Sonntag, 29. Mai 2011

Universalien

Verehrter Leser, bitte stellen Sie sich verschiedene Gegenstände vor, die alle genau die gleiche Eigenschaft haben, oder die alle das gleiche Wesen haben. Fritz, Petra und Angelika sind Menschen. Hasso, Fido und Lumpi sind Hunde. Obgleich es zwischen den drei Menschen zahlreiche Unterschiede gibt und ebenso zwischen den drei Hunden, stimmen die beiden Dreierpaare darin überein, dass die ersten drei Menschen sind, während die anderen drei Namen Hunde bezeichnen. Der Philosoph oder die Philosophin stellt nun die Frage, ob diese Gemeinsamkeit – eben das Wesen des Hundes oder das Wesen des Menschen wirklich sind, ob sie auch unabhängig von unserem Denken und Erkennen bestehen, oder ob es sich bloß um allgemeine Begriffe oder gar bloß um Namen handelt, denen in der Realität nichts entspricht. Von der Beantwortung dieser Frage, die sich für den philosophischen Laien doch arg abstrakt anhört, hängt sehr, sehr Wesentliches ab.





Unter einem Universale (oder, wie heute häufig auch gesagt wird, obgleich sprachlich nicht ganz korrekt, einer Universalie) versteht man eine Entität, die mehreren anderen Entitäten zukommen kann. In der Philosophie werden Eigenschaften, Akzidentien und Wesenheiten als Universalien kategorisiert. Allerdings gibt es zahlreiche Argumente gegen Universalien und diejenigen Philosophien, die Universalien grundsätzlich ablehnen heißen Nominalismus oder Konzeptualismus. Beide bestreiten, dass es reale, in der Wirklichkeit selbst vorkommende Universalien gibt. Stattdessen vertreten sie die Auffassung, dass alles was real existiert, in Raum und Zeit ist und deshalb immer individuell. Daraus schließen sie, dass, da Universalien allgemeine oder abstrakte Entitäten sind, diese nicht real sein können, sondern nur als Begriffe im Bewusstsein vorhanden sein (Konzeptualisten) oder als bloße Namen, denen aber in der Wirklichkeit nichts entspricht. Der aristotelische Scholastik vertritt einen gemäßigten Universalienrealismus.

Gemäßigt nennt sich ein Universalienrealismus, der im Unterschied zum platonischen Universalienrealismus behauptet, dass es keine an sich bestehenden Universalien gibt. Universalien finden sich nur als Instanzen in konkreten Dingen, nicht aber noch zusätzlich von diesen getrennt.

Der radikale Universalienrealismus in seiner platonischen Form wird heute kaum noch vertreten. Allerdings sind einige Vertreter der Sachverhaltsontologie der Auffassung, dass Universalien zusätzlich zu den Instanzen, also den Dingen, die diese Universalien haben, bestehen, wenn auch nicht ohne die Instanzen. Die Farbe zinnoberrot des Porsche 911 und das gleiche zinnoberrot einer Werbetafel sind ein und dieselbe Entität, die von diesen beiden Entitäten „exemplifiziert“ wird. Bei der Exemplifikation durch den Porsche und die Werbetafel wird nun die Universalie nicht in Raum und Zeit instantiiert, sondern sie bleibt tatsächlich außerhalb von Raum und Zeit. Man kann diese Auffassung als eine moderne Variante des Platonismus bezeichnen.

Auf die entgegengesetzte Auffassung des Nominalismus werde ich hier nicht eingehen, sondern dies für einen späteren Beitrag aufsparen. Der aristotelische Scholastiker vertritt einen gemäßigten Universalienrealismus. Dies bedeutet, dass er behauptet, dass Universalien im Allgemeinen und Wesenheiten im Besonderen nicht als solches unabhängig von unserer Erkenntnis existieren. Doch bedeutet dies, dass Universalien, da sie als solche nicht geistunabhängig existieren, nur im Geist des Menschen existieren? Wenn dies zutrifft, dann gäbe ist keine wirkliche Gleichheit oder Ähnlichkeit in der wirklichen Welt, d.h. es wäre nicht der Fall, dass  Fritz, Petra und Angelika Menschen wären und zwar unabhängig davon, dass wir in unserem Denken alle drei als Menschen bezeichnen. Da dies nun ganz offensichtlich dem gesunden Menschenverstand widerspricht (obgleich der Nominalist genau dies behauptet), können Universalien nicht wirklich nur im Geist existieren, d.h. sie müssen auch in der Realität existieren. Hier liegt gewissermaßen das Dilemma des Universalienrealisten, zumindest des gemäßigten. Denn der radikale Universalienrealist kann behaupten, dass Universalien unabhängig vom Geist existieren und von den Dingen, denen diese Universalien zukommen, exemplifiziert werden. Dies hat allerdings auch zur Folge, dass man als radikaler Universalienrealist bestreiten muss, dass es Wesenheiten gibt. Warum? Weil Wesenheiten „in“ den Dingen sind, deren Wesenheiten sie sind, während „Exemplifikation“ bedeutet, dass ein Ding alle seine Eigenschaften und auch seine Wesenheiten äußerlich haben muss. Eine „äußerliche Wesenheiten“ ist aber ein Widerspruch in sich selbst und deshalb bestreitet der radikale Universalienrealist Wesenheiten. Exemplifikation ist eine äußerliche Beziehung zwischen einem Individuum, das keinerlei Bestimmung in sich selbst hat („bare particular“) und einer Universalie.

Diese „Lösung“ des Problems der Universalien scheidet für den aristotelischen Scholastiker aus, da er daran festhalten will, dass  Fritz, Petra und Angelika Menschen sind und dass es Hunde gibt, d.h. dass verschiedene Hunde ein und dieselbe Wesenheit des Hundseins instantiieren.

Doch die Lösung ist eigentlich ganz einfach: Universalien existieren als solche nur im Geist, während sie in der Wirklichkeit in den Dingen selbst existieren. Es gibt keine Universalien es sei denn als Abstraktionen von konkreten einzelnen Dingen. Wenn wir  Fritz, Petra und Angelika sehen und von allen ihren Besonderheiten des Geschlechts, der Hauptfarbe, der Körpergröße, des Alters usw. abstrahieren, dann haben wir allein deren Menschsein im Blick. Doch dieses haben wir durch Abstraktion gewonnen und ohne diese geistige Tätigkeit gibt es kein Menschsein an sich. Gleichwohl wurde dieses Menschsein in  Fritz, Petra und Angelika entdeckt, nämlich durch die Abstraktion von allen Besonderheiten, es muss also in den Dingen selbst vorhanden sein.

Alles in der raumzeitlichen Welt ist raumzeitlich. Alles in unserer Welt existiert als Einzelnes. Doch zugleich gilt, dass es in der raumzeitlichen Welt mehr gibt als nur das Einzelne, Besondere. Es gibt Universalien doch diese existieren nur als in den Dingen vereinzelte. Nur im Geist existieren sie auch als Universalien, d.h. als abstrakte Entitäten.

Welche Folgen der Universalienrealismus für alle Bereiche des menschlichen Lebens hat, werde ich bei einer späteren Gelegenheit zu erklären versuchen.

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