Was sind Zahlen und geometrische oder andere mathematische Objekte?
Dies ist einer der Grundfragen der Philosophie der Mathematik. Bereits seit der
Antike versucht die Philosophie auf diese Fragen eine Antwort zu geben. Zwei
grundlegende Antworten auf diese Fragen werden heute hauptsächlich diskutiert.
Eine dritte Position, die aristotelische Auffassung von mathematischen Gegenständen,
ist eher selten, wenn nicht gar unbekannt.
Mathematische und geometrische Gegenstände scheinen geradezu
göttliche Attribute zu haben. Sie sind ewig, unveränderlich, immateriell und
können nur durch reine Vernunft erfasst werden. „Mathematische Wahrheiten zeigen
Unendlichkeit, Notwendigkeit, Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Vollkommenheit und
Immaterialität, weil sie Gottes Gedanken sind, und sie haben eine solche
Erklärungskraft in der wissenschaftlichen Theoriebildung, weil sie Teil des von
Gott bei der Erschaffung der Welt umgesetzten Bauplans sind. Für einige Denker
in dieser Tradition liefert die Mathematik somit den Ausgangspunkt für ein
Argument für die Existenz Gottes als höchstem Intellekt.“ So beschreibt Edward Feser
die platonische oder neuplatonische Auffassung der Mathematik. Die Platoniker
gehen deshalb auch davon aus, dass diese mathematischen Objekte neben Gott
selbst existieren und Gott sich ihrer bei der Erschaffung der Welt bedient. Diese
Objekte bestehen gewissermaßen unabhängig von der realen Welt in einem eigenen
Reich der Ideen. Es gibt verschiedene Varianten dieser platonischen Auffassung.
So kann man Theorien finden, die die mathematischen Entitäten in den Geist
Gottes verlegen oder Gott vollständig aus der Theorie streichen und einfach
anerkennen, dass es abstrakte Entitäten gibt, ganz gleich „wo“ diese
existieren.
Diese Auffassung der Philosophie der Mathematik ist auch
heute in der analytischen Philosophie verbreitet, besonders bei der eher
rationalistischen Richtung der analytischen Philosophie. Sie hat den Vorzug,
dass sie mathematische Gegenstände als reale Entitäten kategorisiert und nicht
als etwas, was nur im Verstand existiert.
Eine andere Theorie der Mathematik, die meines Erachtens
eine breitere Zustimmung in der Wissenschaftstheorie genießt, hat den
Nominalismus zur Grundlage. „In der zeitgenössischen Philosophie sind die
Alternativen zum Platonismus, die die meiste Aufmerksamkeit erhalten,
Variationen der mittelalterlichen Lehre des Nominalismus, die Zahlen und andere
angeblich abstrakte Objekte als bloße Namen oder sprachliche Konstrukte und
nicht als wirklich existierende Entitäten behandelt. Eine besonders
einflussreiche Version dieser Idee ist der Fiktionalismus, der davon
ausgeht, dass die Mathematik wie eine erfundene Geschichte ist, deren Elemente
für die Wissenschaft nützlich sind, die aber nicht buchstäblich wahr ist. Ist
es richtig zu sagen, dass Tony Stark Iron Man ist und Peter Parker nicht? Ja,
denn so ist es in den Marvel-Filmen und Comics. Aber natürlich sind diese
Geschichten fiktiv; in Wirklichkeit gibt es keinen Tony Stark, keinen Peter
Parker und keinen Iron Man. Ebenso ist es richtig zu sagen, dass zwei und zwei
vier statt fünf ergeben. Aber auch dies spiegelt lediglich die Art und Weise
wider, wie die Dinge in einer fiktiven Geschichte - der Geschichte der
Mathematik - sind.“ (Ibid.). Mathematische Objekte sind wie Romane oder andere
Geschichten. Es sind bloße Fiktionen, die aber Sinn machen, weil man mit ihrer
Hilfe zu guten und sinnvollen Ergebnissen kommt. Es gibt aber keine real
existierenden mathematischen Gegenstände, sondern eben nur diese Fiktionen.
Diese Philosophie der Mathematik wird deshalb auch als Antirealismus
bezeichnet.
Offensichtlich haben diese nominalistischen Theorien erhebliche
Probleme. Wie soll man erklären, dass mathematische Theorien und Modelle so
genaue Vorhersagen machen können, wenn sie nicht wirklich existieren und nicht
wahr sind? Auch die technolische Anwendbarkeit der Mathematik bei der Konstruktion
von Maschinen und anderen Artefakten kann mit dieser Auffassung von Mathematik
nur schwer verständlich gemacht werden. Der bekannte Philosophie Hilary Putnam
hat darauf hin gewiesen, dass solche Dinge praktisch wie Wunder erscheinen
müssen, wenn die nominalistische Theorie der Mathematik wahr wäre. Für den
Fiktionalisten ist 2 + 2 = 4 nicht wahrer als 2 + 2 = 5. Der Unterschied
besteht nur darin, dass die Wissenschaft die erste Fiktion nützlich findet, die
zweite aber nicht. Aber warum ist sie nützlicher als die zweite? Warum ist
die Mathematik nützlicher als irgendein Roman oder ein Comic? Der Antirealismus
kann darauf nur schwer eine Antwort geben.
Eine mittlere Position zwischen Platonismus und
Antirealismus wird vom Aristotelismus eingenommen, der heute leider nur wenig
Beachtung findet. Der Aristoteliker stimmt dem Platoniker zu, indem er die
Mathematik als eine Beschreibung der objektiven Realität und nicht als bloße
sprachliche Konvention betrachtet, wie der Anirealist. Die Mathematik
funktioniert, weil sie wahr ist und die Entitäten, auf die sie sich bezieht,
real sind. Aber der Platoniker irrt sich, wenn er glaubt, dass diese Entitäten
in einem exotischen „dritten Bereich" existieren. Vielmehr existieren sie
nur in den ersten beiden Reichen - in der Natur selbst und in den Köpfen, die
sie betrachten. Die von den Geometern untersuchte Dreieckigkeit existiert
beispielsweise in konkreten besonderen Dreiecken und im Verstand, der dieses
allgemeine Muster von diesen besonderen Vorkommnissen abstrahieren und seine
Eigenschaften isoliert und an sich betrachtet. Etwas Ähnliches lässt sich auch
über andere mathematische Einheiten, wie z.B. Zahlen, sagen. Dieser Ansatz hat
eine hervorragende Tradition in der Geschichte der Philosophie und wurde in den
letzten Jahren unter anderem von dem Philosophen und Mathematiker James
Franklin entwickelt und verteidigt. Der Ansatz geht aber zurück auf Aristoteles
und seine Schule, besonders auf die scholastische Philosophie des Mittelalters.
Zu all dem kann und muss sicher viel mehr gesagt werden,
aber in einem kurzen Blogbeitrag möchte ich es zunächst dabei bewenden lassen.
Vielleicht komme ich später darauf wieder zurück.
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