Die Neuerscheinung aus dem Jahr 2015 von John Safranek ist
eines der besten kritischen Auseinandersetzungen mit dem Liberalismus
überhaupt. Unter Liberalismus wird hier die politische, soziale und kulturelle
Grundhaltung der westlichen Gesellschaften verstanden, also nicht die Politik
der FDP, sondern aller Parteien im Deutschen Bundestag und all derjenigen, die
hineinwollen. Das Buch ist besonders auf die US-amerikanische Situation
ausgerichtet und oft werden Beispiele von Urteilsbegründungen des obersten
US-Gerichts, des Supreme Court genannt, die sich aber problemlos auf Urteile
des Bundesverfassungsgerichts der letzten Jahre übertragen lassen.
Das Buch besteht aus 10 Kapiteln. Im Zentrum des
Liberalismus steht ein völlig unbestimmter Begriff der Freiheit im Sinne der
Autonomie und ein Kanon von „Rechten“, die sich daraus ergeben sollen,
insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, Presse-, Vereinigungs- und
Redefreiheit, sexuelle Freiheit, die von Liberalen in keiner Weise gerechtfertigt
werden. Safranek macht deutlich, dass der Liberalismus in sich widersprüchlich
ist. Liberalismus ist keine kohärente Philosophie, sondern eine Ansammlung von Gründen
unter der Rubrik der persönlichen Freiheit durch macht- und einflussreiche
politische Interessen, so der Autor. Diese werden durch eine emotional
aufgeladene Rhetorik in demokratischen Staaten durchgesetzt.
Zu den Grundbegriffen des Liberalismus gehören die Begriffe
Autonomie, Freiheit, Frieden, Gleichheit, Neutralität, Toleranz und
Gegenseitigkeit. Safranek zeigt in seinem Buch, dass diese Begriffe
gegeneinander austauschbar sind und letztlich ununterscheidbar von Begierden,
bzw. Bedürfnissen sind. Der Liberalismus ist unfähig rational zu bestimmen,
welche Bedürfnisse erlaubt und welche verboten werden sollen und welche
politische Autorität diese Entscheidung treffen sollte. Die zentrale Behauptung
des Buches ist deshalb auch, dass der Liberalismus sich selbst widerspricht in
dem Versuch, eines dieser Probleme zu lösen (xiv). Als Alternative wird,
insbesondere am Ende des Buches, das Naturrecht vorgestellt in der
Interpretation der aristotelisch-thomistischen Tradition.
Hier nun ein Überblick über die 10 Kapitel (xiv ff.): Im 1.
Kapitel werden die drei Philosophen vorgestellt, die besonders großen Einfluss
auf die liberale Tradition hatten und haben, nämlich Thomas Hobbes, Jeremy
Bentham und John Stuart Mill.
Im 2. Kapitel werden dann die am meisten verehrten liberalen
Prinzipien erklärt und das Kapitel vergleicht bzw. kontrastiert verschiedene
moderne Konzepte der personalen Freiheit als dem Kern des Liberalismus. Hier
wird auch der Autonomiebegriff analysiert, der nur die Wiederholung des liberalen
Freiheitsbegriffs ist. In der Diskussion dieser Themen werden die liberalen Begriffe
Freiheit, Gleichheit, Rechte und Interessen aufgegriffen und als ununterscheidbar
von Autonomie dargestellt.
Im 3. Kapitel wird der sehr wichtige Begriff der Gleichheit
behandelt, der besonders bei Linksliberalen eine zentrale Rolle spielt und es
wird gezeigt, dass dieser Begriff vollkommen unzureichend ist, um daraus
moralische oder politische Schlüsse zu ziehen. Der Begriff ist zudem im
gegenwärtigen Liberalismus ununterscheidbar von Autonomie. Detailliert wird in
diesem Kapitel diskutiert, dass der Begriff der Gleichheit völlig ungeeignet
ist für eine Begründung der aktiven Sterbehilfe und der Homo-Ehe. Die
Diskussion der gleichgeschlechtlichen Ehe ist dabei von besonderer Bedeutung,
weil das Recht auf sexuelle Freiheit von ganz besonderer Bedeutung für Liberale
ist und die Diskussion in diesem Kapitel zeigt, dass die Gleichheit dieses
Recht in keiner Weise zu begründen vermag.
Im 4. Kapitel wird dann der liberale Begriff der Rechte
diskutiert, ein Begriff, der sich für Liberale aus der persönlichen Freiheit
ergibt. Safranek zeigt, dass der Begriff des Rechts kontrovers und mehrdeutig
ist und dass der Begriff des Rechts letztlich identisch ist mit den Begriffen
Freiheit, Autonomie und Gleichheit. In diesem Kapitel werden zudem einige
Urteile des US-Supreme Court diskutiert, deren Begründungen sich als völlig
haltlos erweisen.
