Samstag, 16. Januar 2016

Das Eine, das Gute und das Wahre. Der „vierte Weg“



Der vierte Gottesbeweis Thomas von Aquins stellt an den modernen Menschen vermutlich die höchsten Anforderungen. Denn hier wird vorausgesetzt, dass es eine Hierarchie des Seienden gibt. Angesichts des heute allgemein verbreiteten Egalitarismus, also der Auffassung, dass alles gleich ist oder zumindest gleich sein sollte, ist die Vorstellung einer Über- und Unterordnung nicht ganz leicht zu vermitteln. Ich will es dennoch versuchen.



Der „vierte Weg“ geht von der unbestreitbaren Erfahrung aus, dass es in unserer Welt Dinge gibt, die gut sind, die eins sind (ein Glas Wasser ist ein Glas Wasser ist eine Einheit; ein Baum ist eine Einheit, trotz seiner verschiedenen Teile usw.). Wie gesagt ist diese Erfahrung kaum zu bestreiten.

Nun ist es aber so, dass wir etwas als gut bezeichnen und etwas anderes der gleichen Art als besser. Es gibt Eichenbäume, die schöner aussehen als andere Eichenbäume. Alle Eichhörnchen sind in gewisser Weise gut, insofern sie seiend sind. Es gibt aber Eichhörnchen, die das, was ein Eichhörnchen ausmacht, besser zeigen als andere. Beim Skispringen sind einige Springer besser als die anderen, obwohl sicher alle, die an den Skispringerweltmeisterschaften teilnehmen, gut sind. Bestimmte Dinge zeigen eine größere Einheit als andere Dinge. In allen diesen Fällen und in zahlreichen anderen kann man von einer gewissen Hierarchie sprechen, denn das eine ist besser, schöner, wahrer und einheitlicher als das andere. Dies gilt nicht nur im Vergleich von Entitäten ein und derselben Art, sondern auch im Vergleich von Arten und Gattungen miteinander. Säugetiere sind Insekten deutlich überlegen, sie sind besser als Insekten. Dies zeigt sich schon daran, dass wir lästige Insekten beseitigen, während wir dies mit lästigen Säugetieren wohl nicht so ohne weiteres tun werden.

Nun behauptet Thomas von Aquin, dass etwas nur dann als besser, edler oder schöner bezeichnet werden kann, wenn es ein Maß gibt, an dem diese Qualifizierung gemessen werden kann. Es muss so etwas wie „das Schöne“, „das Gute“, „das Edle“, „das Wahre“ geben. Jede Gute unserer Erfahrungswelt ist immer ein begrenzt Gutes. Das Gleiche gilt vom Schönen, Wahren usw. Selbst das schönste Eichhörnchen und der beste Skispringer ist immer begrenzt. Man könnte sich jederzeit einen besseren Skispringer oder ein schöneres Eichhörnchen vorstellen. Wenn wir nun aber etwas als „schöner“ oder „besser“ erkennen, dann muss es ein unbegrenzt Gutes oder Schönes geben, das als Maß für alles andere gilt, denn sonst könnte jederzeit noch etwas auftauchen, was schöner oder besser ist als alles Bisherige. An diesem unbegrenzt Guten, Einen, Schönen haben alle anderen guten, schönen etc. Dinge teil, insofern sie gut, schön usw. sind.

Spätestens hier kommt nun die Transzendentalienlehre Thomas von Aquins ins Spiel. Ich kann diese hier nicht erläutern. Diese Theorie argumentiert, dass etwas, dass Seiend ist, auch gut ist, wahr ist, eines ist, ein Ding ist usw. Die Anzahl der Transzendentalien ist umstritten, spielt für unseren Zusammenhang aber keine Rolle. Die transzendentalen Begriffe sind miteinander austauschbar. Bei den Worten Seiendes und Ding ist dies noch nachvollziehbar. Vielleicht auch bei Seiend und Eines. Aber bei Wahr und Gut wird es schon schwieriger. Thomas ist aber der Auffassung, dass es sich bei Seiend und Gut bzw. Seiend und Wahr nur um unterschiedliche Hinsichten auf ein und dasselbe handelt. Man kann dies vergleichen mit Freges Unterscheidung von Sinn und Bedeutung. Der Morgenstern und der Abendstern sind ein und derselbe „Stern“, nämlich der Planet Venus. Die Worte, mit denen dieser „Stern“ bezeichnet wird, haben nur einen unterschiedlichen Sinn. „Morgenstern“ ist der Stern am Firmament, den man am Morgen am längsten sieht und „Abendstern“ ist der Stern, der am Abendhimmel als erstes und am deutlichen zu erkennen ist. So ähnlich verhält es sich auch bei den Begriffen Sein und Gut, bzw. Wahr, Eines etc. Das Seiende in Hinsicht auf den Willen ist etwas Gutes. Das Seiende in Hinsicht auf den Verstand ist das Wahre. Daher sind die Begriffe Seiend und Gut, Wahr, Eines etc. austauschbar, konvertibel, wie es bei Thomas heißt.

Wenn man dem zustimmen kann, dann folgt daraus aber, dass es ein Seiendes geben muss, dass in höchstem Maße Seiend ist. Und ein solches „in vollkommenstem Maße Seiendes“ ist dann zugleich vollkommen gut, vollkommen eins, vollkommen wahr usw. Ein solches Seiendes ist mit anderen Worten das Sein selbst, es ist das Gute selbst, das Wahre selbst. Alle Dinge unserer Erfahrungswelt haben an diesem Sein selbst in bestimmter Art und Weise, mehr oder weniger, teil. Jedes Gute ist insofern gut, als es am Guten selbst teilhat.

Im Unterschied zu dem unklaren Begriff der Teilhabe, wie er bei Platon verwendet und schon von Aristoteles kritisiert wurde, versteht Thomas die Teilhaberelation als eine Relation von Ursache und Wirkung. Die höchste Gut bewirkt dementsprechend die Gutheit der Eichhörnchen, der Orchideen oder der Menschen. Das Entsprechende gilt auch für die Einheit, die Wahrheit oder Schönheit, d.h. für alle Transzendentalien.

Dieses in höchster Weise Vollkommene, das Sein selbst, das Gute selbst usw. ist die Ursache für jedes andere Seiende, Gute, Wahre und Schöne. Und da diese verschiedenen Bestimmungen ein und dasselbe meinen, ist dieses Sein selbst: Gott.

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