Mittwoch, 30. November 2011

Das Naturrecht und seine Feinde


In einem Beitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. November 2011 greift der linksliberale Jurist Stephan Rixen, seit 2010 Professor an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth, Lehrstuhl für Öffentliches Recht I, mit Boshaftigkeit aber ohne Argumente die überlieferte Lehre vom Naturrecht an, wie sie jüngst in einem Buch des renommierten Salzburger Emeritus Wolfgang Waldstein noch einmal zusammengefasst wurde. Papst Benedikt XVI. hatte in seiner Rede im Bundestag mehrfach aus diesem Buch zitiert. Der Beitrag von Rixen für die FAZ ist an Boshaftigkeit kaum zu übertreffen, zugleich aber so gut wie frei von Argumenten.





Die Lehre vom Naturrecht geht zurück weit vor der Zeit Christi und hat ihren Ursprung bei den Griechen und Römern. Daher ist es eine Unterstellung zu behaupten, dass Naturrecht sei eine christliche Erfindung. Sehr umfassend und tiefgreifend finden sich wesentliche Grundlagen des Naturrechts vor allem bei Cicero, der keineswegs als Christ bekannt ist.

Grundlage des Naturrechts sind unmittelbar einsichtige Prinzipien. Das oberste Prinzip lautet dabei „Man soll das Gute tun und das Böse meiden“. Unser linksliberaler Juraprofessor hält diese Auffassung für eine „erkenntnistheoretische Selbstentmündigung“. Da kann man mal sehen! Ein Prinzip das einen siebenjährigen Kind ebenso einleuchtet wie einem Achtzigjährigen ist für heutige Professoren der Rechtswissenschaft einfach zu primitiv als das es Geltung beanspruchen könnte.

Rixen schreibt dazu: „Dass ein intuitiver erkenntnistheoretischer Weltzugang beträchtliche erkenntnistheoretische Probleme aufwirft ist für Waldstein kein Argument“. In der Tat ist die Berufung auf Intuitionen nicht immer und in jedem Fall gerechtfertigt und kann sogar gefährlich sein, wenn man behauptet, dass jemand, dem dieser intuitive Zugang fehlt, z.B. krank ist. Doch es kommt auf das rechte Verständnis von Intuition an. Rixen in seinem Kampf gegen das Naturrecht unterstellt ein neuzeitliches Verständnis von Intuition, das aber weder von Waldheim, noch von anderen ernsthaften Naturrechttheoretikern gemeint ist.

Es ist tatsächlich gemeint, was Rixen wieder lächerlich zu machen versucht, dass es möglich ist, „die Vernunft in ‚rechter Weise‘ zu gebrauchen“. Dieser rechte Gebrauch der Vernunft beruht unter anderem darauf, was schon Aristoteles wusste, Herrn Rixen jedoch durch seine „aufklärerische“ Verblendung verschlossen bleibt, dass es oberste Prinzipien in jeder Wissenschaft gibt, die nicht bewiesen werden können, die aber Grundlage jedes anderen Beweises sind und die auch gar nicht bewiesen werden brauchen, da sie unmittelbar evident sind. Selbst Herrn Rixen würde ich zutrauen, dass er den oben genannten Satz des Naturrechts versteht und nicht zu widerlegen vermag. Das bedeutet freilich nicht, dass damit schon bewiesen wäre, was „gut“  und „böse“ ist.

An die Stelle des auf Aristoteles, Cicero und Thomas von Aquin zurückgehenden und seit Jahrtausenden als objektives Recht von nahezu Allen anerkannten Naturrechts stellt nun Rixen den Philosophen-Gott der Deutschen, Immanuel Kant. Dass dessen Auffassung auf mindestens ebenso vielen Voraussetzungen beruht wie das Naturrecht und zudem eine ausschließlich subjektive Begründung hat, spielt für Rixen keine Rolle, denn er ist offenbar der Auffassung, das Kant immer Recht hat (was freilich in Deutschland unter Philosophen und Juristen eine weitverbreitete Haltung ist).

Als kantische Einsicht, die gegen Waldsteins Naturrechtsverständnis gerichtet sein soll, wird angeführt, „dass Begriffe unsere Wahrnehmung prägen“. Zunächst muss man diese Auffassung gar nicht in Frage stellen und sie widerspricht auch nicht dem Naturrecht. Allerdings hatte Kant weit mehr im Sinn als nur diese schlichte Tatsache. Er meint – und offenbar pflichtet Rixen hier ihm bei – dass unsere Begriffe ausschließlich von uns selbst, also rein subjektiv (wenn auch nicht individualistisch) gebildet werden und wir dann mit Hilfe dieser Begriffe die Welt beschreiben. Ob die Welt dieser Beschreibung entspricht, können wir nicht sagen; letztlich bringen wir mit Hilfe unserer Begriffe die Welt allein hervor.

Dass eine solche Theorie nicht nur massiv den geschmähten „Intuitionen“, sondern auch der Wirklichkeit widerspricht, hat schon Kant nicht angefochten, der deshalb in der Einleitung zu seinem Hauptwerk auch sagt, dass sich die Gegenstände nach unserer Erkenntnis richten sollen, nicht umgekehrt. Rixen mit seiner philosophischen Halbbildung ficht dies freilich auch nicht an. Wenn sich die Gegenstände nach unserer Erkenntnis zu richten haben, dann ist selbstverständlich auch die Rede von einem objektiven und erkennbaren Naturrecht völliger Blödsinn und stattdessen können wir uns unsere Gesetze selbst machen. Diese Auffassung nennt man Positivismus, dessen Anhänger Rixen offensichtlich auch ist.

Dass das Naturrecht „offen für politische Instrumentalisierung“ ist, wie Rixen Waldstein vorhält, fällt auf Rixen selbst zurück. Der Missbrauch des Begriffs des Naturrechts, der sich eindeutig bei Theologen der Nazi-Zeit nachweisen lässt, deren Versuche „das Regime naturrechtlich gesundzubeten“ hat absolut nichts mit dem überlieferten Naturrecht zu tun. Hingegen ist ein positivistisches Verständnis von Recht und Gesetz nicht nur bloß vereinbar mit der nationalsozialistischen Maxime „der Führer ist das Gesetz“, sondern eine logische Folge des Positivismus. Wenn es kein objektiv vorgegebenes Recht gibt, dass der Gesetzgeber immer schon vorfindet und das er bei jeder Gesetzgebung zu achten hat, - dies ist mit Naturrecht im wesentlichen gemeint - dann bestimmt jeder Staat seine Gesetze so, wie es deren Führern oder der Mehrheit halt gerade eben gefällt.

Jede Art des Totalitarismus und Absolutismus, auch ein sogenannter „demokratischer“ widerspricht grundsätzlich dem Naturrecht. Wer auch nur ein minimales Verständnis des Naturrechts hat, was man von einem Professor für öffentliches Recht eigentlich erwarten dürfte, der wird dies bestätigen. Hingegen ist eine positivistische Rechtsauffassung auch mit jeder Art totalitärer und absolutistischer Herrschaft vereinbar. Herr Rixen sollte sich somit den Satz merken, den er Professor Waldstein vorhält: „Wen also soll ein ethisches Konzept überzeugen, für das unverändert Konsenszonen zum autoritären, ja extremistischen politischen Denken charakteristisch sind.“

Zum Ende seines Artikels versucht Rixen noch, dass Naturrechtsverständnis Waldsteins, das wirklich das überlieferte Verständnis darstellt, gegen neuere Auffassungen auszuspielen. Dabei beruft er sich auf den Tübinger Theologen Franz Josef Bormann und den liberalen Staats- und Verwaltungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde. Was deren Auffassung mit einem recht verstandenen Naturrecht zu tun hat, ist freilich nicht einsichtig. Im Unterschied zum Positivismus nehmen beide eine Zwischenposition ein, indem sie bestimmte objektive Rechtsnormen voraussetzen, diese aber zugleich einer möglichen Veränderbarkeit unterwerfen.

Worum es dem linksliberalen Juristen Rixen eigentlich geht, wird schon zu Beginn des Beitrags für die FAZ deutlich: Sein Beitrag richtet sich gegen den Papst und gegen seine Verteidigung fundamentaler Rechte und Pflichten, die sich aus dem Naturrecht ergeben. Angegriffen wird freilich Waldstein als vom Papst zitierter Vertreter des Naturrechts und die Zusammenfassung seines argumentlosen Angriffs lautet: „Waldstein stellt schnell klar, wer sich im Irrtum befindet: Positivisten und Sozialisten, Anhänger der Fristenlösung, des Klonens und der ‚Euthanasie‘, Befürworter des Adoptionsrechts gleichgeschlechtlicher Paare und jene, die nicht einsehen, dass aus ‚einer homosexuellen Verbindung natürlicherweise keine Familie hervorgehen‘ könne“.

Nur ein Positivist, ein Liberaler, der alles Recht letztendlich als vom Menschen gemacht versteht, kann all diese massiven Angriffe auf die Grundlagen der menschlichen Natur gutheißen und verteidigen. Eine Gesellschaft und ein Staat, der all diese naturrechtswidrigen Handlungen zulässt oder gar gesetzlich rechtfertigt, ist zum Untergang bestimmt, wie die zahlreichen Beispiele des 20. Jahrhunderts zeigen. Davor hat der Papst mit seiner Rede im Bundestag gewarnt. Diese Warnung möchte Stephan Rixen mit Verein mit allen anderen Positivisten möglichst bald vergessen machen.

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