Wenn wir über moralische Fragen streiten, dann setzt dies
eigentlich voraus, dass es eine objektive Wahrheit auch in moralischen Fragen
gibt. Eigentlich. Doch seit Jahrhunderten wird von Seiten der meisten
Philosophen gerade das bestritten. Wenn sie nicht wie David Hume behaupten,
dass es bei moralischen Diskussionen nur darum geht, die persönlichen Vorlieben
gegenüber anderen durchzusetzen, dann sind sie doch fest überzeugt, dass
moralische Fragen kein Fundament in der uns umgebenden Wirklichkeit haben, sondern
bestenfalls in der Übereinstimmung einer Mehrheit von Menschen. Im vorherigen Blogbeitrag habe ich dafür argumentiert, dass „gut“ eine objektive, von uns
unabhängige Qualität ist. Allerdings habe ich noch keine Argumente dafür
angeführt, dass es auch ein objektiv moralisches Gut gibt, aus dem sich
moralische Rechte und Pflichten ergeben.
Unter „objektiv“ verstehe ich, um dies zuvor noch einmal zu
wiederholen, solche Rechte und Pflichten, die aus der dritten Person Perspektive
bestehen, die also unabhängig von persönlichen Präferenzen und Wünschen
bestehen.
Von woher ergeben sich solche objektiven Rechte und
Pflichten? Sie müssen ein ontologisches Fundament haben, d.h. sie müssen in dem
gründen, was der Mensch als Mensch ist,
sie müssen in der Natur oder dem Wesen des Menschen ihren Grund haben. Nehmen
wir ein schlichtes Beispiel: Wie bei den allermeisten Tieren gehört es zum
Menschen, dass er etwas trinke muss. Er hat Durst. Daraus folgt, dass er dieses
Bedürfnis erfüllen muss, um am Leben zu bleiben, um sich zu erhalten. Wenn wir
dies verallgemeinern, dann können wir sagen, dass jede Handlung und auch die
freien menschlichen Handlungen, danach streben, etwas zu verbessern. Wer Durst
hat, der sucht sich etwas, dass er trinken kann um so den Zustand des Durstes
zumindest vorübergehend zu verbessern, den Durst zu stillen. Dieses Beispiel
ist allerdings noch nichts spezifisch Menschliches. Auch Tiere trinken und
verbessern dadurch ihren Zustand. Aus folgt aus der animalischen Natur der
Lebewesen, dass sie trinken müssen. Dieses Bedürfnis hängt also mit der Natur
der Lebewesen zusammen. Die Natur ist auch beim Menschen das ontologische
Fundament für seine Rechte und Pflichten. Der Mensch hat als Sinneswesen das
Recht, zu trinken. Nun, das ist nicht besonderes und unterscheidet uns auch
nicht von den Tieren.
Das, was objektiv moralisch gut ist, ergibt sich aus der Natur
des Menschen, aus seinem Wesen als Mensch. Und was ist das Wesen, die Natur des
Menschen? Mit den Tieren hat der Mensch gemeinsam, dass er ein Sinneswesen ist.
Dies ist der Gattungsbegriff. Doch er unterscheidet sich fundamental von den
Tieren dadurch, dass er rational ist, dass er zumindest dem Vermögen nach
Vernunft besitzt. Deshalb wird der Mensch schon seit der Antike als rationales
Sinneswesen definiert, als vernunftbegabtes Sinneswesen. Das was moralisch gut
für den Menschen ist, ergibt sich deshalb und in erster Linie aus seiner rationalen
Natur. Auch wenn sehr viele Bedürfnisse des Menschen den Bedürfnissen der Tiere
sehr ähnlich sind, so sind sie doch dadurch von den tierischen Bedürfnissen
wesentlich verschieden, weil sie durch die Rationalität bestimmt werden. Der
Mensch trinkt nicht einfach nur, um den Durst zu löschen, sondern mit dem
Trinken sind kulturelle und soziale Bedürfnisse verbunden. Wir trinken nicht
einfach aus einer Pfütze oder einem Fluss, sondern aus einem Glas oder einer
Tasse. Wir brauen Bier und keltern Wein, um diesen zu genießen usw. Alles was der Mensch tut, ist durch die Rationalität
überformt.
Durch unsere rational geleiteten Handlungen versuchen wir,
unser Leben und letztlich unsere Natur zu verbessern oder zu vervollkommnen.
