Dienstag, 25. Juli 2017

Rezension: Der Mythos des Liberalismus


Die Neuerscheinung aus dem Jahr 2015 von John Safranek ist eines der besten kritischen Auseinandersetzungen mit dem Liberalismus überhaupt. Unter Liberalismus wird hier die politische, soziale und kulturelle Grundhaltung der westlichen Gesellschaften verstanden, also nicht die Politik der FDP, sondern aller Parteien im Deutschen Bundestag und all derjenigen, die hineinwollen. Das Buch ist besonders auf die US-amerikanische Situation ausgerichtet und oft werden Beispiele von Urteilsbegründungen des obersten US-Gerichts, des Supreme Court genannt, die sich aber problemlos auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts der letzten Jahre übertragen lassen.






Das Buch besteht aus 10 Kapiteln. Im Zentrum des Liberalismus steht ein völlig unbestimmter Begriff der Freiheit im Sinne der Autonomie und ein Kanon von „Rechten“, die sich daraus ergeben sollen, insbesondere das Recht auf freie Meinungsäußerung, Presse-, Vereinigungs- und Redefreiheit, sexuelle Freiheit, die von Liberalen in keiner Weise gerechtfertigt werden. Safranek macht deutlich, dass der Liberalismus in sich widersprüchlich ist. Liberalismus ist keine kohärente Philosophie, sondern eine Ansammlung von Gründen unter der Rubrik der persönlichen Freiheit durch macht- und einflussreiche politische Interessen, so der Autor. Diese werden durch eine emotional aufgeladene Rhetorik in demokratischen Staaten durchgesetzt.



Zu den Grundbegriffen des Liberalismus gehören die Begriffe Autonomie, Freiheit, Frieden, Gleichheit, Neutralität, Toleranz und Gegenseitigkeit. Safranek zeigt in seinem Buch, dass diese Begriffe gegeneinander austauschbar sind und letztlich ununterscheidbar von Begierden, bzw. Bedürfnissen sind. Der Liberalismus ist unfähig rational zu bestimmen, welche Bedürfnisse erlaubt und welche verboten werden sollen und welche politische Autorität diese Entscheidung treffen sollte. Die zentrale Behauptung des Buches ist deshalb auch, dass der Liberalismus sich selbst widerspricht in dem Versuch, eines dieser Probleme zu lösen (xiv). Als Alternative wird, insbesondere am Ende des Buches, das Naturrecht vorgestellt in der Interpretation der aristotelisch-thomistischen Tradition.



Hier nun ein Überblick über die 10 Kapitel (xiv ff.): Im 1. Kapitel werden die drei Philosophen vorgestellt, die besonders großen Einfluss auf die liberale Tradition hatten und haben, nämlich Thomas Hobbes, Jeremy Bentham und John Stuart Mill.



Im 2. Kapitel werden dann die am meisten verehrten liberalen Prinzipien erklärt und das Kapitel vergleicht bzw. kontrastiert verschiedene moderne Konzepte der personalen Freiheit als dem Kern des Liberalismus. Hier wird auch der Autonomiebegriff analysiert, der nur die Wiederholung des liberalen Freiheitsbegriffs ist. In der Diskussion dieser Themen werden die liberalen Begriffe Freiheit, Gleichheit, Rechte und Interessen aufgegriffen und als ununterscheidbar von Autonomie dargestellt.



Im 3. Kapitel wird der sehr wichtige Begriff der Gleichheit behandelt, der besonders bei Linksliberalen eine zentrale Rolle spielt und es wird gezeigt, dass dieser Begriff vollkommen unzureichend ist, um daraus moralische oder politische Schlüsse zu ziehen. Der Begriff ist zudem im gegenwärtigen Liberalismus ununterscheidbar von Autonomie. Detailliert wird in diesem Kapitel diskutiert, dass der Begriff der Gleichheit völlig ungeeignet ist für eine Begründung der aktiven Sterbehilfe und der Homo-Ehe. Die Diskussion der gleichgeschlechtlichen Ehe ist dabei von besonderer Bedeutung, weil das Recht auf sexuelle Freiheit von ganz besonderer Bedeutung für Liberale ist und die Diskussion in diesem Kapitel zeigt, dass die Gleichheit dieses Recht in keiner Weise zu begründen vermag.



Im 4. Kapitel wird dann der liberale Begriff der Rechte diskutiert, ein Begriff, der sich für Liberale aus der persönlichen Freiheit ergibt. Safranek zeigt, dass der Begriff des Rechts kontrovers und mehrdeutig ist und dass der Begriff des Rechts letztlich identisch ist mit den Begriffen Freiheit, Autonomie und Gleichheit. In diesem Kapitel werden zudem einige Urteile des US-Supreme Court diskutiert, deren Begründungen sich als völlig haltlos erweisen.



