Mittwoch, 12. September 2012

Künstliches Leben?


Im Frühjahr dieses Jahres ging eine Meldung durch alle Medien, dem Genom-Ingenieurs J. Craig Venter sei es gelungen, künstliches Leben zu schaffen. Venter hatte ein auf der Basis von Sequenzierungsdaten - also nach Computerbauplan - vollständig im Labor montiertes und zusammengesetztes Genom einer Zelle eingepflanzt, der man das Genom entfernt hatte. Damit sei ein künstliches Bakterium geschaffen worden, das in der Lage ist, sich selbst zu reproduzieren. Die Selbstreproduzierbarkeit gilt in der Biologie als wesentliches Kriterium für Leben. Trifft es zu, was Venter behauptet und was die Medien feiern, dann wäre damit tatsächlich die Grenze zwischen Artefakt und Natur, oder wie Aristoteles sagt, zwischen techné und physis durchbrochen.





Fragen wir zunächst, was denn Bakterien sind. „Bakterien sind mikroskopisch kleine, einzellige Organismen von kugeliger (Coccus), stäbchenförmiger oder schraubiger (Spirillum) Gestalt. Sie sind unbeweglich oder führen mit Hilfe von Geißeln schnelle Schwimmbewegungen aus. Echte, von einer Membran umgebene Zellkerne sind nicht vorhanden (Prokaryonten), doch sind mit Hilfe bestimmter Farbreaktionen Nucleinsäuren in sogenannten Kernäquivalenten (Nucleoiden) nachgewiesen, so dass auch hier Erbanlagen in bestimmten Zonen konzentriert sind. Das Bakterienchromosom liegt als ringförmig geschlossener Strang vor.“ Bakterien sind die primitivsten Lebensformen, aber sie sind tatsächlich bereits Leben und unterscheiden sich dadurch von der leblosen Materie.

Der wesentliche Unterschied zwischen lebendiger und unbelebter Materie ist das Vorhandensein einer immanenten Kausalität bei allen lebendigen Wesen. Diese unterscheidet sich fundamental von der transienten Kausalität. Erstere kann niemals auf Letztere zurückgeführt werden. Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten der Kausalität liegt darin, dass das Ziel der transienten Kausalität außerhalb der Entität liegt, während die immanente Kausalität ihr Ziel in sich selbst hat. Die Einwirkung von Sonnenlicht auf ein Lebewesen, z.B. eine Pflanze, wird von dieser zum Aufbau des Organismus verwandelt. Ein Stein hingegen erwärmt sich nur. Mehr zu dieser Frage habe ich hier gesagt.

Was unterscheidet nun ein Artefakt, also ein vom Menschen hergestelltes Ding von einem Lebewesen? Der metaphysische oder ontologische Unterschied liegt erneut in Bezug zur Frage der Zweckursache. Bei einem Artefakt sind die Teile des Ganzen von außen geordnet, damit sie einen Zweck ergeben, den der Mensch erzielen will. Bei einer mechanischen Uhr, dem klassischen Beispiel, dass heute nur noch selten vorkommt und wenn, dann nur für sehr viel Geld, sind die Teile – Federn, Ringe, Zahnräder etc. – so zueinander geordnet, dass sie die Uhrzeit anzeigen. Diese metallischen Teile haben von sich selbst aus keine Tendenz zu einem Zeitmessinstrument zu werden. Dies ist bei lebendigen Dingen grundlegend verschieden. Alle Teile eines Organismus und sei es der primitivste wie das Bakterium sind so aufeinander zu geordnet, dass sie das Ziel erreichen. Hier liegt die Zweckgerichtetheit in den Teilen selbst, es handelt sich um eine immanente Ziel- oder Zweckgerichtetheit der Teile, eine immanente Teleologie. Leben zeichnet sich also in metaphysischer Hinsicht dadurch aus, dass deren Teile eine immanente Tendenz besitzen, für ein Ganzes zusammenzuwirken. Artefakte hingegen besitzen diese Tendenz nicht, denn deren Teile sind nur akzidentell zueinander geordnet.

Wenn wir nun von diesen Voraussetzungen aus fragen, ob es künstliche Bakterien oder, allgemeiner künstliches Leben – ein Selbstwiderspruch wie hölzernes Eisen – geben kann, so werden wir zu dem Schluss gelangen, dass dies nicht möglich ist. Was in der Genbastelei von Craig Venter geschehen ist, ist dies, dass er dem Bakterium einen Zweck von außen aufgeprägt hat. Doch dies ist nicht etwas wirklich Neues und geschieht bereits, seitdem Menschen damit begonnen haben, Lebewesen zu domestizieren.

Bei dem Bakterium von Venter handelt es sich um ein domestiziertes Bakterium. Ohne die immanente Tendenz der Teile des Bakteriums zusammenzuwirken, die nicht von Venter erschaffen wurde, wäre es kein Bakterium, kein Lebewesen, sondern eine mikroskopisch kleine Maschine. Ein künstliches Herz z.B. ist eine Maschine, auch wenn sie in einem Organismus den Zweck eines natürlichen Herzens erfüllt, so haben doch die Teile des künstlichen Herzens – die Kammern, Leitungen und Klappen – keine immanente Tendenz zusammenzuwirken, denn sie werden von außen gesteuert. Bei den Teilen die Venter arrangiert hat, musste es aber eine immanente Tendenz des Zusammenwirkens geben, damit sich das Bakterium reproduzieren konnte.

1 Kommentar:

  1. Vielleicht erwähnenswert...:

    http://www.lindenthal-institut.de/index.php/colloquientermin/events/new-scholastic-meets-analytic-philosophy.html

    AntwortenLöschen