Freitag, 13. Juni 2014

Kausale Kräfte (Vermögen) in der scholastischen Philosophie

Nach der aristotelischen Philosophie unterscheidet man vier verschiedene Arten von Kausalität: formale, materiale, wirk- und finale Kausalität. In der Gegenwartsphilosophie werden Begriffe wie „Ursache“ oder „Kausalität ausschließlich für das verwendet, was in der aristotelischen Philosophie als Wirkursache oder als causa effecients bezeichnet wird. Die anderen drei Ursachen werden kaum erwähnt. Gelegentlich wird in jüngerer Zeit wieder die Finalursache diskutiert, aber nur, um diese zurückzuweisen. Hier soll deshalb zunächst die Wirkursache vorgestellt werden, wie sie in der klassischen Philosophie verstanden werden.

Wirkursache oder „Agenskausalität“, wie sie gelegentlich auch bezeichnet wird, ist diejenige Ursache, die etwas hervorbringt, die etwas ins Sein bringt oder etwas bereits Existierendes verändert. Eine Wirkursache aktualisiert eine Potenz und zwar dadurch, dass sie ihre eigenen aktiven Potenzen oder Vermögen ausübt. Der Autor eines Buches oder eines Beitrags im Internet ist die Wirkursache des Beitrags, selbst dann, wenn der Autor nicht in jedem Augenblick schreibt. Ich schreibe in diesem Moment, aber vor einigen Minuten habe ich eine kurze Pause gemacht um Wasser zu trinken. Daher muss das Vermögen etwas zu schreiben unterschieden werden von der aktualen Ausübung dieses Vermögens. So muss man auch unterscheiden zwischen einer aktiven Potenz oder einem Vermögen und einer passiven Potenz, die eine Ursache aufnimmt. Während des Schreibens verändert sich mein Computermonitor, er muss in der Lage sein, meine Tätigkeit (Wirkursache, aktive Potenz oder Vermögen) aufzunehmen (passive Potenz).

Hier erkennen wir die Anwendung der Theorie von Akt und Potenz: Das kausale Vermögen (power) oder die aktive Potenz unterscheidet sich von der Ausübung dieses Potenz, dieses Vermögens bei einer bestimmten Gelegenheit. Die passive Potenz oder die Potenz im eigentlichen Sinne besteht darin, eine Kraft, eine Ursache aufzunehmen.

Der Begriff der kausalen Vermögen kann auch verstanden werden als ein besonderer Fall der Begrenzung eines Aktes durch eine Potenz. In Unterschied zum reinen, unbegrenzten Akt (dies ist nach scholastischer Auffassung Gott), ist jede Ursache in verschiedener Hinsicht begrenzt. Eine Ursache kann nicht alles bewirken, sondern nur etwas Bestimmtes. Ein Magnet kann Metall anziehen, was ein Stück Holz nicht vermag. Es ist das kausale Vermögen als Potenz das die Wirkung begrenzt.

Gegen die Annahme solcher Vermögen, Kräfte (power) wird bereits seit Jahrhunderten argumentiert, meist jedoch sehr schwach. Ein bekanntes Beispiel ist der Witz von Molière: der Arzt erklärt dem Patienten, warum Opium Schlaf verursacht, in dem er dem Opium ein „dormitives Vermögen“ zuschreibt. Da nun „dormitives Vermögen“ nichts anderes bedeutet als schlafförderndes Vermögen läuft die Erklärung des Arztes auf den Satz hinaus, dass Opium Schlaf verursache weil Opium den Schlaf fördert. Von diesem Satz behauptet man er sei tautologisch und dies gelte für alle Erklärungen, die auf so etwas wie ein Vermögen oder eine Potenz Bezug nehmen.

An diesem „Argument“ ist zunächst falsch, dass der Satz keine Tautologie ist. Es wäre eine Tautologie wenn man sagen würde: Opium ist schlaffördernd weil es schlaffördernd ist“. Tautologien sind nicht informativ. Der Satz „Opium fördert den Schlaf weil Opium eine schlaffördernde Kraft besitzt“ ist keine Tautologie, wenn auch der informative Gehalt eher gering ist. Doch wenn die Chemie untersucht, was die schlaffördernde Wirkung des Opiums ausmacht, hat dies letztlich auch keinen wesentlich größeren Informationsgehalt. Denn wenn der Chemiker feststellt, dass die chemische Substanz XYZ für die schlaffördernde Wirkung von Opium verantwortlich ist, besagt dies letztlich nicht wesentlich mehr als eben dies, dass Opium eine schlaffördernde Wirkung ausübt. Statt „Opium“ wird jetzt nur die chemische Struktur des Opiums angegeben. Und doch ist diese Information sehr hilfreich, z.B. bei der Herstellung von Opium. Und jemand, der nicht weiß, dass Opium das Vermögen hat Schlaf zu fördern, wird es ebenfalls sehr informativ finden, dies zu erfahren. (Mehr zu einer Widerlegung des Molièrschen Arguments findet sich auch in Stephan Mumford: Dispositions.). Außerdem muss man unterscheiden zwischen dem Besitzer eines Vermögens, dem Vermögen selbst, dem Vehikel des Vermögens und der Ausübung des Vermögens. Die chemischen Eigenschaften sind das Vehikel des Vermögens durch die die dormitive Kraft ausgeübt wird. Andere Stoffe wirken schlaffördernd auf Grund anderer chemischer Eigenschaften und anderer Vehikel.

Es gibt einen Unterschied zwischen einer metaphysischen und einer chemischen Analyse, denn die chemische Untersuchung konzentriert sich auf die Vehikel, während die metaphysische Untersuchung sich für die Kräfte und Vermögen interessiert. Eine Reduktion der Vermögen auf ihre Vehikel ist nicht möglich und genau dieser Versuch liegt dem Witz Molières zugrunde.

Die eigentliche Ursache ist der Besitzer eines Vermögens, weder das Vermögen als solches, noch das Vehikel des Vermögens. Und in ähnlicher Weise ist nicht ein Ereignis eine Ursache (wie Hume und analytische Philosophen oft meinen), sondern eine Substanz, die zu einem Ereignis gehört.

In dem nächsten Blogbeitrag werde ich mich mit Theorien von Kräften oder Vermögen beschäftigen, wie sie in der gegenwärtigen analytischen Philosophie wieder diskutiert werden.

Weitere Informationen finden Sie in Edward Feser: Scholastic Metaphysics, S. 42-46.

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