In der Gegenwartsphilosophie gibt es seit mehreren Jahren eine Debatte über das Thema der Dispositionen. Die Fragen drehen sich darum, was Dispositionen sind, ob es sie überhaupt gibt, d.h. ob sie reduzierbar sind und wenn es sie gibt, ob es sich dabei um eine eigene ontologische Kategorie handelt. Bedauerlicherweise spielt der Hylemorphismus in dieser Debatte praktisch überhaupt keine Rolle, obwohl die aristotelische Akt-Potenz-Theorie hierzu einen wesentlichen Beitrag leisten könnte. Was ist nun eine Disposition? Das typische Beispiel hierfür, dass sich in verschiedensten Veröffentlichungen zu diesem Thema findet, ist die Wasserlöslichkeit von Salz. Salz hat die „Disposition“ sich in Wasser aufzulösen. Doch was bedeutet das?
Ich kann hier nicht die verschiedenen Theorien zu Dispositionen darstellen, die derzeit debattiert werden. Eine gute Übersicht aus aristotelischer Sicht bietet hierzu David Oderberg: Real Essentialism, S. 130 ff. Stattdessen möchte ich die Theorie des Hylemorphismus zu diesem Thema vorstellen, zumal diese kaum bekannt ist und in der derzeitigen Debatte, wie gesagt, nicht berücksichtigt wird.
Nach aristotelischer Auffassung sind alle materiellen Dinge zusammengesetzt aus Materie und Form bzw. Akt und Potenz. In der materiellen Welt gibt es keine reine Potenzialität und keine reine Aktualität. Jeder Gegenstand ist aus beiden Prinzipien zusammengesetzt und auf dieser Zusammensetzung beruht alle Veränderung der Dinge, die nämlich als ein Übergang von Potenz in Akt erklärt werden kann. Dies vorausgesetzt ergibt sich auch eine Erklärung für das, was man mit dem Begriff der Disposition nur unzureichend zu beschreiben versucht.
Doch zusätzlich ist zum Verständnis der Dispositionen als auch zum Verständnis der Frage, welche Dispositionen, bzw. Potenzen ein Gegenstand hat und warum es diese Dispositionen hat, ein Verständnis der Wesenheiten erforderlich. Denn aus der Wesenheit eines Gegenstandes ergibt sich dessen Potenz und auch dessen „Dispositionen“. Ein bestimmtes Wesen hat nur ganz bestimmte Potenzen und andere nicht. Welche Potenzen und Kräfte es hat, hängt eben davon ab, was für ein Ding es ist.
Bei den Kräften, Vermögen oder Potenzen unterscheidet die aristotelische Scholastik zudem zwischen aktiven und passiven Potenzen, eine Unterscheidung, die in der modernen Debatte praktisch völlig unbekannt zu sein scheint. So ist die Wasserlöslichkeit von Salz eine passive Potenz, während die Potenz zur Verdauung, die bestimmten Lebewesen eigen ist, eine aktive Potenz ist. Beiden Arten stehen aber im Zusammenhang, denn eine passive Potenz setzt eine aktive Potenz voraus und umgekehrt. Die Aktualisierung einer passiven Potenz geschieht nämlich durch die aktive Potenz. Die Nahrung muss die passive Potenz haben, vom Verdauungstrakt und seinen Organen aufgenommen und umgewandelt werden zu können; bestimmte Dinge haben diese Potenz nicht und sind deshalb unverdaulich. Hinsichtlich des Standardbeispiels für Dispositionen ist es ähnlich. Wir müssen die Wesenheiten von Wasser und Salz kennen um z.B. sagen zu können, ob es sich bei der Wasserlöslichkeit von Salz um ein Naturgesetz handelt.
Wasser hat die Potenz bestimmte Kristallstrukturen aufzulösen und Salz hat eine bestimmte kristalline Struktur, die sich in Wasser auflöst. Salz hat diese passive Potenz, sich in Wasser aufzulösen und zwar genau dadurch, dass Wasser die aktive Potenzialität hat, Salz aufzulösen.
Der Begriff der Dispositionen lässt all dieses offen und ist deshalb ungeeignet, das eigentlich gemeinte Phänomen, bzw. die in Frage stehenden Phänomene richtig zu begreifen.
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