Im 5. Kapitel wird nun der inhärente, performative
Selbstwiderspruch des Liberalismus vorgestellt indem der Autor das sogenannte
Schadensprinzip analysiert, das sowohl das Herz, als auch die Achillesverse der
liberalen Theorie darstellt. „Wenn alle fundamentalen liberalen Werte identisch
sind mit Bedürfnissen, wie die Kapitel 2-4 behaupten, dann müssen Liberale die
Frage beantworten, welche Bedürfnisse rechtlich erlaubt werden sollen.“ (xv)
Und diese Frage wird von allen Liberalen durch den Verweis auf das
Schadensprinzip beantwortet (die Befriedigung der Bedürfnisse ist so weit
erlaubt, dass sie keine anderen Personen und deren Bedürfnisse einschränkt und
schadet). Dieses Prinzip bezeichnet Safranek als den machtvollsten Mythos des
Liberalismus. Der Widerspruch in diesem Prinzip besteht darin, „dass jede
Theorie, die auf Freiheit, Autonomie, Gleichheit oder Würde gegründet ist, die
Freiheit, Autonomie, Gleichheit oder Würde derjenigen verletzt, die gegen diese
Theorie sind. Ein Blick in die aktuelle politische Debatte z.B. in Deutschland
zeigt, wie wahr diese Aussagen sind.
Im 6. Kapitel werden Liberalismus und Utilitarismus
gegenübergestellt und argumentiert, dass der Liberalismus theoretisch anfällig
für den Utilitarismus ist. Dies erklärt auch die zunehme Hinwendung zu
utilitaristischen Argumenten und Gesetzen in fast allen liberalen Staaten.
Beide Theorien stellen die Bedürfnisse in den Mittelpunkt und über alles andere
und entsprechend gilt als gut, was die Bedürfnisse befriedigt. In diesem
Kapitel wird dann der bereits erwähnte Punkt wieder aufgegriffen, dass unter
den genannten Prämissen die Frage zu beantworten ist, welche Bedürfnisse
erlaubt und welche verboten werden sollten. Dazu fehlen dem Liberalismus aber
alle Prinzipien. Das Kapitel zeigt, dass Liberale den demokratischen Prozess
als echte politische Autorität zurückweisen, weil dieser die Gründe bedroht,
die Liberale bevorzugen.
Im 7. Kapitel wird weitgehend mit Hilfe der Logik gegen den
Liberalismus argumentiert, insbesondere die Methode der Generalisierung, die
von Liberalen erfolgreich zur Durchsetzung ihrer Theorien angewandt wird, wird
in Frage gestellt. Aus allgemeine Prinzipien wie Freiheit, Autonomie,
Gleichheit u.a. lässt sich, so zeigt Safranek, logisch nicht ein einziges Recht
ableiten.
Die drei letzten Kapitel des Buches verteidigen eine echte
Alternative zum Liberalismus, die von vormodernen Philosophen entwickelt wurde.
Im 8. Kapitel stellt eine vormoderne Auffassung der Freiheit vor, die deutlich
realistischer ist als das liberalistische Gegenstück. Das 9. Kapitel diskutiert
u.a. die aktuellen Begriffe des Egalitarismus, der Diversität und der Toleranz
und im 10. Kapitel wird die vormoderne Tradition verteidigt und eine an einem telos (Zweck und Ziel) orientierte aristotelische-thomistische
Theorie vorgestellt.
Alles in allem zeigt dieses Buch mit starken Argumenten und
großer Klarheit, dass der Liberalismus eine menschenfeindliche, zerstörerische
Ideologie ist, von der man hoffen kann, dass sie ebenso zugrunde geht wie der
Kommunismus. Letzterer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine
bestimmte Variante des Liberalismus verwandelt nit besonderer Betonung des
Egalitarismus. Demokratie und Liberalismus sind keineswegs identisch, sondern
im Gegenteil zerstört der Liberalismus die Demokratie. Eine „liberale
Demokratie“, wie sie sich in nahezu allen westlichen Staaten findet, ist nur
eine Variante der Demokratie und vermutlich die schlechteste.
Das Buch ist jedem zu empfehlen, der sich gründlich mit den
philosophischen Grundlagen unserer westlichen Gesellschaften auseinandersetzen
möchte.
John P.
Safranek
The Myth of
Liberalism
The
Catholic University of America Press (Washington D.C. 2015)
ISBN 978-0-8132-2793-1
270 Seiten,
Paperback, US$ 36,82
Das Buch ist derzeit vergriffen und nur überteuert
erhältlich, z.B. bei Amazon.de
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