In der Ausgabe der FAZ vom 22. Juni schreibt Horst Dreier, Professor für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg, dass der Embryo nach der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle innerhalb der ersten 14 Tage noch kein Individuum ist und folglich nicht den Schutz des Menschenwürde durch das Grundgesetz beanspruchen kann. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Zulassung der PID nicht verfassungswidrig ist. Das Argument gegen die Individualität des Embryos ist alt und wird von den meisten sogenannten Bioethikern verwendet. Doch das Argument ist falsch ist kann widerlegt werden. Bedauerlicherweise ist die Widerlegung dieses Arguments in Deutschland offensichtlich unbekannt.
Der Autor stellt die Individualität des Embryos in den ersten 14 Tagen des Lebens durch die sogenannte Mehrlingsbildung Frage. „Denn ein individuiertes Wesen liegt in den ersten beiden Wochen nach der Befruchtung noch gar nicht vor. Der Grund: Bis zu diesem Zeitpunkt ist noch Mehrlingsbildung möglich. Wir haben es also noch gar nicht mit einem Menschen zu tun, noch nicht mit einem Individuum (also etwas Unteilbarem), sondern mit etwas durchaus Teilbarem, einem Dividuum sozusagen. Die Individuation ist ungefähr zeitgleich mit der Nidation, also deer Einnistung der befruchteten Eizelle im sogenannten Blastozyklenstadium, abgeschlossen.“ Die Präimplantationsdiagnostik findet immer nur innerhalb dieser ersten 14 Tage statt und ist nach Ansicht des Autors deshalb problemlos mit dem Grundgesetz vereinbar, weil kein Mensch betroffen ist. Träfe dies zu, so wären künftig auch alle weiteren Experimente mit Menschen innerhalb der ersten zwei Wochen ihres Lebens möglich.
Das Argument ist bereits dadurch fragwürdig, dass hier aus naturwissenschaftlichen Tatsachen unmittelbar philosophische, bzw. metaphysische Rückschlüsse gezogen werden, denn die Frage der Individuation ist keine biologische Frage, sondern eine metaphysische.
Nun ist dieses Argument allerdings schon widerlegt worden, doch dies erwähnt der Autor der FAZ-Beitrags nicht. In einem Beitrag für die Zeitschrift „Journal of Applied Philosophy, Vol. 25, No. 4, 2008 (S. 265 – 276) geht der australische Philosoph David S. Oderberg (Professor für Philosophie an der Reading University, England) ausführlich auf dieses und einige weitere damit zusammenhängende Argumente ein.
Zunächst könnte man einwenden, dass es auch nach den ersten zwei Wochen zu Mehrlingsbildungen kommen kann, wenn auch stets mit schweren Deformierungen. Beispiele sind siamesische Zwillinge oder Foetus-im-Foetus Bildungen, bei denen einer der beiden Embryonen abstirbt und der andere sich weiterentwickelt. Die Frage ist dann, warum die Deformierung einen grundsätzlichen Unterschied macht zu Mehrlingsbildungen innerhalb der ersten 14 Tage?
Das wichtigste Argument ist jedoch die Tatsache, dass wenn eine Zwillingsbildung entsteht, diese determiniert sein muss. Ist aber die Zwillingsbildung determiniert, dann liegt sie bereits potentiell in der befruchteten Eizelle, also im Embryo innerhalb der ersten zwei Wochen begründet. Damit lässt sich dann höchstens behaupten, der Embryo innerhalb der ersten 14 Tage sei nicht ein, sondern zwei Individuen (oder meinetwegen auch drei). Auf jeden Fall ist die befruchtete Eizelle ein oder zwei menschliche Individuen, die den Schutz des Grundgesetzes verdienen wie jeder Embryo nach den ersten zwei Wochen.
Wir haben hier das Argument nur sehr verkürzt wiedergegeben. Jedenfalls genügt dies um die Behauptung der fehlenden Individualität des Embryos in den ersten zwei Wochen zu widerlegen. Auch hier wird wieder deutlich, wie wichtig die scholastische Unterscheidung zwischen Aktualität und Potentialität auch in bioethischen Fragen ist.
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