Während die synchrone Identität einer Entität durch die vorbezeichnete Materie bestimmt wird, handelt es sich
bei diachronen Identität um die Beständigkeit einer Entität im Wandel der Zeit.
Synchrone Identität bedeutet, dass eine Entität genau diese Entität und keine
andere zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Eine Entität verändert sich aber im
Verlauf der Zeit. Alle Körperzellen eines Menschen werden im Verlauf von etwas
sieben Jahren durch neue Zellen ersetzt. Trotzdem gehen wir davon aus, dass wir
es mit derselben Person zu tun haben, die wir vor sieben Jahren getroffen
haben. Worin diese Art der Identität besteht, ist die Frage nach der diachronen
Identität.
Die Antwort auf diese Frage ist weit komplizierter und
umfangreicher, als die Frage nach der synchronen Identität. Zudem gehen in
dieser Frage die Meinungen wohl noch mehr auseinander als bei der synchronen
Identität. In der Gegenwartsphilosophie ist eine Antwort besonders beliebt.
Diese Theorie wird auch als Theorie
zeitlicher Teile oder als Vierdimensionalismus
bezeichnet. Diese Theorie ist durch eine bestimmte Interpretation der
speziellen Relativitätstheorie inspiriert, nach der ein persistierendes Objekt
als ein vierdimensionaler Raumzeitwurm vorgestellt wird. So wie ein materielles
Objekt räumliche Teile hat, soll es nach dieser Theorie auch zeitliche Teile
haben. Jedes Stadium eines Objekts ist demnach ein zeitlicher Teil des Objekts
und das Objekt selbst ist entsprechend eine Zusammensetzung zeitlicher Teile.
Natürlich ist dies eine bestimmte Interpretation der
speziellen Relativitätstheorie, die nicht zwingend ist und man kann die
Raumzeit auch ohne zeitliche Teile interpretieren. Zudem hat Oderberg gezeigt,
dass Physiker, die den Begriff des Raumzeitwurms verwenden, den Begriff des
persistierenden materiellen Objekts immer schon voraussetzen und dass sie daher
keine wirkliche Analyse der diachronen Identität des Objekts geben.
Allerdings sind Theoretiker, die von zeitlichen Teilen
ausgehen, davon überzeugt, dass ihre Interpretation die beste Lösung für die
Standardprobleme der Identität ist. Edward Feser bringt in seinem Buch „ScholasticMetaphysics“
auf S. 202, das ich hier zusammenfassend wiedergebe, folgendes Beispiel: Angenommen
Sie wogen am 1. Januar 2014 95kg und beginnen dann eine Diät, so dass Sie am 1.
Januar 2015 nur noch 85kg wiegen. Nach dem Leibniz-Gesetz kann dieselbe Entität
nicht zugleich 95kg und 85kg wiegen. Wie können Sie also dieselbe Person sein,
die 2014 95kg und 2015 85kg wiegt? Der Vierdimensionalist beantwortet diese
Frage dadurch, dass es sich um zwei verschiedene zeitliche Teile eines
Raumzeitwurms – das sind Sie selbst – handelt. Der eine zeitliche Teil, der vom
1. Januar 2014, wiegt 95kg, der andere zeitliche Teil vom 1. Januar 2015 wiegt
85kg. Damit verletzt man nicht das Leibniz-Gesetz und das Problem ist (scheinbar) gelöst.
Ein anderes bekanntes Beispiel für das Problem der
diachronen Identität ist das „Schiff des Theseus“. Stellen Sie sich vor, dass
sämtliche Teile eines Schiffes im Verlaufe der Zeit durch neue Teile ersetzt
werden. Nach einer gewissen Zeit sind alle Teile ausgetauscht und das Schiff
hat keinen Teil mehr, den es zu Beginn hatte. Handelt es sich dann noch um
dasselbe Schiff? Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass man sich
vorstellen kann, dass die alten Teile nicht weggeworfen werden, sondern das
daraus das Original wieder zusammengebaut wird, so dass man jetzt zwei Schiffe
hat, die sich beide sehr ähneln. Was ist nun das „wirkliche“ Schiff? Das erste,
bei dem alle Teile ersetzt wurden oder das zweite, das aus den alten Teilen neu
zusammengebaut wurde? Oder vielleicht weder das eine, noch das andere?
Auch dieses Rätzel wird von Vierdimensionalisten mit Hilfe
der zeitlichen Teile und einem zusätzlichen Prinzip, dem sogenannten „principle
of unrestricted mereological composition“ zu lösen versucht. Das Prinzip stammt
aus der Mathematik und besagt, dass jede Zusammensetzung von Objekten (auch
völlig exzentrische Dinge wie eine Kollektion aus einem linken Schuh, ein
Schinkensandwich und dem Mond) als ein Objekt gilt, das die anderen Objekte als
Teile hat. So kann man die Teile des Schiffes des Theseus als eine Kollektion
zeitlicher Teile betrachten, die einen eigenen Raumzeitwurm bilden. Manche
zeitlichen Teile des originalen Schiffes fallen zusammen mit einigen zeitlichen
Teilen der originalen Teile usw. Ich möchte hier die Erklärung nicht weiter
führen, sondern verweise auf den Text von Edward Feser oder direkt auf den Textvon Theodore Sider,
als einem Vertreter dieser Theorie, bei dem die Interpretation dieses Beispiels
zu finden ist.
Natürlich wurden gegen diese Theorie zahlreiche Einwände
vorgebracht und nicht nur von Seiten der Scholastiker. Doch von einem
scholastischen Gesichtspunkt aus gibt es besonders zwei Punkte, die besonders
schwierig sind und zwar zunächst der Begriff der zeitlichen Teile und dann die
Tatsache, dass die Vierdimensionalisten jede Veränderung bestreiten. Dies werde
ich im kommenden Blogbeitrag dann weiter ausführen.
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