Samstag, 6. Juni 2015

Quines Anti-Essentialismus 2


W.V.O. Quine hat weitere Argumente für seine Auffassung geliefert, dass es keinerlei Modalitäten gibt, insbesondere dass es nichts gibt, dass notwendig ist. Dies gilt selbst, nach Quine, für mathematische und logische Wahrheiten. Seine Argumente gegen die Notwendigkeit sind aber immer auch gegen die Theorie der Wesenheiten gerichtet, denn eine Entität hat ihre Wesenheit notwendigerweise. Dass Sokrates ein Mensch ist, ist eine notwendige Bestimmung Sokrates‘. Quine hingegen behauptet, dass irgendeine Proposition, die wir für notwendig halten, nichts anderes bedeutet, als das wir eine solche Proposition für wichtig erachten und dass dann, wenn wir sie als nicht notwendig preisgeben, dies bedeutende Konsequenzen hätte. Doch im Prinzip könnten auch logische Wahrheiten, wie der Satz vom Widerspruch als nicht-notwendig betrachtet werden.

 

Dass die Winkel eines Dreiecks zusammen 180° ausmachen scheint eine notwendige Wahrheit zu sein, doch, so Quine, es wurde später in einer nicht-euklidischen Geometrie gezeigt, dass dies nicht der Fall sein muss.

Allerdings ist dies kein starkes Argument, denn in einer euklidischen Geometrie bleibt der Satz, dass die Winkelsumme eines Dreiecks 180° beträgt, dennoch eine notwendige Wahrheit. Man könnte höchstens behaupten, dass der Begriff "Dreieck" durch die Entdeckung der nicht-euklidischen Geometrie zweideutig geworden ist und daher verschiedene Bedeutungen haben kann, aber innerhalb jedes der beiden Systeme ist die Definition eine notwendige Bestimmung des Dreiecks.

In Einteilung der Dinge in natürliche Arten (und damit die Einordnung der Dinge unter bestimmten gemeinsamen Wesenheit) wurde von Quine als ein Ergebnis der evolutionären natürlichen Selektion bezeichnet. Damit wären Arten und Gattungen (und damit Wesenheiten) nur subjektive Entitäten bzw. von unserem Verstand abhängig. Eine solche Theorie stellt eine darwinistische Variante des Konventionalismus dar.

Wenn dies zutrifft, wenn es zutrifft, dass wir keinen Grund haben, irgendeine Wahrheit der Logik oder Mathematik als objektiv notwendig zu betrachten, dann haben wir auch keinen Grund irgendeines unserer Argumente, seien diese philosophischer oder naturwissenschaftlicher Art, als formal gültig zu bezeichnen, d.h. Beweise als wahre Schlussfolgerungen zu verstehen. Und damit müssten wir an allen wissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen zweifeln, selbstverständlich auch an denen von Quine und anderen radikalen Empiristen.

Ein weiterer Anti-Essentialist, der auch in Deutschland Bedeutung erlangt hat, war Karl Popper. Allerdings richten sich seine Argumente gegen einen Essentialismus, den es zumindest in Bezug zum aristotelisch-scholastischen Begriff der Wesenheit nicht gibt. Am ehesten könnte sich Poppers Angriff gegen Wesenheiten gegen die Phänomenologie richten, aber nicht gegen Aristoteles oder Thomas von Aquin. So schreibt Popper, dass Aristoteles und Platon der Auffassung gewesen seien, dass wir ein bestimmtes Vermögen besitzen, eine intellektuelle Intuition, durch die wir Wesenheiten visualisieren bzw. vorstellen können und so deren Definition herausfinden können. Popper sagt nun, dass ein solches Vermögen nach Auffassung Platons und Aristoteles‘ „unfehlbar und unbezweifelbar“ sei. Allerdings ist dies eine Karikatur Platons und Aristoteles und das Argument hat keinerlei Bedeutung in Bezug zur scholastischen Auffassung der Wesenheiten.

Zunächst muss man unterscheiden zwischen der Frage, ob Dinge Wesenheiten haben und der Frage, welche Wesenheit dieses bestimmte Ding hat. Ich habe mit Bezugnahme auf verschiedene Autoren, insbesondere aber auf Edward Fesers „Scholastic Metaphysics“ die zahlreichen Argumente für eine positive Beantwortung der ersten Frage in diesem Blog dargestellt. Keines dieser Argumente hat sich in irgendeiner Weise auf eine bestimmte „intellektuelle Intuition“ bezogen, die erforderlich ist, um Wesenheiten zu erkennen. Man kann durchaus dafür argumentieren – und ich habe dies wiederholt getan – dass die Existenz von Wesenheiten unbestreitbar ist und selbst von denen, die sie bestreiten, vorausgesetzt werden. Doch diese Behauptung beruht auf Argumenten, von denen Sie viele in diesem Blog finden und nicht auf eine „intellektuelle Anschauung oder Intuition“.

In Bezug zur zweiten Frage, was die Wesenheit dieses bestimmten Dinges ist, sind die Scholastiker der Auffassung, dass die Frage durch empirische Untersuchung beantwortet werden muss, dass also auch dazu keine „Intuition“ erforderlich ist. Die Erkenntnis von Wesenheiten erfordert insbesondere sinnliche Wahrnehmung und kann unter Umständen aufwändig und nicht einfach sein. Hinzu kommt, dass wir keine einzige Wesenheit vollständig oder auch nur annähernd vollständig erkennen können und dass unsere Erkenntnisse bestimmter Wesenheiten sich auch verbessern, vertiefen oder erweitern. Unsere Ur-ur-ur-ur-Großeltern wussten, was Wasser ist, d.h. sie kannten die Wesenheit von Wasser. Durch die Entdeckung der atomaren Struktur des Wassers als H2O wurde diese Erkenntnis allerdings erheblich erweitert und vertieft. Insofern trägt wissenschaftliche Forschung ganz wesentlich zur Erkenntnis der Wesenheiten bei, eine Behauptung, die von Popper übrigens vehement bestritten wird.

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