Im 5. Kapitel wird nun der inhärente, performative Selbstwiderspruch des Liberalismus vorgestellt indem der Autor das sogenannte Schadensprinzip analysiert, das sowohl das Herz, als auch die Achillesverse der liberalen Theorie darstellt. „Wenn alle fundamentalen liberalen Werte identisch sind mit Bedürfnissen, wie die Kapitel 2-4 behaupten, dann müssen Liberale die Frage beantworten, welche Bedürfnisse rechtlich erlaubt werden sollen.“ (xv) Und diese Frage wird von allen Liberalen durch den Verweis auf das Schadensprinzip beantwortet (die Befriedigung der Bedürfnisse ist so weit erlaubt, dass sie keine anderen Personen und deren Bedürfnisse einschränkt und schadet). Dieses Prinzip bezeichnet Safranek als den machtvollsten Mythos des Liberalismus. Der Widerspruch in diesem Prinzip besteht darin, „dass jede Theorie, die auf Freiheit, Autonomie, Gleichheit oder Würde gegründet ist, die Freiheit, Autonomie, Gleichheit oder Würde derjenigen verletzt, die gegen diese Theorie sind. Ein Blick in die aktuelle politische Debatte z.B. in Deutschland zeigt, wie wahr diese Aussagen sind.



Im 6. Kapitel werden Liberalismus und Utilitarismus gegenübergestellt und argumentiert, dass der Liberalismus theoretisch anfällig für den Utilitarismus ist. Dies erklärt auch die zunehme Hinwendung zu utilitaristischen Argumenten und Gesetzen in fast allen liberalen Staaten. Beide Theorien stellen die Bedürfnisse in den Mittelpunkt und über alles andere und entsprechend gilt als gut, was die Bedürfnisse befriedigt. In diesem Kapitel wird dann der bereits erwähnte Punkt wieder aufgegriffen, dass unter den genannten Prämissen die Frage zu beantworten ist, welche Bedürfnisse erlaubt und welche verboten werden sollten. Dazu fehlen dem Liberalismus aber alle Prinzipien. Das Kapitel zeigt, dass Liberale den demokratischen Prozess als echte politische Autorität zurückweisen, weil dieser die Gründe bedroht, die Liberale bevorzugen.



Im 7. Kapitel wird weitgehend mit Hilfe der Logik gegen den Liberalismus argumentiert, insbesondere die Methode der Generalisierung, die von Liberalen erfolgreich zur Durchsetzung ihrer Theorien angewandt wird, wird in Frage gestellt. Aus allgemeine Prinzipien wie Freiheit, Autonomie, Gleichheit u.a. lässt sich, so zeigt Safranek, logisch nicht ein einziges Recht ableiten.



Die drei letzten Kapitel des Buches verteidigen eine echte Alternative zum Liberalismus, die von vormodernen Philosophen entwickelt wurde. Im 8. Kapitel stellt eine vormoderne Auffassung der Freiheit vor, die deutlich realistischer ist als das liberalistische Gegenstück. Das 9. Kapitel diskutiert u.a. die aktuellen Begriffe des Egalitarismus, der Diversität und der Toleranz und im 10. Kapitel wird die vormoderne Tradition verteidigt und eine an einem telos (Zweck und Ziel) orientierte aristotelische-thomistische Theorie vorgestellt.



Alles in allem zeigt dieses Buch mit starken Argumenten und großer Klarheit, dass der Liberalismus eine menschenfeindliche, zerstörerische Ideologie ist, von der man hoffen kann, dass sie ebenso zugrunde geht wie der Kommunismus. Letzterer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine bestimmte Variante des Liberalismus verwandelt nit besonderer Betonung des Egalitarismus. Demokratie und Liberalismus sind keineswegs identisch, sondern im Gegenteil zerstört der Liberalismus die Demokratie. Eine „liberale Demokratie“, wie sie sich in nahezu allen westlichen Staaten findet, ist nur eine Variante der Demokratie und vermutlich die schlechteste.  



Das Buch ist jedem zu empfehlen, der sich gründlich mit den philosophischen Grundlagen unserer westlichen Gesellschaften auseinandersetzen möchte.



John P. Safranek

The Myth of Liberalism

The Catholic University of America Press (Washington D.C. 2015)

ISBN 978-0-8132-2793-1

270 Seiten, Paperback, US$ 36,82

Das Buch ist derzeit vergriffen und nur überteuert erhältlich, z.B. bei Amazon.de 

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