, schwache Äste bilden, die einem Sturm kaum standhalten
etc. Einen solchen Baum wird ein Forstwirt als schlechten Baum bezeichnen und
über kurz oder lang aus dem Bestand aussortieren. Schlecht ist dieser Baum,
weil er dem, was ein Baum ist, weniger gut entspricht. Beim Fahrrad oder dem
Auto spielen natürlich auch subjektive Kriterien eine Rolle, denn dabei handelt
es sich um Artefakte, die in ihrer Existenz vom Menschen abhängig sind. Aber
auch hier gibt es allgemeine Bestimmungen, die jedes Exemplar dieser Artefakte
erfüllen muss, um objektiv gut zu sein.
Aus diesen Überlegungen
ergibt sich, dass es offenbar einen objektiven Begriff des Guten gibt. Dieser
objektive Begriff des Guten, dies sollte aus dem Beispielen deutlich werden,
ergibt sich aus einem objektiven, von uns unabhängigen Etwas. Dieses Etwas ist
das Wesen des Dinges, von dem die Rede ist. Ein guter Kreis ist ein solcher,
der dem Wesen des Kreises entspricht. Ein guter Löwe ist ein solcher, der dem
Wesen des Löwen entspricht. Natürlich entspricht jeder Löwe dem Wesen des
Löwen, sonst wäre es natürlich kein Löwe. Das Gleiche gilt von Kreisen oder
Bäumen oder was auch immer. Und insofern etwas seinem Wesen entspricht, können
wir es auch als gut bezeichnen. Aber bestimmte Vorkommnisse einer Art
entsprechen ihrer Art besser als andere und von diesen sagen wir im
allgemeinen, dass sie gut sind. Das Beispiel mit dem Löwen stammt übrigens von
der Moralphilosophin Philippa Foot, die ebenfalls dafür argumentiert hat, dass
es einen objektiven Begriff des Guten gibt, der sich aus der Natur, dem Wesen
einer Sache ergibt. Sie meint, dass eine Löwin, die für ihre Jungen ausreichend
Nahrung besorgt, indem sie erfolgreich jagt, die ihre Jungen vor Angreifern beschützt
und ihnen das Jagen beibringt, eine gute Löwin ist. Eine Löwin, die dies nicht
tut, die ihre Jungen vernachlässigt und zuerst für sich selbst sorgt, die wenig
erfolgreich bei der Jagd ist usw., ist eine schlechte Löwin. Diese Beurteilungen
sind objektiv, sie ergeben sich aus der Natur des Löwen. Es gehört zur Natur
einer Löwin, möglichst viele Jungen durchzubringen, und deshalb ist eine gute
Löwin eine solche, die dabei erfolgreich ist.
In diesem Beitrag wollte
ich die Frage beantworten, ob es einen objektiven Begriff des Guten gibt. Ich
habe die These verteidigt, dass es in der Tat einen solchen objektiven Begriff
des Guten gibt. Das Argument, mit dem ich diese These verteidigt habe, besteht
in dem Hinweis auf das Wesen, die Natur einer Sache. Etwas ist objektiv gut
genau dann, wenn es dem Wesen der Sache entspricht. Der Begriff des Guten wird
somit definiert durch „entspricht dem Wesen (der Natur) von X“.
In einem früherenBlogbeitrag habe ich auf eine sprachliche Analyse des Wortes „gut“ des Logikers Peter Geach
hingewiesen, der gezeigt hat, dass „gut“ kein normales Attribut ist, wie blau
oder „hat ein Fell“ oder andere prädikative Adjektive. Vielmehr hat Peter Geach
herausgestellt, dass „gut“ ein attributives Adjektiv ist, d.h., die Bedeutung von gut lässt sich nur verstehen, wenn man das Wesen, die
Natur oder den Zweck einer Entität kennt, von der man sagt, dass sie gut ist.
In genannten Beitrag habe ich das weiter erläutert und muss es deshalb hier
nicht wiederholen.
Mit all
dem habe ich freilich noch nicht bewiesen, dass es auch ein moralisch
objektives Gut gibt. Man könnte der Meinung sein, dass selbst, wenn man mit
dem, was ich gerade über den objektiven Begriff des Guten gesagt habe,
übereinstimmt, dies nicht bedeutet, dass das moralisch Gute ebenfalls objektiv
ist. Um die These zu verteidigen, dass es ein moralisch objektives Gutes gibt,
bedarf es eines weiteren Arguments, Doch dazu später mehr.
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