Dienstag, 6. Mai 2014

Ursprung der Akt-Potenz Theorie. Teil 1

Die Theorie der Unterscheidung von Akt und Potenz stellt die fundamentalste Grundlage der gesamten aristotelisch-thomistischen Philosophie dar. In seinem Hauptwerk „Das Wesen des Thomismus“ hat der Schweizer Dominikaner Gallus M. Manser das gesamte Werk des hl. Thomas von Aquin von dieser Theorie her dargestellt. Der Ursprung dieser Theorie findet sich bei Aristoteles in dessen Auseinandersetzung mit den Eleaten, das ist eine Gruppe von Philosophen um den vorsokratischen Philosophen Parmenides, die bestritten, dass Veränderung etwas Reales ist. Aristoteles versuchte das Hauptargument gegen die Realität des Veränderung von Seiten Parmenides‘ und Zenos mit Hilfe der Akt-Potenz Theorie zu widerlegen.


Die Auffassung des Parmenides lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: 1. Veränderung erfordert die Entstehung von Etwas aus Nichts. 2. Doch von Nichts kann nicht nichts entstehen, also 3. Veränderung ist unmöglich. Einer der Schüler Parmenides‘ hat mit dem bekannten „Zeno-Paradoxen“ diese Argument noch weiter verschärft, indem er die Ortveränderung für unmöglich erklärte. Nach Zeno müsste die Durchquerung einer bestimmten Distanz eine unendliche Zahl kleinerer Distanzen erfordern, was absurd ist, woraus er schließt, dass es keine Ortsveränderung gibt. Ein Beispiel eines solches Paradoxes ist das Dichotomie-Paradox: Ein Läufer kann vom Punkt A einer Strecke zum Punkt B nur gelangen, wenn er zunächst die halbe Strecke zwischen A und B zurücklegt. Aber diesen mittleren Punkt zwischen A und B kann er wiederum nur dann erreichen, wenn er den Mittelpunkt zwischen dieser Strecke erreicht und diesen Mittelpunkt nur dann, wenn er davon den Mittelpunkt erreicht und so weiter ad infinitum. Dadurch kann er dann aber nie den Punkt B erreichen, oder anders gesagt, er kommt nie vom Punkt A weg.

Aristoteles bestreitet nun nicht grundsätzlich, dass die Prämissen 1 und 2 und der daraus folgende Schluss 3 zutrifft, sondern er bestreitet die Prämisse 1, nach der jede Veränderung ein Entstehen aus Nichts bedeutet. Stattdessen schlägt Aristoteles eine alternative Analyse der Veränderung vor, nach der eine bestimmte Art des Seins aus einer anderen Art des Seins entsteht. Aristoteles schlägt vor, dass es ein Sein im Akt gibt und ein Sein in Potenz. Sein im Akt bedeutet ein Seiendes, das wirklich ist und Sein in Potenz ist ein Sein, dass möglicherweise sein kann. Edward Feser verwendet zur Erläuterung dieser Unterscheidung gerne das Beispiel eines Gummiballs. Der Gummiball „im Akt“ ist z.B. kugelförmig, fest, glatt, rot und liegt bewegungslos in einem Kasten. Aber „in Potenz“ oder potentiell ist der Ball flach und matschig (wenn er geschmolzen ist), rau durch den Gebrauch, hell rosa durch Sonneneinstrahlung und er rollt über den Boden anstatt zu hüpfen, wenn er auf den Boden geworfen wird.

Diese Potentialitäten sind wirkliche, reale Merkmale des Gummiballs auch wenn sie gegenwärtig nicht aktual, nicht wirklich sind. Sie sind nicht Nichts, auch wenn sie nicht die Art des Seins haben, die der gegenwärtige aktuale Ball hat. Doch diese potentiellen Merkmale sind das, was der Ball werden kann; er kann flach, matschig, rau und rosa werden, aber er kann nicht z.B. empfindungsfähig werden oder eloquent oder fähig, Arithmetik zu betreiben. In-Potenz-sein ist ein Mittleres zwischen Im-Akt-sein auf der einen Seite und Nichts auf der anderen Seite. Veränderung ist nicht die Entstehung von etwas aus nichts, sondern die Entstehung von etwas Seiendem im Akt aus etwas Seiendem in Potenz. Oder anders gesagt: Veränderung, Entstehen oder Werden ist Aktualisierung einer Potenz.

Mit dieser Unterscheidung von Akt und Potenz lassen sich auch das Zeno-Paradoxe lösen. Die unendliche Zahl immer kleinerer Distanzen zwischen den Punkten A und B gibt es tatsächlich, allerdings nur in Potenz und nicht im Akt, nicht wirklich. Deshalb gibt es keine unendliche große Zahl von Distanzen die der Läufer durchqueren muss, sondern nur eine aktual endliche Distanz, nämlich die zwischen A und B.

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