Dienstag, 5. Juli 2011

Die Immaterialität der Erkenntnis

In der Gegenwartsphilosophie wird schon seit langem versucht, alle Weisen der Erkenntnis auf materielle Ursachen zurückzuführen. Es gibt inzwischen eine große Zahl unterschiedlicher materialistischer Theorien der Erkenntnis, die auf unterschiedlichen Wegen dieses eine Ziel verfolgen: Erkenntnis als nichts anderes zu erweisen als einen bestimmten materiellen Zustand des Gehirns. Die aristotelische Scholastik hat bereits vor Jahrhunderten gezeigt, dass  solche Versuche nicht gelingen können, da die menschliche Erkenntnis wesentlich immateriell ist. Gegen diese Argumente kommen bis heute die materialistische Theorien des Geistes nicht an.




Insbesondere Thomas von Aquin gibt eine ganze Reihe von Argumenten für die Immaterialität des Verstandes und  seine Unabhängigkeit von der Materie. Eine Zusammenfassung dieser Argumente findet sich beispielsweise in der Summa contra gentiles (II, 49-51).

Zunächst sollte vielleicht gesagt werden, dass Thomas und auch andere Scholastiker die Auffassug teilen, dass die sinnliche Erkenntnis, also die sinnliche Wahrnehmung durchaus materielle Ursachen hat und materiell erklärbar ist. Dies unterscheidet ihn von den modernen Theorien, die auf Descartes zurückgehen, die, im Gegensatz zum Materialismus, die Immaterialität auch der sinnlichen Qualitäten behaupten.

Für die verstandesmäßige Erkenntnis ist das Besondere, dass in ihr die Form des Gegenstandes erfasst wird. Dies bedeutet, dass im verstandesmäßigen Erkennen die Form des Erkannten im erkennenden Geist ist und zwar auf immaterielle Weise, während sie im erkannten Gegenstand materiell ist. Es ist aber in beiden Fällen – der Form des Gegenstandes und der Form im Verstand – ein und derselbe Form. Der Verstand, der einen Hund erkennt, erkennt das, was den Hund zum Hund macht, nämlich die „Hundheit“, d.h. die Form des Hundes, die im Hund materiell gegenwärtig ist und ihn zu dem macht, was er ist, nämlich ein Hund und zwar auf immaterielle Weise. Wäre diese Erkenntnis nicht immateriell, dann müsste der Erkennende selbst zum Hund werden, wenn er einen Hund erkennt.

Genau dies unterscheidet den Verstand, oder den Geist von allen anderen Dingen. In allen anderen Dingen, die nicht-geistig sind, ist nur die Form selbst in der Materie gegenwärtig als Konstitutionsprinzip des Dinges gemeinsam mit der Materie. Allein der Verstand hat das Vermögen, die Formen der Dinge auf immaterielle Weise zu erfassen, so, dass  sie anschließend im Geist selbst gegenwärtig sind, allerdings nicht mit der Materie verbunden. Diese Form im Geist ist nicht nur ein Abbild der Form des Gegenstandes, nicht eine bloße Repräsentation, sondern tatsächlich ein und dieselbe Form, die auch im Gegenstand auf materielle Weise gegenwärtig ist.

Wenn dies nicht der Fall wäre, dann könnten wir überhaupt nicht so etwas wie das Wesen des Hundes, des Dreiecks oder anderer geometrischer und mathematischer Entitäten erkennen. Über diese Dinge nachzudenken erfordert nämlich ein Begreifen dessen, was sie sind. Wäre der Verstand ein materielles Ding, z:b. Eine Art von Gehirnaktivität, dann müssten die Formen der genannten Dinge irgendwie in einem materiellen Ding existieren, im Gehirn zum Beispiel. Wenn wir über das Dreieck nachdenken, dann müsste ein Teil des Gehirns zum Dreieck werden, oder ein Hund usw., was natürlich widersinnig ist.

Dieses Argument bleibt selbst dann gültig, wenn man, wie praktisch alle Materialisten, bestreitet, dass es universale Formen von Dingen gibt, so etwas wie die Form des Hundes, die sich in allen Hunden findet und die im Erkennen auf immaterielle Weise erkannt wird. Denn was auch dieser Nominalist nicht bestreiten kann ist die Existenz der Geometrie und Mathematik, die mit abstrakten Gegenständen arbeitet. Da diese Gegenstände zweifellos immateriell sind, muss er beweisen können, wie diese immateriellen Gegenstände materiell im Geist sein sollen.

Somit bleibt es wahr, was bereits Aristoteles und die Scholastik bewiesen haben, dass der Verstand, dass der Geist oder dass die Erkenntnis immateriell ist. Die Existenz dieses Immateriellen kann aber nicht auf materielle Ursachen zurückgeführt werden.  

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