Samstag, 5. Dezember 2015

Wesenheit – Existenz – Gott



Der zweite Gottesbeweis von Thomas von Aquin geht von der Voraussetzung aus, dass in allen Entitäten die Wesenheit oder das Sosein, also das, was etwas ist, und die Existenz verschieden sind. Diese Voraussetzung ist nicht besonders schwer zu akzeptieren. Deshalb hat Gaven Kerr in seinem jüngsten Buch auch diesen Gottesbeweis wegen seiner geringen ontologischen Voraussetzungen, als den am meisten überzeugenden der „fünf Wege“ bezeichnet. Dieser Gottesbeweis aus der Summa theologiae ist zudem der einzige, den Thomas in seinem Frühwerk De Ente et Essentia bereits vorgestellt hat.



Der zweite Gottesbeweis versucht zu zeigen, dass keine Entität, bei der Wesenheit und Existenz real verschieden sind, auch nur für einen kurzen Augenblick existieren könnte, wenn es nicht ein Wesen gibt, bei dem Wesenheit und Existenz identisch sind, d.h. dessen Wesenheit seine Existenz ist. Ein solches Seiendes bezeichnet Thomas als ipsum esse subsistens, d.h. als subsistierendes Sein selbst. Das Argument lässt sich im Einzelnen nun folgendermaßen rekonstruieren (Edward Feser: Neo-Scholastic Essays, S. 92f.)

Wirkursachen sind ein reales Merkmal unserer Welt. Wir kennen aus verschiedenen Erfahrungen solche Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung, so, wenn wir auf die Taste der Computertastatur drücken und auf dem Monitor ein Zeichen erscheint. Natürlich gibt es solche Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung auch in der Natur. Die Naturwissenschaften untersuchen solche Zusammenhänge.

Nun kann aber keine Entität die Ursache ihrer selbst sein. Dies ist schon logisch unmöglich, denn dann müsste diese Entität existieren, bevor sie existiert, sie müsste sich selbst in die Existenz hervorbringen, was noch unmöglicher ist, als sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen.

Die Existenz einer natürlichen Substanz zu jedem beliebigen Zeitpunkt seiner Existenz – sei es ein Lebewesen oder ein Atom – setzt voraus, dass dessen Wesenheit gleichzeitig mit einem Existenzakt verbunden ist. Dies besagt, dass keine Wesenheit für sich existieren kann, eine bloße Wesenheit gibt es nicht, sie muss stets mit der Existenz verbunden sein. Sosein und Dasein, Existenz und Wesenheit sind in der realen Welt immer miteinander verbunden.

Wenn nun die Substanz selbst sich irgendwie ihre Wesenheit mit einem Existenzakt verbinden würde, dann müsste sie die Ursache ihrer selbst sein, was, wie gesagt, unmöglich ist.

Deshalb muss es eine gleichzeitige Wirkursache geben, die von der Substanz verschieden ist und die die Wesenheit der Substanz mit der Existenz verbindet. Die Existenz diese Wirkursache setzt in dem Moment, in dem sie die Wesenheit der Substanz mit der Existenz verbindet, voraus, dass deren eigene Wesenheit entweder mit einem anderen Existenzakt verbunden ist, oder dass die Wesenheit dieser Ursache ihre Existenz ist. Anders ausgedrückt: Wenn eine Entität A die Ursache dafür ist, dass die Wesenheit von B mit der Existenz verbunden ist, dann stellt sich die Frage, wie sich dies bei A selbst verhält. Entweder hat A eine Ursache, die die Wesenheit von A mit der Existenz von A verbindet, oder A ist diejenige Entität, bei der Wesenheit und Existenz identisch sind.

Wenn nun A, also die Ursache für die Verbindung von Wesenheit und Existenz in B, selbst eine Ursache hat, durch die A’s Wesenheit mit der Existenz verbunden wird, dann gibt es einen Regress von gleichzeitigen Verbindern von Wesenheit und Existenz. Dieser Regress ist entweder unendlich – die Ursache für die Ursache A ist z.B. A1, deren Ursache A2 ist und so weiter ad infinitum – oder der Regress endet in etwas, dessen Wesenheit die Existenz ist.

Ein solcher Regress von gleichzeitigen Verbindern (die Wesenheit und Existenz verbinden) bildet eine per se geordnete Kausalreihe und eine solche Kausalreihe kann nicht unendlich sein, im Unterschied zu einer Kausalreihe per accidens. Bei einer Kausalreihe per accidens – z.B. A verursacht B, B verursacht C, C verursacht D usw. – kann B C verursachen, ohne dass A überhaupt noch existiert. Dies ist deshalb der Fall, weil A, B, C, usw. nicht gleichzeitig sind. Bei einer per se geordneten Kausalreihe ist aber genau dies der Fall. Die Wirkung D besteht nur, wenn gleichzeitig A, B und C wirksam sind. Und dies ist der Fall bei einer Ursache für die Verbindung von Wesenheit und Existenz in einer Substanz. Wenn hier verschiedene Ursachen in Frage kommen, die ihrerseits wieder aus Wesenheit und Existenz zusammengesetzt sind, dann müssen diese Ursachen gleichzeitig bestehen. Und dies ist dann eine Kausalreihe per se mit einer letzten Ursache, die nicht selbst aus Wesenheit und Existenz zusammengesetzt ist, sondern deren Wesenheit die Existenz ist.

Dies bedeutet aber, dass die Existenz jeder beliebigen Substanz zu jedem beliebigen Zeitpunkt die Existenz von etwas voraussetzt, dessen Wesenheit die Existenz ist. Eine solches „Etwas“ nennen alle Gott, wie Thomas sagt. Dass es sich dabei tatsächlich um Gott handelt und nicht vielmehr um ein Wesen, von dem man eben nichts Anderes sagen kann, als dass dessen Wesen die Existenz ist, wird von Kritikern der Gottesbeweise oft eingewandt. Allerdings ist dieser Einwand eher schwach. Denn allein aus dem Begriff eines Wesens, dessen Wesenheit mit seiner Existenz identisch ist, folgt, dass ein solches Wesen z.B. nicht entstanden sein kann, dass es keinen Anfang und kein Ende hat und somit ewig sein muss. Es folgen noch einige weitere Bestimmungen, die ich aber später in einem eigenen Beitrag noch erklären werde und zwar im Zusammenhang mit einer Diskussion verschiedener Einwände gegen diese Gottesbeweise.

Selbstverständlich ist der Gott der Gottesbeweise kein Beweis für den christlichen dreifaltigen Gott. Dieser beruht auf einer Offenbarung und kann nicht philosophisch bewiesen werden. Allerdings kann man durchaus sagen, dass ein Gottesbegriff der dem philosophischen Begriff Gottes widerspricht, falsch sein muss. Die Gottesbegriffe der drei Offenbarungsreligionen – Christentum, Islam und Judentum – so verschieden sie auch sind, widersprechen allerdings im großen und ganzen nicht dem philosophischen Gottesbegriff.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen