Überaus erstaunlich ist die Tatsache, dass es für die Ablehnung der Finalursache durch die neuzeitliche Philosophie schon vor Descartes praktisch keine Argumente gibt. In einigen Fällen versuchten Philosophen die Finalität lächerlich zu machen, in den meisten Fällen wird einfach darauf verwiesen, dass eine Finalursache „unwissenschaftlich“ ist – wobei dies nicht näher begründet wird – oder das Thema wird schlicht ausgeblendet. Im Allgemeinen wird auf die großen Erfolge der modernen Wissenschaften verwiesen, die ohne die Finalursache auskommen. Doch rechtfertigt der unbestreitbare Erfolg von Naturwissenschaft und Technik das moderne, mechanistische Weltverständnis?
Selbstverständlich kann der Erfolg nicht nachträglich eine bestimmte Theorie oder die Revolution einer Denkungsart rechtfertigen. Dass die Antike und das Mittelalter nicht über die modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Technik verfügten, hat seinen Grund weniger in einem „Fortschritt der Erkenntnis“ als in einem völlig anderen Verständnis und Zweck der Erkenntnis. Die Betonung der mathematischen und quantifizierbaren Aspekte der Natur mit ihren dramatischen technologischen Konsequenzen beweist zudem nicht, dass es nicht andere Aspekte der Natur gibt und schon gar nicht, dass es keine Finalursache gibt.
Die antike und mittelalterliche Wissenschaft und Philosophie suchte nach Weisheit und echtem Verständnis, nicht nach Naturbeherrschung. Die klassische Erkenntnis war insbesondere auf das glückliche Leben und die Wahrheit gerichtet, das Mittelalter setzt diese Tradition in gewisser Weise fort, allerdings erweitert und vertieft durch die Erkenntnis Gottes.
Zweifellos hat Vorhersagbarkeit und die Beherrschung der Natur ihren Platz in der Erkenntnis, doch wenn dies zum einzigen Kriterium für Erkenntnis und Wissenschaft wird, wird das menschliche Leben sinnentleert. In der klassischen Philosophie und Wissenschaft hat deshalb das technische Wissen einen untergeordneten Rang.
Gleichwohl lässt sich das gesamte neuzeitlich-naturwissenschaftliche Denken und ihre Erkenntnisse recht gut in den Rahmen der aristotelischen Philosophie integrieren. Die aristotelische Scholastik kritisiert keineswegs diese Erkenntnisse und Entdeckungen und schließt sie auch nicht aus, sondern sie kritisiert die ausschließliche mechanistische und naturalistische Interpretation dieser Entdeckungen.
Die frühe neuzeitliche Philosophie bringt ein Argument gegen die Finalursache vor, die auf Molieres Witz zurückgeht. Ein Arzt erklärt dem Patienten, dass Opium Schlaf dadurch verursacht, weil Opium eine schlaffördernde Kraft besitzt. Man verweist darauf, dass diese Erklärung tautologisch sei und behauptet im Weiteren, dass in dieser Weise alle Erklärungen durch Form- oder Finalursachen trivial oder tautologisch sind.
Tautologisch wäre der Satz, dass Opium Schlaf fördert, weil es Schlaf fördert. Die Aussage sagte aber, dass Opium eine schlaffördernde Wirkung besitzt und deshalb Schlaf verursacht. Der Erkenntniswert dieser Aussage ist sicher nicht besonders groß, dass der Satz aber keineswegs tautologisch ist, sondern durchaus informativ, beweist schon allein die Tatsache, dass sie von Philosophen der frühen Neuzeit bestritten wurde. Sie behaupteten, dass Opium nicht die Kraft besitzt, Schlaf zu verursachen, weil es keine intrinsischen Kräfte oder Formen gibt. Zudem ist die moderne wissenschaftliche Formulierung, „Opium verursacht Schlaf, weil die chemische Struktur von Opium so ist, dass sie, wenn es verabreicht wird, Schlaf erzeugt“ nicht informativer.
Wenn der Wissenschaftler dagegen einwendet, dies sei auch gar nicht die vollständige Erklärung, sondern erst der Anfang einer Erklärung, die weitere empirische Untersuchungen über die speziellen chemischen Eigenschaften von Opium erforderlich macht, so ist dem zuzustimmen, doch das Gleiche gilt auch von der scholastischen Erklärung hinsichtlich von Formen, Kräfte, Finalursachen usw. Nach der scholastischen Interpretation der wissenschaftlichen Erkenntnisse sind die chemischen Tatsachen nichts anderes als eine Spezifikation der Materialursachen, denen formale und finale Ursachen zugrunde liegen, die die Wesenheit von Opium definieren.
So wird deutlich, dass die Kritik des Aristotelismus und der Scholastik im Wesentlichen auf einer fehlenden Unterscheidung von empirischen und metaphysischen Sachverhalten beruht.
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