Wir haben nicht nur einfach unser Wesen, sondern wir müssen diesen Wesen, diese
unsere Natur ständig vervollkommnen, sie ist nicht nur gegeben, sondern
aufgegeben. Und daraus ergibt sich nun das, was für den Menschen gut ist. Objektiv
gut für den Menschen ist, ganz einfach gesagt das, was ihn „menschlicher“
macht, was zur Entfaltung, zur Vervollkommnung seiner menschlichen Natur
beiträgt. Und so ist umgekehrt das schlecht oder böse, was der menschlichen
Natur schadet, was diese nicht zur Entfaltung bringt, sondern verkümmern lässt.
Das Maß für das, was für den Menschen objektiv gut ist, ist also die
menschliche Natur. Und diese Natur haben wir uns nicht selbst gegeben, wir
haben uns nicht als Menschen erschaffen und wir haben auch nicht bestimmt, was
der Mensch ist. Nietzsche hat nicht recht, wenn er meint – was heute viele
postmoderne und konstruktivistische Philosophen meinen -, dass der Mensch das „nicht
festgestellte Tier“ ist. Das was der Mensch ist, steht fest und dies ist das
Maß für das, was für den Menschen gut ist und es ist das Maß für die Ziele und
Zwecke, die der Mensch verfolgen sollte, um seine Natur zu erfüllen, um
menschlich zu werden oder anders gesagt, seine Natur, sich selbst zu
verwirklichen im richtig verstandenen Sinne von „Selbstverwirklichung“.
Aus der menschlichen Natur als rationalem Sinneswesen
ergeben sich objektive Ziele und Zwecke. Tiere und Pflanzen haben ebenfalls
objektive Ziele und Zwecke, die sie in ihren Tätigkeiten verwirklichen. Doch
sie können nicht anders, als das zu tun, was ihnen von ihrer Natur her
vorgegeben wird. Sie verfolgen ihre Ziele und Zwecke aus einem inneren Antrieb
und erreichen ihre Ziele in den meisten Fällen. Beim Menschen ist dies anders
und daran liegt es letztlich, dass der Mensch moralisch oder unmoralisch
handeln kann. Der Mensch muss, oder besser, kann seine Ziele frei verfolgen.
Doch dabei kann es sich auch irren. Er kann etwas für gut halten, was in
Wirklichkeit nicht gut ist und seiner Natur schadet. Bei Kindern, deren
Vernunft noch nicht voll ausgebildet ist, kennen wir dies. Wenn die Eltern dem
Kind nicht sagen, dass nach einem Eis Schluss ist, würde es soviel Eis essen,
bis ihm übel wird und es Kopfschmerzen bekommt. Einem jungen Tier würde so
etwas nicht passieren. Doch nicht nur bei Kindern gibt es eine mangelnde
Erkenntnis der Folgen ihres Tuns, sondern auch bei Erwachsenen. Unvollständige
Erkenntnis kann dazu führen, dass wir etwas für gut halten und danach streben,
obwohl es objektiv schlecht und böse ist. Es gibt aber auch verschiedene andere
Gründe, warum wir Böses tun. Ein häufiger Grund ist die Willensschwäche. Wir
wissen zwar, dass diese bestimmte Handlung moralisch böse ist, doch wir tun es
trotzdem, weil die Versuchung so stark ist, dass wir nicht widerstehen können.
So viel zunächst zur Antwort auf die Frage, ob es auch ein
objektiv moralisches Gut gibt. Das Argument sieht kurz gefasst folgendermaßen
aus:
1.
Es gibt eine objektive menschliche Natur
2.
Aus der Natur einer Entität folgen objektive
Ziele und Zwecke
3.
Auch aus der menschlichen Natur (rationales
Sinneswesen) folgen objektive Ziele und Zwecke
4.
Die Ziele und Zwecke, die aus der Natur folgen,
sind das objektiv Gute
"Naturgemäß" heißt beim Menschen "vernunftgemäß". Das moralisch richtige Handeln ist vernunftgemäßes Handeln. Dann aber kommt es darauf an, genau zu bestimmen, was "vernunftgemäß" bedeutet. Ich schlage vor, dass es darum geht, dass wir den Werten, für die wir uns entscheiden, auch als solchen und in einer uneingeschränkten Sichtweise, also auf die Dauer und im Ganzen, gerecht werden und nicht kontraproduktiv untergraben bzw. andere Werte unnötig beeinträchtigen. Unmoralisches Handeln hat eine selbstwidersprüchliche Struktur, nämlich die Struktur von Raubbau. Entscheidend ist dabei aber die uneingeschränkte oder universale Betrachtungsweise.
AntwortenLöschen